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Ein Zeichen, viel Streit. Das sogenannte Gendersternchen steht im Fokus vieler Debatten.

© imago/Steinach

Vorreiter, Reformen, Kritik: Wo steht die Debatte über geschlechtergerechte Sprache?

Die Gesellschaft streitet darüber, ob sich Sprache ändern muss, um Gerechtigkeit zu schaffen. Wir geben einen Überblick zu Meilensteinen und Konfliktpunkten.

Von Caroline Fetscher

Worum geht es in den Debatten um genderneutrale oder geschlechtergerechte Sprache?

An kleinen Zeichen, und nicht nur daran, entzünden sich große Streitigkeiten. Gerade hat die „Gesellschaft für Deutsche Sprache“ in Wiesbaden das sogenannte Gendersternchen abgelehnt.

In Wortneubildungen wie „Lehrer*innen“ oder „Schüler*innen“ soll das Sternchen die mögliche Diversität von Personen signalisieren und wirksam sein gegen Diskriminierung. „Das sogenannte Gendersternchen“, erklärt die Gesellschaft, stelle jedoch „aus sprachlicher Sicht kein geeignetes Mittel dar, um dieses Anliegen umzusetzen.“

Wann kam das Thema auf?

Seit den 1970er Jahren gab es in Deutschland feministische Kritik daran, dass Sprache, wo sie sich auf das Geschlecht bezieht, der Realität nicht gerecht werde. Berühmt wurden der Band von Luise F. Pusch „Das Deutsche als Männersprache: Diagnose und Therapievorschläge“ (Suhrkamp, 1984). Der Autorin fehlte zum Beispiel eine weibliche Form von „Kapitän“. Doch „die Kapitänin“, heute ein unauffälliges Wort, wurde damals noch als extravagant empfunden.

Inzwischen moniert die emanzipative Sprachreform, dass Anreden wie „Damen und Herren“ oder andere Bezeichnungen, die sich auf eine in Mann und Frau aufgeteilte Gesellschaft beziehen, Leute ausschließen, die sich weder der einen noch der anderen Kategorie zuordnen.

Sie empfänden sich nicht gemeint, wenn etwa in einer Stellenanzeige nach einer Fachkraft „männlich/weiblich“ gesucht werde. Aus solchen Einwänden haben sich, etwa für die Sprache von Behörden und Ämtern, Änderungen ergeben.

Wurden sprachliche Reformen zu Gender schon in Gesetze gegossen?

Das ist in Teilen geschehen. Im Oktober 2017 hat das Bundesverfassungsgericht mit einem viel diskutierten Urteil (1 BvR 2019/16) entschieden, geltendes Personenstandsrecht, das nur die Alternative männlich / weiblich vorsieht, verstoße gegen das Persönlichkeitsrecht und gegen das Diskriminierungsverbot, etwa gegenüber Intersexuellen.

Juristisch normierte Sprache sollte sich verändern. Daher gibt es seit Dezember 2018 im Geburtenregister ein drittes Geschlecht, „divers“, und Stellenanzeigen müssen genderneutral formuliert werden, also „männlich / weiblich / divers“ oder, wie jetzt oft zu lesen, „m/w/d“.

Gendergerechte Sprache soll signalisieren, dass alle gemeint sind, nicht nur die mehrheitlich existierenden Kategorien, die von Reformwilligen als „binär“ bezeichnet werden, also nur zwei Alternativen zulassend.

Wann fing die Diskussion um Neuregelungen an?

Schon 1991 kritisierte das „Handbuch der Rechtsförmlichkeit“, dessen Herausgeber das Justizministerium ist, damals geleitet vom FDP-Politiker Klaus Kinkel, die Gewohnheit, das generische Maskulinum bei Vorschriften und dergleichen zu verwenden.

Frauen sollten sprachlich explizit einbezogen werden, und es gab dazu mehrere Vorschläge, etwa „die Antragstellenden“ anstatt „der Antragsteller“ oder „eine andere Person“ statt „ein Anderer“.

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2008 wurden hier generell geschlechtsneutrale Personenbezeichnungen empfohlen. Nachdem vor allem die Paarbildung bevorzugt wurde – Studentinnen und Studenten, Radfahrerinnen und Radfahrer, Bürgermeisterinnen und Bürgermeister – wird inzwischen häufig das Partizip als Amalgam verwendet, in Formen wie „Studierende“ oder „Radfahrende“, alternativ Formen mit Binnen-I wie „KollegInnen“, mit Sternchen wie in „Leser*innen“ oder mit einem Unterstrich wie in „Tourist_innen“.

Was bedeuten die Sternchen und Unterstriche?

Sternchen und Unterstriche vor der weiblichen Endung stehen symbolisch für die Inklusion nicht allein von Frauen, sondern auch diversen Gender-Kategorien. Mehrere Hochschulen haben Leitfäden zum sensiblen Umgang mit Sprache und Gender erstellt, so die Universitäten in Bielefeld, Bremen, Frankfurt, Kassel, Tübingen, München und die Technische Hochschule Berlin, die zum Beispiel empfiehlt, anstatt „der Dekan“ lieber „die_der Dekan_in“ zu schreiben.

Medien in Deutschland verwenden geschlechterinklusive Sprache je nach ihrer Ausrichtung oder überlassen die Wahl des Gebrauchs den jeweiligen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Zunehmend werden nicht nur schriftlich, sondern auch akustisch Zeichen gesetzt, nämlich durch Miniaturpausen im Wort: „Lehrer“ – Pause – „innen“, wie es etwa Dunja Hayali in ihrer neuen Talkshow hält.

Wo gab es Vorbilder und Vorreiter?

