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Splitter der Erinnerung. Was, wenn Aron (Julius Feldmeier) und Nora (Saskia Rosendahl) sich nie begegnet wären?

© Telepool/24 Bilder

Von wegen deutsche Filmkrise: Zwei junge Regiedebüts rütteln das deutsche Kino auf

Wozu Filmschule? Mariko Minoguchi und Henning Gronkowskis haben nie studiert. Ein Glücksfall. Ihre Filmdebüts feiern das experimentelle Erzählen.

Von Andreas Busche

Spricht man hierzulande mit Filmschaffenden, sind die Schuldigen für die Misere des deutschen Kinos schnell gefunden. Die einen sagen: die Redaktionen der Sender, die jede Kinoidee auf Fernsehformat stutzen.

Auch die Filmförderung, zunehmend an wirtschaftlichen Kriterien ausgerichtet, und die Filmhochschulen, die sich den Anforderungen der Förderanstalten und Sender beugen müssen, sollen ihre Absolventinnen überhaupt eine Chance in der Branche haben, stehen bei den üblichen Verdächtigen ganz oben auf der Liste.

Zumindest letztere Kritik ist etwas unfair. In den vergangenen Jahren kamen aus den Filmschulen in Berlin, Babelsberg, Ludwigsburg und München eine Reihe von hoffnungsvollen Talenten, etwa Eva Trobisch oder Nora Fingscheidt. Dies belegen auch die „First Steps“-Awards, der deutsche Nachwuchsfilmpreis, wobei in diesem Jahr in der Kategorie „abendfüllender Spielfilm“ mit Faraz Shariat ein Regisseur gewann, der den klassischen Ausbildungsweg einfach umgangen ist.

Gleiches gilt für zwei Regiedebüts, die diese Woche in den Kinos anlaufen. So unterschiedlich Mariko Minoguchis „Mein Ende. Dein Anfang“ und Henning Gronkowskis „Yung“ formal und inhaltlich auch sein mögen, beide Filme zeichnen einen bewundernswerten Stilwillen aus, eine Lust am Erzählen und an formalen Experimenten, die dem deutschen Kino, gerade im formativen Stadium des Debütfilms, oft abgeht.

Manchmal auch um den Preis des Scheiterns. Und noch etwas haben Minoguchi und Gronkowski gemein: Sie sind Autodidakten.

Die Zukunft beeinflusst die Gegenwart

Schon dass Minoguchi ihren Film im Uni-Auditorium, Klasse: Einführung in die Relativitätstheorie, beginnt, ist eine Entscheidung, an der sich eine Debütantin leicht verheben kann.

Die Vergangenheit und die Zukunft beeinflussen gleichermaßen unsere Gegenwart, erklärt Aron (Julius Feldmeier), angehender Doktor der Physik, den Studierenden – und damit auch dem Kinobesucher die Prämisse von „Mein Ende. Dein Anfang“.

Es geht um das Verhältnis von Zufall und Vorbestimmung. Zum Beispiel: Wäre seine Freundin Nora (Saskia Rosendahl) nicht ungeplant in der Uni aufgetaucht und hätte Aron an dem Tag genug Geld gehabt, hätten sie nicht noch eine Bank aufsuchen müssen.

Aber dann stirbt Aron bei einem Überfall auf die Filiale, ein Schuss löst sich. Eigentlich hätte sich in der Waffe Platzmunition befinden sollen, das erfahren wir erst später. So nimmt Noras Schicksal und das Natans (Edin Hasanovic) – hätte es Täter und Opfer nicht (zufällig?) im selben Moment an den Tatort zurückgeführt – seinen Lauf.

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Mit philosophischen Fragen hält Gronkowski sich nicht auf. Wo Minoguchi mitunter etwas zu offensichtlich vom Drehbuchfach kommt (sie verfügt nichtsdestotrotz über visuelles Stilbewusstsein), merkt man „Yung“ die Schule Klaus Lemkes, dem „Cowboy“ des deutschen Autorenfilms, an.

Lemke hasst Drehbücher und liebt Laien, am liebsten blutjung. Gronkowski hat er 2006 für seinen WM-Film „Finale“ entdeckt, nun trägt er mit „Yung“ das Banner weiter.

Und empfiehlt sich nebenbei, ganz anders als sein Mentor, dem es mehr auf den authentischen Sound der Darsteller ankommt, als auf echte Erfahrungen, als Chronist einer verlorenen Generation, post millennial, die herumvögelt, Drogen nimmt und besinnungslos Partys feiert.

Das Konzept Tod ist in "Yung" noch nicht real

„Yung“ folgt Janaina (Liesenfeld), Emily (Lau), Joy (Grant) und Abbie (Dutton), die nicht sich selbst spielen, aber mit ihren Rollennamen identisch sind, durchs Nachtleben, hängt mit ihren zugedröhnten Freunden in WGs und auf Hausdächern rum. Das Leben ist noch unbeschwert, als Teenager. Einzig Janaina ist gerade mal volljährig.

In die Kamera erzählt sie, dass das Konzept "Tod" für sie noch gar nicht real ist, und ein bisschen leben die Freundinnen dieses Motto auch. Gronkowski unterbricht seinen mäandernden, mitunter impressionistischen Erzählfluss immer wieder mit solchen Interviewpassagen: Wer da spricht – Darstellerin oder Figur – lässt er im Vagen.

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Diese Ambivalenz verleiht „Yung“ eine rohe, fast schon voyeuristische Energie, die nicht zufällig an die Filme Lemkes erinnert. Oder auch an den großartigen Teen-Chronisten Larry Clark. Gronkowski filmt die Mädchen beim Webcamsex und beim Masturbieren, beim Abfilmen ihrer Körper bewegt er sich auf einem äußerst schmalen Grat. Das Paradigma der Unverfälschtheit lässt keinen Raum für ethische Erwägungen.

Saskia Rosendahl wandelt auf Autopilot durch die Trümmer ihres Lebens

Minoguchi interessiert sich hingegen mehr für die Mechanik von Zufall und freiem Willen, die beiden Filme könnten unterschiedlicher kaum sein. Ihr Drehbuch ist luftdicht konstruiert, es reduziert die Figuren aber nicht zur bloßen Manövriermasse.

Saskia Rosendahl ist ergreifend, wie sie auf Autopilot durch die Trümmer ihres Lebens wandelt. „Mein Ende. Dein Anfang“ ist im Grunde eine Liebesgeschichte, nur ohne die lineare Chronologie hin zu einem Happy-end. Während Nora Aron noch kennenlernt, muss sie schon seinen Verlust verkraften.

[„Mein Ende. Dein Anfang“ läuft in den Kinos b-ware!, Delphi Lux, fsk, Moviemento, Zukunft. „Yung“ in Central, Moviemento, Xenon]

Natan erscheint ihr wie der rettende Anker, wie verwoben ihre Geschichten tatsächlich sind, versucht Minoguchi zwar als große Überraschung zu etablieren. Wer sich in der Filmgeschichte aber mit zersplitterten Chronologien – von „Memento“ bis „Irreversible“ – auskennt, riecht den Köder schon früh.

Dass die Wendung dennoch als Katharsis funktioniert, liegt nicht zuletzt daran, dass „Mein Ende. Dein Anfang“ wohldosiert aufbietet, wofür das deutsche Kino sonst kein Maß findet. Pathos und große Gefühle, frei nach Einstein.

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