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Zwei Wissenschaftler aus Brasilien bei der Arbeit in den Dahlemer Depot.

© SPK/Inga Kjer/photothek.net

Vorwürfe gegen Staatliche Museen Berlin: Verrottet außereuropäische Kunst im Depot?

Ein schlechter Witz? Der Zustand der Dahlemer Depots steht in der Kritik. Was die Staatlichen Museen Berlin zu den Vorwürfen sagen.

Eine halbe Million Objekte lagern in den Dahlemer Depots des Ethnologischen Museums, ein Bruchteil davon wird eines Tages im Humboldt-Forum im Schloss präsentiert. 4,5 Millionen Exponate bewahrt das Berliner Stadtmuseum auf. Zählt man jedes aufgespießte Insekt einzeln, sind es beim Naturkundemuseum sogar 30 Millionen Objekte. Wer bewahrt da noch den Überblick? Und wie kann man sicherstellen, dass nichts verschimmelt oder verloren geht? Besonders bei empfindlichen Materialien, bei Federschmuck, antiken Stoffen, Bienenflügelchen, Jahrmillionen alten Knochen? Sie sind ja empfindlich im doppelten Sinne, gilt doch seit der Kolonialdebatte eine besondere Sorgfaltspflicht für Ethnologica und Fossilien mit womöglich moralisch zweifelhafter Herkunft.

Was die Dahlemer Depots betrifft, wurde vor wenigen Tagen harsche Kritik laut. Das Wasser stehe knöcheltief im Kellergeschoss, die Objekte seien durch Behandlung mit giftigen Chemikalien kontaminiert, es herrschten katastrophale Zustände, schreibt die „Süddeutsche Zeitung“. Auch könne niemand sagen, wie viele Objekte dort genau aufbewahrt sind. Die „Bild“-Zeitung nennt die Idee der Staatlichen Museen, bei den Depots einen Forschungscampus anzusiedeln, einen „schlechten Witz“. Also weg mit den Museen – ohne zu sagen, wo die außereuropäische Kunst künftig unterkommen soll.

„Dahlem ist definitiv in keinem optimalen baulichen Zustand“, sagt Christina Haak, stellvertretende Generaldirektorin der Staatlichen Museen. Lars-Christian Koch, Direktor der Ethnologischen Sammlungen und des ebenfalls ins Humboldt-Forum ziehenden Museums für Asiatische Kunst mit noch einmal 65 000 Objekten, weilt gerade im Urlaub. Haak erklärt, wie es zum Investitionsstau kam. Zunächst sollte der Standort nämlich aufgegeben werden, die Museen dachten, sie ziehen weg. Deshalb gab es „lediglich Baumaßnahmen zur Aufrechterhaltung des Betriebs“ in Höhe von 30 Millionen Euro.

Etliche Vorwürfe weist Christina Haak zurück

Dann jedoch wurde entschieden, dass die zu den Sammlungen gehörige Bibliothek nicht im Humboldt-Forum Platz findet: Die Flächen im Schloss waren umgewidmet worden. So kam die Idee eines Forschungscampus auf, mit Depot, Forschung und Restaurierung als intellektuellem Back-up fürs Humboldt-Forum. „Wissenschaftler benötigen die Objekte und die Bibliothek an einem Ort“, so Haak. Aber den Forschungscampus finden Teile der Öffentlichkeit nicht attraktiv.

Der kritischste Gebäudeteil sei der Bornemann-Bau aus den siebziger Jahren. „Glas, Stahl, das ist ähnlich wie bei der Neuen Nationalgalerie.“ Aktuell wird gerade der marode Bauteil 4 ertüchtigt, der das Depot fürs Ethnologische Museum beherbergt. Es könne schon mal passieren, „dass ein empfindliches organisches Objekt wegen der nicht angemessenen Architekturhülle eines Altdepots Schaden nimmt“. Prozentzahlen würden einen falschen Eindruck geben, sagt Haak, „es sind immer Einzelvorkommnisse“.

Christina Haak, geb. 1966, ist seit 2011 Stellvertretende Generaldirektorin der Staatlichen Museen zu Berlin.
Christina Haak, geb. 1966, ist seit 2011 Stellvertretende Generaldirektorin der Staatlichen Museen zu Berlin.

