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Peter Handke 2014 in Oslo, vor der Ibsen-Preisverleihung.

© AFP

Vor Verleihung des Literaturnobelpreises: Peter Handke und seine vergebliche literarische Wahrheitssuche

Täuschung als Antrieb: Peter Handke hat in seinen Jugoslawien-Texten stets Partei für Serbien ergriffen - und sich nie um Ausgleich bemüht

Peter Handke spricht gern mit den Medien, zumindest den ihm gewogenen. Das war so, lange bevor den Literaturnobelpreis zugesprochen bekam; das ist jetzt so, trotz seiner Ankündigung, nie wieder mit Journalisten zu reden, nachdem es bei einem Besuch in seinem österreichischem Heimatort Fragen zu Jugoslawien gegeben hatte und er um eine Einschätzung zu der Buchpreis-Rede von Saša Stanišić gebeten worden war.

In den vergangenen Wochen hat Handke viele Interviews gegeben, der „Zeit“, der „NZZ“ und österreichischen Medien wie der „Kleinen Zeitung“ und der Nachrichtenagentur „APA“.

Das wirkte, als wollte der österreichische Schriftsteller sich wappnen für den kommenden Freitag. Da findet in Stockholm in der Schwedischen Akademie die Pressekonferenz mit den Literaturnobelpreisträgern statt, neben ihm mit der polnischen Schriftstellerin Olga Tokarczuk, die den nachträglich verkündeten Literaturnobelpreis für 2018 bekommt.

Am Samstag halten beide dann ihre Nobelpreisreden, bevor am 10. Dezember die eigentliche Verleihung ist.

Handke macht keine Zugeständnisse

Im Grunde hat Handke in den Interviews weiterhin die Position seiner schriftlichen Einlassungen wiederholt. Er machte keine Zugeständnisse, zum Beispiel von zu vielen fragwürdigen serbischen Nationalisten vereinnahmt worden zu sein, sich arg einseitig positioniert, womöglich hie und da geirrt oder verrannt zu haben.

Der „Kleinen Zeitung“ erklärte er, es gebe „nichts Fruchtbareres, als sich entschlossen zu verirren. Aber wenn das jemand zu Jugoslawien sagt, dann haue ich ihm links und rechts eine herunter. Ich habe mich im Leben ordentlich verirrt, manchmal auch mit Vorsatz, aber im Schreiben nicht.“

Folglich betont er unentwegt, seine Reise-Aufzeichnungen, Aufsätze, Notizen und „Umwegzeugenberichte“ zu Jugoslawien, seien „Literatur“. Ihm komme vor, dass diese „Bestand“ haben würden, kein Wort davon sei „denunzierbar“. Womit er wohl meint: nicht angreifbar, nicht fragwürdig, nicht falsch, sondern wahr. Aber ist das so, spricht daraus eine literarische Wahrhaftigkeit?

Die Motivation nach Serbien zu fahren, später in den Kosovo und zu den Prozessen nach Den Haag, war nicht primär literarischer, sondern journalistischer Natur. Um, so Handke, hinter die medialen Spiegel zu kommen: „Es war vor allem der Kriege wegen, dass ich nach Serbien wollte, in das Land der allgemein so genannten ,Aggressoren’“, so steht es in der erstmals im Januar 1996 in der „Süddeutschen Zeitung“ veröffentlichten „Winterlichen Reise".

Ein paar Jahre später sagte er dem Literaturkritiker und Freund Peter Hamm in einem Gespräch, er habe gedacht, „ich könnte etwas ausrichten.“

Die familiäre Herkunft grundiert Handkes gesamtes Werk

Handke kommt dieser Tage häufig auf seine Familie zu sprechen: auf die slowenische Mutter, auf den im Zweiten Weltkrieg gefallenen Onkel, der im slowenischen Maribor Obstanbau studiert und wie der Großvater 1920 für den Anschluss Kärntens an Jugoslawien votiert hat. Diese Herkunft grundiert sein gesamtes Werk.

