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Meister der Unsichtbarkeit. Oskar Huth (1918–1991)

© Alf Trenk

Vorabdruck: „Mein Monsterlatsch“

Hanns Zischler setzt in seinem neuen Buch "Berlin ist zu groß für Berlin" dem großen Berliner Graphiker und Instrumentenbauer Oskar Huth ein kleines Denkmal. Wir drucken einen Auszug.

Ende der 70er-Jahre sah ich in der Charlottenburger Kneipe Zwiebelfisch des Öfteren einen auffällig korrekt gekleideten Herren, mit Fliege und Bügelfalte; seine lässige Gepflegtheit ignorierte die verlotterten Zeitläufte distinctively; er hatte einen hellen, glatten, windgegerbten Teint, sein Menjoubärtchen ließ mich an einen „polnischen Aristokraten“ denken. Er war ein inspirierter Trinker, unvergessen sein von höflichen Formen und Formeln gewürztes Auftreten, grundiert von einem milden, entrückten Lächeln. Blau blitzende Augen, melancholisch zerstreuter Blick, reservierte Zugeneigtheit. Seine gewählte, von überraschenden Arabesken gehöhte Sprechweise wirkte wie aus einem Jean-Paul’schen Roman herbeigewunken; er war auf vielen Gebieten, vor allem dem der Musik, dem des Instrumentenbaus und der graphischen Künste, ungemein beschlagen. Gelegentlich konnte man glauben, er zitiere jemanden, den nicht zu kennen den Zuhörer in arge Verlegenheit brachte.

Ganz offenbar kam dieser Mann aus einer anderen Zeit und einer anderen Welt: Oskar Huth, genannt „Hüthchen“, ein Diminutiv, das seltsamerweise nicht zu seiner Verkleinerung, sondern nur noch mehr zu seiner zauberhaften Erscheinung beitrug. Dass er tatsächlich in einem ganz unmittelbaren Sinn aus der Zeit gefallen und auf ganz eigensinnige Weise einer schrecklichen Zeitfalle entkommen war, habe ich nach und nach erfahren. Seine Biographie, die er, von Alf Trenk aufgeschrieben und ediert, unter dem Titel Überlebenslauf erzählt hat, lässt sein Leben als ein souveränes Kunststück erscheinen, insofern es ihm gelang, in den Jahren größter Unfreiheit sich eine Freiheit in der Illegalität zu erringen und mit selbstverständlicher Generosität andere Verfolgte an den handwerklichen Früchten seines artistischen Eskapismus teilhaben zu lassen.

Mit starken Nerven und Witz, mit Mut und erfinderischer Geschicklichkeit hat er in sorgfältig präparierter Scheinlegalität die Kriegsjahre in Berlin überlebt. Nach Herkunft und Beruf (als Graphiker und Instrumentenbauer) hätte er eigentlich mit Verfolgung nicht zu rechnen gehabt, doch schon die ersten Berührungen mit dem „Barras“ und dem dort herrschenden Kadavergehorsam erfüllten ihn mit solchem Abscheu, dass er 1939 beschloss – für diese Firma nicht in den Krieg zu ziehen.

Meine Freunde aber wollten mir diesen Entschluß um jeden Preis ausreden. Die Vornehmeren unter ihnen, die hielten sich etwas zurück, in der Art, daß sie nicht die Flezerei hatten wie viele andere, sondern glaubten: Es hat mehr Wirkung, wenn wir, die wir das Ganze auch so von der vitalen Seite her sehen, besser jetzt schweigen und den Trivialrednern das Wort lassen.

So ging das hin und her: „Na, dann sag uns doch mal, wie du den ersten Ansatz machst -?“

„Also, wir rechnen dir vor: Du hast kein Dach über’m Kopf, du hast keine Nahrung, du mußt die Wäsche wechseln. Wann, glaubst du, wirst du gekriegt -?“

Als ihm Ende November 1941 der Einrufungsbefehl zugestellt wird, bricht für ihn eine neue Zeit an, die Zeit der sichtbaren Klandestinität. Der „Huth“ wird zur Tarnkappe für ein „Haupt“: So lautet von nun an sein „umradierter“ Name im Wehrpass und im Arbeitsbuch. Das ist sein wohltemperierter „Ansatz“ – wie alles, was diesem Liebhaber der feinmechanischen Künste in die Finger kommt.

Nach einem beklemmenden Provisorium im Winter 1941, das ihn in verschiedenen Unterschlüpfen überleben läßt, findet er am 2. März 1942 eine Wohnung in der Dillenburger Straße 58f in Berlin-Wilmersdorf. Eine Freundin, die Modezeichnerin Käte Kausel, will sich, nachdem ihr Mann gefallen ist, mit ihrem kleinen Sohn ins thüringische Zeulenroda – dahin, wo’s schön ist – evakuieren lassen.