In Schweden wurden die Pronomina hon (sie) und han (er) ergänzt um hen, ein drittes, genderneutrales Wort. Es wird für Personen verwendet, die sich hon oder han nicht zuordnen wollen, oder für solche, deren Geschlecht nicht bekannt ist.

„Hen“ wurde schon 1966 vorgeschlagen und verfiel zunächst in einen Winterschlaf, bis es 1994 erneut erwachte, als sein Gebrauch in Anlehnung an das Finnische „hän“ als neutrales Pronomen gefordert wurde.

Seit 2010 taucht „hen“ in Schweden öfter auf, was zu kontroversen Debatten führte. Im Juli 2014 wurde der Neologismus (die Wortneuschöpfung) „hen“ schließlich offiziell und unter weltweitem Interesse ins Wörterbuch der Schwedischen Akademie aufgenommen.

Blätter wie die große Tageszeitung Dagens Nyheter wandten sich gegen den Gebrauch, einige Journalisten verwenden es dennoch auch dort. „Hen“ scheint sich mehr und mehr einzubürgern.

„Bei den unter vierzig Jahre alten Leuten wird das hen immer normaler“, so der Eindruck des in Berlin lebenden schwedischen Diplomaten Karl-Erik Norrman. „Vor allem aber beim grünen und linken Teil der Bevölkerung.“

Das „hen“ soll sich einerseits auf den Teil der Bevölkerung beziehen, der sich keinem Geschlecht zuordnet, sich als queer, non-binär usw. bezeichnet, und andererseits zum Gebrauch für all jene angeboten werden, die aus ideologischen Erwägungen binäre Bezeichnungen grundsätzlich ablehnen.

Was unternehmen Kommunen, Behörden, Ämter und Hochschulen?

Einzelne Kommunen und Hochschulen in der Bundesrepublik geben sich besondere Mühe beim Finden und Erfinden von Regeln für geschlechtersensible Sprache. Sie veröffentlichen Leitfäden als Orientierungshilfe.

In Stuttgart hat die Gleichstellungsbeauftragte Ursula Matschke unlängst zusammen mit dem Netzwerk LSBTTIQ (Lesben, Schwule, Bisexuelle, Transgender, Transsexuelle, Intersexuelle und Queer) einen Leitfaden erarbeitet, der Empfehlungscharakter hat.

Vorzugsweise sollen neue Gender-Sprachregeln verwendet werden, etwa in E-Mails, Formularen, Flyern und Broschüren, die das Rathaus verantwortet. Statt „Sehr geehrte Damen und Herren“ wird „Liebe Menschen“ oder „Sehr geehrte Anwesende“ vorgeschlagen, aus dem „Mädchennamen“ soll der „Geburtsname“ werden, aus dem „Mutter-Kind-Parkplatz“ ein „Familien-Parkplatz“, aus der „Mütterberatung“ eine „Elternberatung“, aus „Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter“ werden schlicht „Mitarbeitende“.

Einige andere Kommunen haben ähnliche Leitfäden formuliert, etwa in Hannover, Lübeck, München oder Kiel. 2009 hatte das baden-württembergische Ministerium für Arbeit und Soziales in der Koalition aus CDU und FDP unter Günther Oettinger in einem Merkblatt zur geschlechtergerechten Amtssprache neutrale Formulierungen angeregt und sich gegen „Generalklauseln“ ausgesprochen, in denen weibliche Personen zwar mitgemeint sind, jedoch die weibliche Form der besseren „Lesbarkeit“ wegen ausgespart werden sollte.

Wie äußern sich Einspruch und Protest gegen Gendersprache?

Populärer und fachlicher Protest begleitet die neuen Gesetze und Empfehlungen von Beginn an. In Baden-Württemberg fragt die christdemokratische Kultusministerin Susanne Eisenmann, „ob wir keine anderen Sorgen haben“, und der grüne Ministerpräsident Winfried Kretschmann beklagt „überspanntes Sprachgehabe“.

Selbstverständlich sei darauf zu achten, „dass wir in unserer Sprache niemanden verletzen, und Sprache formt unser Denken ein Stück weit.“ Doch jeder solle noch so reden können, „wie ihm der Schnabel gewachsen ist“, ohne von „Sprachpolizisten“ umgeben zu werden.

Einen „Aufruf zum Widerstand“ veröffentlichte 2019 der Verein Deutsche Sprache. Protagonisten wie der Kabarettist Dieter Nuhr, die Schriftstellerin Sibylle Lewitscharoff und der Lyriker Reiner Kunze protestierten: „Die sogenannte gendergerechte Sprache beruht erstens auf einem Generalirrtum, erzeugt zweitens eine Fülle lächerlicher Sprachgebilde und ist drittens konsequent gar nicht durchzuhalten. Und viertens ist sie auch kein Beitrag zur Besserstellung der Frau in der Gesellschaft.“

„Politisch korrekt und gendergerecht wäre die Wendung ,Bürgerinnen- und Bürgermeisterin‘“, merkt der Germanist Jochen Hörisch amüsiert über eine gewisse Dogmatik hinter der Regulierungsemphase an – und in Sorge angesichts einer „Übertribunalisierung nicht gendergerechten Sprechens“. Die „frühe feministische Sprachsensibilisierung war produktiv“, findet Hörisch.

„Aber wie schräg, wie schrill klänge es, wenn wir nun systematisch von Bürgerinnen- und Bürgersteigen, von Rednerinnen- und Rednerpulten, gar von Redendenpulten reden würden?“

Hörisch beobachtet generell „gouvernantenhafte Interventionen“ zur Sprache im Alltag. Das letzte Wort ist bekanntlich nie gesprochen, wenn es um Sprache geht. Auch hier gewiss nicht.

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