Und sie spielt natürlich eine entscheidende Rolle bei dieser Jugoslawien-Obsession; in ihr begründet sich die Trauer Handkes über den Zerfall des Vielvölkerstaats – und seine eigene Sehnsucht und die seiner Figuren nach Slowenien.

In dem 1986 veröffentlichten Roman „Die Wiederholung“ begibt sich der Erzähler Filip Kobal auf eine Reise von Österreich nach Slowenien, in die Spur des Bruders, der ihm „aus seiner Zeit an der Landwirtschaftsschule in Maribor“ ein Werkheft über den Obstbau hinterlassen hat. Kobal verklärt das Land gleich zu Beginn, Slowenien ist für ihn eine Art Märchen- und Erlösungsort: „Eigenartig, wie das allgemeine Grau, das Grau der Häuser, der Straße, der Fahrzeuge, ganz im Gegensatz zu der Farbigkeit der Städte in Kärnten, das in dem angrenzenden Slowenien, Refrain aus dem neunzehnten Jahrhundert, den Beinamen ,das Schöne' trägt, in dem Abendlicht meinen Augen wohltat."

"Vor allem wegen der Kriege" reist er nach Serbien

Im ersten seiner Jugoslawien-Texte, 1991, als Slowenien seine Unabhängigkeit erklärt hatte, in „Abschied des Träumers vom Neunten Land“, offenbart sich Handke, nicht literarisch, nicht hinter Figuren verborgen. Wie Kobal sieht er im Westen kapitalismus- und globalisierungskritisch die bunte, gleichförmige Warenwelt. Und in seiner „Geh-Heimat“, in Slowenien, „die Wirklichkeit“, die ihm nun abhanden kommt, die Dinge, die „einem zur Hand“ gehen, die Brücke, die ein Flussübergang ist, die Wasserfläche, die ein See ist.

Er kritisiert die Hinwendung der Slowenen nach Europa, nach Mitteleuropa, spricht vom „Gespenstergerede“. Das „Märchenwirkliche“ verschwindet, der Träumer verabschiedet sich. Und verwandelt sich in den Schriftsteller, der schon auch das ihm „am wenigsten bekannte Land" Jugoslawiens anschauen will, aber eben „vor allem der Kriege wegen" nach Serbien reist – und mit poetischen Mitteln die Wahrheit zu finden versucht. Handke misstraut der einseitigen, antiserbischen Berichterstattung und Bildauswahl westlicher Medien. Er will all dem eine andere Wahrheit entgegenstellen, will „dritte Dinge“ erkunden, „Nebensachen“. Und entfernt sich schnell von dem Vorhaben, „nebendraußen“ zu sein, wie er den von ihm hochgeschätzten und geförderten Kollegen Hermann Lenz zitiert. Handke ergreift Partei, bis heute.

Natürlich sieht er Nebensachen, „Lebensweltliches“, wer hätte es gedacht?, die berühmten „andersgelben Nudelnester".

Doch setzt er den von ihm unterstellten Bildmanipulationen und dem Ignorieren serbischer Opfer der Medien seine ganz eigene Technik des unablässigen Fragenstellens entgegen. Rhetorische Fragen, suggestive Fragen, Fragen zum Schein, nur um zu verschleiern, dass er Aussagen macht.

Handke hat zugegeben, da ihm häufig vorgeworfen wurde, ein „Genozid-Leugner“ zu sein, Srebrenica sei „das schlimmste Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ gewesen, „das in Europa nach dem Krieg begangen wurde“. Trotzdem schreibt er auch von einem „Rachemassaker“, von einer „Vorgeschichte“.