Und Huth/Haupt, in der ihm eigenen paradoxen Weise ihr seine leibhaftige Unsichtbarkeit vor Augen führend, gesteht ihr in vertrauensvoller Schutzlosigkeit: Ich bin schon weg. Ich lebe illegal.

Sie überlässt ihm ihre Wohnung. Das war überhaupt nur möglich, weil dort, wo jeder den anderen kennt, wo lauter kleine Nazis wohnten, alle Leute als „legal“ galten. Jedenfalls per Augenschein. Ich bin da die ganze Zeit durchgelaufen.

Er machte es sich zur Regel, alle Wege durch die Stadt zu Fuß zurückzulegen

Erfindungsreich und mit großem Fingerspitzengefühl organisiert er fortan als ein der Not eben nicht nur „gehorchender“ und die Entbehrungen überlistender Fälscher sein eigenes Leben, und es ist diese Fertigkeit und die fast wundersame, ambulante Sesshaftigkeit, welche ihn unter der Hand zum Gegner des Systems werden lassen: Am Anfang der Illegalität hatte ich überhaupt keine Vorstellung, daß ich irgendeine Art von Widerstand ausüben oder in solchem Zusammenhang irgendjemand mal nützlich sein könnte. Ich hatt’ auch nicht die Vorstellung, durch Widerstand etwas am Getriebe ändern zu können. Am Anfang war die Vorstellung: „Ich werde mir selber helfen, solange ich kann.“

Oskar fabriziert Pässe und andere unentbehrliche amtliche Papiere, so für einen der Mitverschwörer des 20. Juli, den Offizier Ludwig von Hammerstein, dem er in autarker Ermächtigung die Stichworte für eine neue Vita und einen neuen Beruf verpasst. Man muss die bürokratische Verschrobenheit und die Deutschtümelei dieses Regimes nur ironisch zu lesen verstehen, um, wie Oskar, aus einem flüchtigen Offizier einen unbescholtenen Botaniker zu machen: Er hatte dann den schlauen Einfall, er sagte, wir machen Sie am besten zum Auslandsdeutschen, Sie sind irgendwo in Südamerika geboren, dann kennen Sie die deutschen Verhältnisse nicht so genau und außerdem haben solche Leute immer so ’n bisschen Sonderstatus.

Im Keller seines Mietshauses produziert er auf einer unter abenteuerlichen Umständen herbeigeschafften Druckmaschine Buttermarken. Seinen eigenen aufgefrischten Papieren zufolge ist er offiziell als wissenschaftlicher Zeichner am Botanischen Museum in Dahlem angestellt und als unabkömmlich eingestuft - ein Zustand, der so lange währt, wie er nicht von den unentwegt durch die Stadt streunenden „Kettenhunden“ (Feldjägern) überprüft oder aus schierer Unachtsamkeit auffällig würde.

Einen Großteil seiner Zeit verbringt er damit, auf langen Wanderungen durch die Stadt an versteckt lebende Illegale Butter und Papiere zu verteilen. Die Empfänger seiner Gaben will er nie näher kennenlernen.

Er macht es sich zur festen Regel, alle Wege durch die Stadt zu Fuß zurückzulegen: In dieser Zeit habe ich mich niemals den öffentlichen Verkehrsmitteln überantwortet, diese sind so etwas wie der natürliche Feind des Großstadtindianers. Er braucht den Boden unter seinen Füßen, den Asphalt ebenso wie die vielen verschlungenen, bisweilen ländlich anmutenden Wege durch das ausgedehnte, unvermutet ins Grüne und in die Brache ausufernde Groß-Berlin. Und wie den festen Boden braucht er den freien Himmel über sich. In Bahn und Bus wird man im Zeitalter der Angst und des Misstrauens schnell auffällig und kann sich nur schwer entziehen.

Diese Angewohnheit, jegliches Verkehrsmittel zu meiden, hat er sich ein Leben lang bewahrt; so kam es nicht selten vor, dass er nächtens vom Zwiebelfisch am Savignyplatz nach Kreuzberg walzte.

Gekürzter Vorabdruck aus Hanns Zischlers Buch „Berlin ist zu groß für Berlin“, das am am 9.3. im Verlag Galiani Berlin erscheint. Buchpremiere: Cinéma Paris, Kurfürstendamm 211. 10.3., 11 Uhr

Hanns Zischler

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