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Kollegah bei der Verleihung der Echo-Awards 2018

© REUTERS/Axel Schmidt

Echo-Eklat um Kollegah und Farid Bang: Was Gangster-Rap auf dem Schulhof so beliebt macht

Gangster-Rap ist der Sound von Migrationskulturen, Provokationen und Geschmacklosigkeiten gehören zum guten Ton. Gerade deshalb ist die Musik auch bei Bürgerkindern so beliebt.

Es hat ein paar Tage gedauert, bis der Bertelsmann-Konzern zu der Einsicht kam, die weitere Zusammenarbeit mit den Rappern Kollegah und Farid Bang zwar nicht zu beenden, sondern erstmal zu stoppen. „Um die Haltung beider Parteien zu besprechen“, so BMG-Vorstandschef Hartwig Masuch in einem Zeitungsinterview. So mir nichts, dir nichts will man sich bei der BMG doch nicht trennen. Dafür hat das Label das immer noch nicht indizierte Album „Jung, brutal, gutaussehend 3“ zu gut verkauft, dafür steckt überhaupt in dem Segment Hip-Hop/Deutscher Rap zu viel ökonomisches Potenzial auch in der Zukunft, selbst oder gerade nach dem Echo-Eklat.

Seit einer Woche sind die Namen Kollegah und Farid Bang in aller Munde. Und die ganze Republik spricht vom deutschen Rap, insbesondere der Unterabteilung Gangster- und Battle-Rap, und zwar gleichermaßen besorgt wie fasziniert- überrascht. Der Deutsch-Rap war bis dato zwar ein Chartsphänomen und mit Musikern wie Cro, K.I.Z., Sido oder Casper auch Mainstream- und Jugendzimmertauglich, wurde aber in der böseren, schmutzigeren Variante von eben diesem Mainstream und seinen Medien geflissentlich übersehen und sich selbst überlassen.

Das Genre boomt seit Jahren, Hip-Hop ist die führende Jugendkultur des Landes, zwischen den ewigen Helene Fischers, Andrea Bergs und Toten Hosen tauchen immer wieder neue Rap-Acts in den Jahresendlisten mit den meist verkauften oder gestreamten Alben auf. Die Mechanismen, die dabei zum Erfolg führen, folgen den Gesetzen des Pop, dem Zusammenspiel von Subkultur und Mainstream.

Viele deutsche Rapmusiker beginnen bei kleinen, unabhängigen Labels oder gründen gleich ihre eigenen Firmen, wie etwa Selfmade Records, wo die ersten beiden Folgen von „Jung, brutal, gutaussehend“ herauskamen, oder German Dream, wo Farid Bang seine zum Teil auch schon indizierten Alben veröffentlichte. Wenn die guten Verkäufe nicht mehr zu ignorieren sind, werden große Plattenfirmen aufmerksam und schließen Kooperationen ab oder verleiben sie sich ganz ein.

Pop stand schon immer dem Kommerz näher als der Moral

Das Problem dabei: Hier steht der Kommerz im Vordergrund, und Pop hat schon immer mehr auf der Seite des Kommerzes als der der Moral gestanden. BMG- Chef Hartwig Masuch stuft demnach seine Künstler Farid Bang und Kollegah auch nicht als antisemitisch ein, aber doch als „geschmacklos“. Womit er offen zugibt: So lange die Geschmacklosigkeit Erträge bringt, ist gegen eine Veröffentlichung nichts einzuwenden. Dazu kommt, jenseits wirtschaftlicher Erwägungen – und da wirkt die mediale Empörung der vergangenen Woche wohlfeil – dass seit bald dreißig Jahren bekannt ist, dass die Kids, wie ein Aufsatz von Diedrich Diederichsen 1992 in der „Spex“ überschrieben war, nicht mehr „alright“ sind. Damals hatte Diederichsen beschrieben, dass Jugendkulturen nicht mehr per se als links, progressiv und im guten Sinn gesellschaftsverändernd sind, nachdem die ausländerfeindlichen Angriffe in Rostock-Lichtenhagen und Hoyerswerda auch von jungen Leuten verübt worden waren, die Malcolm-X-Kappen und Dinosaur-jr.-T-Shirts trugen.

Der Battle-Rap zählt zu der popmusikalischen Spielart, in der die politische Inkorrektheit zum guten Ton gehört. Die sich gegenseitig bekämpfenden, also „battlenden“ Rapper versuchen sich mit Worten zu überbieten, versuchen noch „krasser“ als ihre Gegner zu sein, versuchen sie herabzuwürdigen letztendlich auch mit Sätzen, in denen Homophobie, Frauenverachtung, Rassismus und eben auch Antisemitismus wie selbstverständlich mitschwingen.

Es ist schwer, sich von popsozialisierten Eltern abzugrenzen

Tatsächlich ist das der Sound der Jugend und auf den Schulhöfen; ein Sound, der Eingang in die alltägliche Rede findet („Opfer“, „Spasti“, „schwule Sau“, „Hurensohn“ etc.) und von Acts wie eben Kollegah, Haftbefehl, Shindy, Bushido, MC Bomber oder Straßenbande 187 instrumentiert wird. Hinzu kommt – und das macht die Sache kompliziert –, dass jede Generation versucht, sich von der vorherigen abzugrenzen. Das wird allerdings immer schwerer, nachdem schon alle Pop-Kämpfe ausgefochten und aktuelle Elterngenerationen selbst in hohem Maße Pop-sozialisiert sind.  Wie soll man sich den Umarmungen von wohlwollenden Älteren entziehen, die beim Tod von Kurt Cobain geweint haben und heute noch Nirvana hören, die alle Alben des US-Gangster-Rappers Tupac Shakur im Schrank stehen haben? Eben.

