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An der Nabelschnur. Ed White, der erste amerikanische Weltraumspaziergänger, am 3. Juni 1965.

© NASA

Von Stanley Kubrick bis Alexander Gerst: Warum uns Astronauten so begeistern

Er reist dorthin, wo kaum jemand war: Der Astronaut ist eine Ikone der Popkultur und ein Symbol für die Zukunft. Ein Rundflug durch seine Darstellungsgeschichte.

Als der Mann ein Kind war, nahm er einen Waschpulverkarton, bohrte Löcher hinein und befestigte Schnüre daran. Mit dem Papptornister auf den Rücken ging er hinaus in den Hof, hob das Gesicht in die Höhe und sprang in federnden Zeitlupenschritten herum. Was für ein erhebendes Gefühl. Geisterhaft unscharfe Schwarz-Weiß-Bilder und sibyllinische Gesprächsfetzen in rauschendem Funkverkehr haben die Erde über Nacht weniger endlich gemacht. Der Himmel war erreichbar, das Unmögliche möglich geworden. Jeder, wusste das Kind, kann nun nach den Sternen greifen – als Astronaut.

An die 600 Millionen Menschen verfolgen im Juli 1969 weltweit die Landung der „Apollo 11“ auf dem Mond. Sie gilt als erstes globales TV-Ereignis überhaupt, inszeniert wie ein weltumspannender Zirkus. Die Mondfahrer Neil Armstrong, Buzz Aldrin und Michael Collins fungieren als Hauptdarsteller in der den Weltfrieden und die Einheit der Menschheit beschwörenden 28-Stunden-Show, die dem durch den Vietnamkrieg ramponierten Prestige der USA Sympathiewerte sondergleichen beschert.

Die patriotische Mission, die ersten Menschen auf den Mond und wieder zurück zu bringen, beendet das „Space Race“ mit den Russen und tilgt eine doppelte Demütigung: den „Sputnik-Schock“ von 1957, als die Sowjets den ersten Satelliten in den Erd-Orbit befördern. Und die Tatsache, dass der sowjetische Kosmonaut Juri Gagarin 1961 als erster Mensch ins Weltall fliegt. Auch das ist eine Sensation, die weltweit Aufmerksamkeit erregt. Doch sie wird vom mondsüchtigen Taumel und der Weltraumbegeisterung, die die mit dem Siegeszug des Mediums Fernsehen korrelierende Mondlandung auslöst, um ein Vielfaches übertroffen.

Die Doku "Apollo 11" macht die Euphorie spürbar

Der jetzt zum Jubiläum im Kino gezeigte packende Dokumentarfilm „Apollo 11“ von Todd Douglas Miller macht diese Euphorie spürbar. Sie befeuert eine Technikbegeisterung, in der sich der nationalsozialistisch vorbelastete Raketenbauer Wernher von Braun ganz selbstverständlich als charismatischer Prophet des Fortschritts geriert. So klingt sein hoher Ton: „Die Raumfahrt wird den Menschen von seinen letzten Fesseln befreien, den Fesseln der Schwerkraft, die ihn noch an diesen Planeten binden. Sie wird für ihn die Pforten des Himmels öffnen.“

Nachbau der "Sputnik"-Raumkapsel am Café Moskau in Berlin.
Nachbau der "Sputnik"-Raumkapsel am Café Moskau in Berlin.

© Kitty Kleist-Heinrich

Der Rausch der Mondlandung macht’s möglich: Was eben noch Astrophysik und Mechanik war, ist plötzlich Pop. Seit den sechziger Jahren sind Astronauten, diese Seefahrer der Sterne, beides zugleich: Helden und Kinderspiel, Propagandafigur und unschuldiges Zukunftsversprechen. Und – eine in Musik, Film, Kunst, Literatur und Alltagskultur beliebig aufladbare Projektionsfläche.

Das hat jüngst auch ESA-Astronaut Alexander Gerst erfahren, der als „Astro Alex“ im vergangen Jahr erst zum Star und dann zum Mahner für Klimaschutz avancierte. Der sonnige, kommunikationsfreudige Gerst tritt in der „Sendung mit der Maus“ auf und lässt sich gar bei einem Konzert der Band Kraftwerk live aus dem Weltall zuschalten. Solche Faxen wären seinem Kollegen Neil Armstrong im Traum nicht eingefallen. In Damien Chazelles Apollo-11-Drama „First Man“, das vergangenes Jahr die Welle der Filme und Bücher zum Mondlandungs-Jubiläumsjahr unter Donnern, Klappern und Quietschen einläutete, lässt sich einmal mehr besichtigen, was für ein introvertierter Schweiger der erste Mensch auf dem Mond war. Und welche von einem überwältigenden Sounddesign untermalte Zerreißprobe für Mensch und Material die Reise zum 384 400 Kilometer entfernten Erdtrabanten ist.

