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Gewöhnungssache. Die zackigen Bewegungen der Peking-Oper sind für Europäer ungewohnt.

© Freundeskreis europäischer Jugendorchester

Wagner trifft auf Peking-Oper: Dieser „Ring“ wandert zwischen den Welten

Europäische und Peking-Oper sind ungleiche Geschwister. Im Radialsystem gestaltet sich das Zusammenführen beider Welten schwierig. Von Wagner bleibt nicht viel.

Als Claudius Körber die Bühne betritt, scheinen seine Arme zu glimmen. Ein leichtes Rot, das man mehr erahnt als erkennt. Kein Scheinwerferlicht erhellt ihn, Nebelschwaden verbergen die Details. Deutlich zeichnen sich nur Körbers Konturen ab.

Finster und gesichtslos steht er vor der Rückwand, die in gleißend-kaltem Weiß erstrahlt. Dann, mit einem Ruck, ergießt sich das Rot von seinen Armen. Aus den Funken entspringen Feuerbahnen. Zwei Stoffstreifen wirbeln erst an seinen Seiten, dann um ihn herum. Ein Inferno, das spricht: „Ich bin Loge, Gott des Feuers.“

Körber alias Loge steht auf der Bühne des Berliner Radialsystems. Er und seine Kollegen proben den „Ring des Nibelungen“. Der „Ring“, Wagners berühmtes wie gigantomanisches Opernkonglomerat? Nicht ganz.

Wagners „Ring“ ist für Regisseurin Anna Peschke und ihr Team nur Ausgangspunkt einer weiteren Reise. „Der Ring des Nibelungen – Pekingoper trifft auf Musiktheater“ mischt die spätromantisch dräuende Welt von Wotan, Brünnhilde und Siegfried mit der chinesischen Peking-Oper.

Kaum noch Wagner

Von Wagner bleibt da nicht viel. Das Libretto von Anna Peschke und Dramaturg Derek Gimpel kürzt die Handlung der „Ring“-Opern von 16 Stunden auf einen abendfüllenden Happen. Damit die verwickelte Geschichte trotzdem verständlich bleibt, wird der Feuergott Loge von einem Nebencharakter zum Dreh- und Angelpunkt des Programms befördert. Mit knappen, raffiniert intonierten Erzählpassagen bindet er die einzelnen Szenen zu einer Geschichte.

Dieser „Ring“ wandert zwischen den Welten. Im Radialsystem ertönt ein buntes Sammelsurium an Sprachen. Man erkennt Deutsch, einige Brocken Englisch, Chinesisch, alles in verschiedensten Abstufungen und Akzenten. Dazu kommen die zwölf Musiker. Nach chinesischer Sitte sitzen sie nicht vor, sondern neben der Bühne.

[„Der Ring des Nibelungen – Pekingoper trifft auf Musiktheater“ vom 20. bis 22. Dezember im Radialsystem zu sehen.]

Schnipsel aus Mozarts Hornkonzerten und Bachs Cellosuiten schwirren durch die Luft. Hoch und für europäische Ohren ungewohnt flirren Jinghu und Jing erhu. Die chinesischen Streichinstrumente wirken in Ton und Aussehen filigran und zerbrechlich, ganz anders als das fernöstliche Schlagwerk hinter ihnen. Wenn es dröhnt und scheppert, haben Worte keine Chance.

Sprachliche Herausforderungen

Die Koproduktion des Deutschen Freundeskreises europäischer Jugendorchester und der China National Peking Opera Company ist nicht nur im Orchester und Produktion deutsch-chinesisch besetzt. Auf der Bühne stehen neben vier Darstellern der Company drei aus dem Westen.

Auch Regie, Komposition und Dramaturgie sind geteilt. Ein „interkulturelles Fest für die Sinne“ soll es so werden, passend zur 25-jährigen Städtepartnerschaft zwischen Peking und Berlin.

Das ist eine schöne Idee, birgt aber Herausforderungen. Das beginnt schon bei der Sprache. Die meisten Chinesen sprechen kein Englisch. Probenarbeit funktioniert oft nur über dritte. Sie müssen die Anweisungen von Peschke oder Gimpel erst ins Chinesische übersetzen. Bis die Botschaft inklusive Rück- oder Nachfragen dann bei allen Musikern und Schauspielern gelandet ist, dauert es.

Für Kara Leva, Brünnhilde und Rheintöchter in einer Person, macht gerade diese Schwierigkeit den Umgang spannend: „Weil wir nicht miteinander sprechen können, mussten wir ganz andere Arten der Kommunikation finden. Falls nötig eben mit Händen und Füßen.“ Die Deutschen haben die letzten fünf Wochen in Peking verbracht.

In den Räumen der Company haben sie mit den Musikern und Schauspielern geprobt und ausprobiert, entwickelt und verworfen. Während die Kommunikation im Spiel leidlich funktioniert habe, sei der Austausch darüber hinaus schwierig gewesen. „Wenn man zusammen am Tisch sitzt, endet es natürlich schnell“, sagt sie.

Unterschiede beim Spiel der Körper

Peking-Oper und europäisches (Musik-)theater sind ungleiche Geschwister. Kara Leva singt, ihre beiden Schauspielkollegen sprechen in gewohnt europäischer Weise. Ganz anders die chinesischen Darsteller.

Ihr Sprechen klingt mehr rhythmisch als rhetorisch, an den Falsettgesang mancher Rollen muss man sich erst einmal gewöhnen. Am deutlichsten unterscheidet sich aber das Spiel ihrer Körper. Jede Bewegung der Chinesen ist scharf konturiert und durchzuckt den Körper von oben bis unten.

Was für europäische Augen fast schon überzeichnet wirkt, hat einen guten Grund. Die Peking-Oper funktioniert auf Grundlage eines rigiden Systems von Zeichen und Bedeutungen. Eine Bewegung, die auf eine bestimmte Art ausgeführt wird, vermittelt dem chinesischen Zuschauer auch eine ganz bestimmte Botschaft.

Chinesische Klänge und Neue Musik strömen in einem Fluss

Ein Zusammenführen beider Welten macht das schwierig. Für die deutschen Schauspieler ist es kaum möglich, authentisch in der komplexen Sprache der Peking-Oper zu spielen. Die chinesischen Darsteller hätten sich dagegen mit der Arbeitsweise ihrer europäischen Kollegen grundsätzlich schwer getan, erzählt Mattis Nolte, der vier Rollen spielt.

„Man merkt, dass die Kollegen so stark von ihrem System geprägt sind, dass ein mögliches Abweichen in der Probe ganz fremd für sie ist. Die tradierten Formen zu bewahren, ist unbedingte Pflicht.“

Anders in der Musik. Aziza Sadikova, die die Vertonung von deutscher Seite betreut hat, nutzt Vierteltöne und ungewöhnliche Instrumente wie die Glissandoflöte, um Wagners Leitmotive an die traditionellen Peking-Opern-Nummern ihrer Kollegin Qiu Xiaobo anzudocken. Chinesische Klänge und Neue Musik strömen in einem Fluss.

In Körbers erstem Auftritt mischen sich Ost und West auch auf der Bühne. Feuergott Loge betritt die Bühne in einer typischen Kriegerpose der Peking-Oper. Eine nette Idee, die man als Europäer freilich erst einmal erkennen muss.

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