Da kommt ein Kollegah mit seinen „Zuhältertapes“ gerade richtig, ein Haftbefehl mit „Kanackis“ oder „Blockplatin“, und da passt es ins Bild, dass ein Campino wacker und ein bisschen wackelig von wegen des Gutheißens von Provokationen die Grenzüberschreitungen von Kollegah und Farid Bang beklagt. Oder ein Sven Regener, den man als Sänger von Element of Crime kennt, in der „Zeit“ davon spricht, dass „diese Leute“ mit ihrem Battle-Rap auch in den Mainstream, raus aus ihrer Nische wollen. Was per se ja kaum verwerflich ist, Pop ist immer erfolgs- und sendungsbewusst.

Rapper stehen für Selbstermächtigung und Stärke

Der 33-jährige Felix Blume alias Kollegah bei seinem Echo-Auftritt am 12. April.
Der 33-jährige Felix Blume alias Kollegah bei seinem Echo-Auftritt am 12. April.

© Reuters/Axel Schmidt

Alles richtig gemacht, dürfte sich so mancher Battle-Rapper und auch so mancher Fan sagen. Die Altvorderen begehren auf. Selbst eine Helene Fischer ist sich auf einmal ihrer „Verantwortung als Künstlerin und vielleicht auch als Vorbild für jüngere Generationen durchaus bewusst“, wie sie auf ihrer Facebook-Seite schreibt. Die 17-fache Echo- Gewinnerin fragt, ob man „Gewalt, Hass und Wut eine so große Präsenz im Fernsehen geben muss“ und möchte schließlich all den Gangster-Rap-Fans, „so esoterisch es vielleicht auch klingen mag, Licht und Liebe schicken“. Wenn das nicht niedlich und süß ist. Das Schweigen von anderen, älteren Rappern, die für diese Disziplin also eher zuständig wären – die Beginner, Fettes Brot, Afrob, Samy Deluxe – tönt da umso beredter.

Zusätzlich kompliziert und interessant wird der Rap als pop- und jugendkulturelles Erfolgsmodell durch die Herkunft vieler Rapper, nicht zuletzt vor dem Hintergrund eines Deutschlands, das seit Langem ein Einwanderungsland ist, sich aber nach wie vor schwer damit tut. Mit Rappern mit Migrationshintergrund können sich viele Jugendliche aus ähnlichen Verhältnissen identifizieren, sie stehen für Selbstermächtigung und Stärke.

Als es Ende der achtziger Jahre erstmals Hip-Hop deutscher Machart gab, war die Heidelberger Formation Advanced Chemistry, deren Musiker italienischer und haitianischer Abstammung waren, mit ihrem Stück „Fremd im eigenen Land“ neben den sich betont als Gangster-Rapper verstehenden Rödelheim Hartreim Projekt eine Ausnahme. Der allergrößte Teil des deutschsprachigen Hip-Hops wurde von deutschen, bevorzugt schwäbischen Bürgerkindern produziert, angefangen bei den Fantastischen Vier über Freundeskreis, den Massiven Tönen oder Kinderzimmer Productions bis hin zu der hanseatischen Fraktion von den Beginnern, Der Tobi und das Bo oder Fettes Brot.

Warum Automechaniker werden, wenn man Rap-Star werden kann?

Ein Jahrzehnt später sollte sich das entscheidend ändern, mit Labels wie Royal Bunker, Aggro Berlin und Selfmade. Der Hip-Hop aus Deutschland verlor sein bürgerliches Kinderzimmer-Antlitz mehr und mehr, er wurde böser, wandelte sich Richtung Gangster- und Battle-Rap, und plötzlich betraten auch viele Rapper mit einem türkischen, tunesischen oder libanesischen Hintergrund die Bühne, die Bushido, Tony Ds oder B-Tights, später dann Haftbefehl, der Kind einer türkisch-kurdischen Beziehung ist, oder Farid Bang, der in der spanischen Enklave Melilla als Sohn marokkanischer Einwanderer geboren wurde und mit acht Jahren nach Deutschland kam.

Sie alle haben zuerst bei Indie-Labels veröffentlicht oder ihre Alben selbst produziert und verlegt, sie alle verstehen sich als Angehörige einer Subkultur, trotz der Avancen der Musikindustrie; und viele von ihnen repräsentieren glaubwürdig das Milieu, dem sie entstammen, mit steigenden Plattenverkäufen natürlich umso selbstbewusster, zumal gilt: Warum Automechaniker werden, wenn man mit Rap ein Star werden kann? 

Umgekehrt muss dieses männlich dominierte Milieu, eine Mischung aus Migrations- und Unterschichten-Kultur, nun nicht mehr allein auf den US-amerikanischen Hip-Hop zurückzugreifen, um sich wiederzuerkennen, so wie das in den neunziger Jahren der Fall war, als aus jedem zweiten Kreuzberger BMW Dr. Dre, Ice-T oder Snoop Dogg schallten. Dass diese Subkultur auf bürgerliche Schichten eine gewisse Anziehung ausübt, auf Kinder gutsituierter Elternhäuser, macht zusätzlich ihren Erfolg aus – und gehört zur Geschichte von Pop und ihren angeschlossenen Kulturen seit jeher dazu.

Man wäre gern dabei, wenn die BMG nun mit ihren umstrittenen Rap-Musikern diskutiert; und beide Parteien versuchen, ihre „Haltungen“ miteinander abzugleichen. Nur dürfte außer Frage stehen, dass Kollegah und Farid Bang sich kaum hereinreden lassen werden in ihre Produktionen. Sie brauchen die Musikindustrie nicht, sie kommen gut ohne sie aus.

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