© Stephanie von Becker/SMB

Etliche Vorwürfe weist die Vize-Generaldirektorin deutlich zurück. Erstens gibt es in Dahlem keine Kellerdepots, sondern ebenerdige, fensterlose Depots. „Dort steht nach einem Sturzregen nicht knöcheltief das Wasser, es dringt manchmal vereinzelt an Einzelpunkten ein, wie es bei alten Gebäuden häufiger vorkommt.“ Zweitens die Sache mit den vergifteten Objekten. Mit dem damals weitverbreiteten Holzschutzmittel Lindan wurde auch in Museen gearbeitet, bis es 1980 verboten wurde. „Es wäre fahrlässig, wenn unsere Mitarbeiter heute nicht mit Schutzmasken und manchmal auch in Schutzanzügen arbeiten würden. Ich will das nicht verharmlosen, aber es ist Alltag in Museen, die mit solchen Beständen arbeiten, zum Beispiel auch mit belasteten Textilien.“

Depot ist nicht gleich Depot. Das 2012 eröffnete Archäologische Zentrum auf der Museumsinsel erfüllt höchste Standards. Das Depot der Gemäldegalerie: bestens. Das geplante zentrale Depot in Friedrichshagen, dessen Baubeginn sich ständig verzögert, soll ebenfalls High-EndQualität besitzen. Warum die außereuropäischen Schätze nicht dorthin verlagern? Noch ist nicht endgültig klar, ob Friedrichshagen realisiert wird, noch heißt es: Platzgründe. Anscheinend setzt die Stiftung Preußischer Kulturbesitz jetzt auf einen großen Campus Dahlem.

Warum haben die Museen nicht selber Alarm geschlagen?

Und der Überblick? „Es gibt Eingangsbücher, Inventarisierungsbücher, sie stammen teils aus dem 19. Jahrhundert“, erklärt Haak. „Womit sonst sollten wir arbeiten? Die alten Bücher sind Teil der Geschichte eines Objekts.“ Zettelchen, die verloren gehen? Meist seien Objekte auf der Unter- oder Rückseite gekennzeichnet; zu den Masken gibt es in den Inventarbüchern historische Zeichnungen. „Beim Ethnologischen Museum sind die Bestände gut erfasst.“ Dabei gesteht Haak ein, dass die Nichtbearbeitung der 200 Kisten, die von der Roten Armee vor 27 Jahren über Leipzig nach Dahlem zurückkamen, „nicht zu entschuldigen“ ist. Aber es sei eine Frage der Ressourcen. Immerhin werden die Archivalien zu den Ethnologica gerade in einem Dreijahresprojekt entstaubt, digitalisiert und für Datenbanken verschlagwortet. Immerhin sind inzwischen 25 Prozent aller Bestände der Staatlichen Museen in Netz recherchierbar. Und es wurden vier neue Stellen für die Provenienzforschung bei den außereuropäischen Beständen geschaffen, von insgesamt acht an den Staatlichen Museen. Ein Tropfen auf den heißen Stein.

Fragt sich, warum die Museen nicht selber Alarm geschlagen haben, als 2017 entschieden wurde, dass die Altdepots in Dahlem bleiben. Dass die Themen Provenienzforschung und Kolonialer Kontext jetzt im Vordergrund des öffentlichen Interesses stehen, sei eine Entwicklung der letzten Jahre, betont Haak. Und: „Wir haben nie gesagt, in Dahlem stünde alles zum Besten. Aber bevor ich an die Presse gehe, muss ich mich erst mal mit meinen Zuwendungsgebern ins Benehmen setzen. Und ja, wenn es öffentlichen Druck gibt, kann uns das helfen.“ Haak verweist auf den Dienstweg. Die Staatlichen Museen hoffen nun, dass sie auch in Dahlem bald angemessen investieren können.

Wir brauchen mehr Geld, es mangelt an Ressourcen, es ist die alte Klage. Sie kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass es zu den Aufgaben gerade staatlicher Museen gehört, Dringlichkeiten zu kommunizieren. Themen wie Raubkunst und Kolonialismus müssen sie von sich aus laut und deutlich in der Öffentlichkeit platzieren. Und nicht warten, bis die Öffentlichkeit Druck macht für die Museen und die ihnen anvertrauten Schätze.

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