Handke weiß um die Serben als nun „schwerschuldbeladenes“ Volk - "und trotzdem"

Und ihm entfährt in „Die Tablas von Daimiel“, seinem zweiten sogenannten Umwegzeugenbericht zum Prozess gegen Slobodan Milošević die Formulierung von dem „Massaker an den muslimischen Soldaten von Srebrenica“. So als sei das Ganze ein Kriegsgeschehen gewesen, als seien keine Zivilisten unter den Opfern.

Ja, Handke weiß um die Verbrechen in Bosnien, um die Serben als nun „schwerschuldbeladenes“ Volk – und schließt doch andauernd ein „Und trotzdem“ an, ein „Aber“, ein „Dennoch“, seine Fragenserien, seine Suggestionen. So geht das in jedem Jugoslawien-Text, bis zum letzten, der 2011 veröffentlichten „Geschichte des Dragoljub Milanović“, der wirklich bizarren Geschichte des Direktors des serbischen Radio und Fernsehens.

Milanović, ein Milošević-Propagandist, wurde nach den Kriegen zu 10 Jahren Gefängnis verurteilt, weil er nicht das Sendegebäude evakuieren ließ, als es von der Nato bombardiert wurde. Auch hier ist Handke Partei, schreibt er von dem „Kindlichen“ Milanovićs – und konzentriert sich nur auf den Teil einer möglichen Wahrheit über die Angelegenheit, das gesamte Milošević-System ignorierend.

Ähnlich hatte er vorher den von ihm besuchten serbischen Ex-Präsidenten in Szene gesetzt. Nie habe er Sympathien für diesen empfunden, betonte Handke in der „Zeit“.

Aber er beschreibt Milošević in „Rund um das große Tribunal“ zuallererst als „schön“ – über Umwege. Nämlich die Ehefrau Miloševićs zitierend, nie sei ihr Mann ihr schöner erschienen als in Den Haag, dann Kafka zitierend: „Alle Angeklagten sind schön“, hier natürlich wieder fragend, „Stammt denn nicht von ihm, von Franz Kafka, jener Satz...?" Fragend?

Die Texte des Schriftstellers haben zu keinem Frieden geführt

Vielleicht nicht über die Maßen sympathisierend, aber bemitleidend-bewundernd geht es weiter nach dem Besuch: „Nachher draußen im Freien staunte ich erst einmal bloß, dass der Gefangene trotz der gut drei Stunden Redens, Auseinanderlegens, Quellennachschlagens usw, fast alleinsprechend (...), dann so gar nicht verausgabt gewirkt hatte.“

Später begründet er Miloševićs Suada mit der „Spezifität der Südslawen“, der Geschichte ihrer jahrhundertelangen Unterdrückung, ihrer besonderen Art des Redens: „Dass ich dabei kaum zu Wort kam, war mir nur recht.“

Handke fordert die genaue Lektüre seiner Bücher. Überall, wo er seine Zweifel hat, kann es selbst nur heißen: Im Zweifel gegen Handkes Zweifel; gegen seine Aussage, es handele sich, weil er Schriftsteller ist, bei seinen Jugoslawien-Texten um Literatur. Diese dient hier nur als Verpackung für seine Überzeugungen, sein Meinen, seine rhetorischen Manöver.

Aufklärend sind die Texte nicht, und zu einem Frieden, von dem darin häufig die Rede ist, haben sie nicht gerade geführt. Wie sagt es Filip Kobal in „Die Wiederholung“: „Dass es eine Täuschung war, wusste ich schon damals. Aber solche Art Wissen wollte ich nicht, oder richtiger: Ich wollte es loswerden; und solchen Willen erkannte ich als mein Lebensgefühl, der Antrieb, den ich so aus der Täuschung erhielt, ist jedenfalls bis heute nicht vergangen."

Das liest sich inzwischen wie ein Selbstporträt. Peter Handke gefällt sich bis heute darin, um ihn noch einmal abgewandelt zu zitieren, "ein Gefangener seiner Anfangsmeinung" zu sein.

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