„Der Weltraum ist riesig und kalt und dunkel, sehr, sehr dunkel“, zitiert der Schriftsteller Norbert Zähringer Juri Gagarin in seinem jüngsten Roman „Wo wir waren“. Darin fungiert die Mondlandung als schicksalhafte Weichenstellung im Leben eines Waisenjungen. Und Neil Armstrong fährt nach den ersten Schritten im weichen Mehl der Mondoberfläche die existenzielle Ausgesetztheit des Menschen im Universum in die Glieder. „Still muss es sein, dachte er, während er sich atmen hörte, vollkommen still.“ Der lunare Landeplatz heißt nicht von ungefähr „Meer der Ruhe“. Der Erdtrabant schweigt. Im Gegensatz zur in der Science-Fiction unablässig Geräusche fabrizierenden Menschheit und ihren dröhnenden Raumschiffen. Ein Vakuum, das keinen Schall weiterleitet, ist nicht kompatibel mit der Populärkultur.

Der atmende Mensch ist eine Metapher der Astro-Ikonografie

An der Nabelschnur. Ed White, der erste amerikanische Weltraumspaziergänger, am 3. Juni 1965.
An der Nabelschnur. Ed White, der erste amerikanische Weltraumspaziergänger, am 3. Juni 1965.

© NASA

Und tatsächlich ist der atmende Mensch eine beherrschende Metapher der Astro-Ikonografie. Kein Weltraumspektakel hat die in der Schwerelosigkeit wirkenden Fliehkräfte in 3-D packender in Szene gesetzt als Alfonso Cuaróns „Gravity“ von 2013. Die Hauptdarsteller Sandra Bullock und George Clooney trudeln in ihren Raumanzügen ohnmächtig im Satellitenschrott umher. Ihre panischen Atemstöße dienen als Seismograf der auf sie einwirkenden lebensfeindlichen Gewalten. Temperaturen, die zwischen plus 125 und minus 100 Grad schwanken, kein Luftdruck, kein Sauerstoff. „Leben im Weltall ist nicht möglich“, konstatiert kühl der Vorspann.

Da hilft dem fragilen menschlichen Körper nur eine unzerstörbare Hülle, ein Miniraumschiff zum Anziehen: der Raumanzug. Er prägt das Erscheinungsbild des Astronauten genauso wie seine Bewegungen. Die tapsigen Schritte auf dem Mond und natürlich das jede Erdenschwere überwunden wähnende Schweben.

Der ersehnten und gefürchteten Schwerelosigkeit huldigen in den Siebzigern und Achtzigern auch die Popmusiker. Bekannte Astronautenlieder sind „Walking On The Moon“ von The Police, David Bowies „Space Oddity“, Elton Johns „Rocket Man“ und in Deutschland Peter Schillings „Major Tom (völlig losgelöst)“. Die drei letzten thematisieren das Heimweh und die Einsamkeit des Raumfahrers im ignoranten All. Keine Spur mehr vom fingerschnipsenden Optimismus des Jazzstandards „Fly Me To The Moon“, den Frank Sinatra 1964 populär macht und der sich zur inoffiziellen Hymne der „Apollo 10“ und „Apollo 11“-Raumflüge mausert. So oder so: Die popkulturelle Faszination fürs Weltall, die sich auch in immer neuen Spin-offs von Marken wie „Star Trek“ oder „Star Wars“ manifestiert, ist ungebrochen und längst losgelöst von der realen Raumfahrt. Der letzte Mensch setzte 1972 den Fuß auf den Mond.

Das Wandbild "Astronaut Cosmonaut" in der Oranienstraße.
Das Wandbild "Astronaut Cosmonaut" in der Oranienstraße.

© Kitty Kleist-Heinrich

Wie scharfkantig und von Mikrometeoritenschauern aufgeraut Metallflächen im Weltall sind, kann man den Berichten von ISS-Astronauten entnehmen. Und selbst wenn Science-Fiction-Filme wie „Passengers“ (2016) den Schutzanzug erotisch konnotieren und Jennifer Lawrence nackt in den Raumanzug steigen muss, um mit Partner Chris Pratt einen romantischen Weltraumspaziergang zu unternehmen, steht die lebenssichernde Funktion des Außenbordanzugs im Vordergrund. 21 Materiallagen aus Textil, Kunststoff und Metall beschreibt der Autor James Donovan in seiner detaillierten historischen Aufarbeitung „Apollo 11“.

Die Druckanzüge kühlen, wärmen, schützen gegen Strahlung, stellen die Sauerstoff- und Energieversorgung sowie die Kommunikation sicher. Den Plexiglashelm veredelt ein goldbedampftes Klappvisier gegen die aggressive Sonneneinstrahlung. Den Menschen hier lebensfähig zu halten, ist nur unter erheblichem Aufwand und mit zeitlicher Begrenzung zu haben. In der seriellen Vermummung verschwindet der Astronaut als Individuum.

Die Kreatürlichkeit des Weltraumritters

Und ausgerechnet die Rüstung zeigt dem Weltraumritter seine Kreatürlichkeit auf. Hilflos und zum Tod durch Ersticken und Erfrieren verdammt trudeln die von der Sicherheits- oder Versorgungsleine getrennten, in unschuldig reines Weiß gekleideten Astronauten in „Gravity“ und unzähligen anderen Sternensagas durchs tödlich schwarze All. Ist die Nabelschnur gekappt, wird aus dem im fiktionalen Rahmen oft in Embryonalhaltung dahinschwebenden Raumfahrer ganz schnell eine tragische Figur. Und wenn verzweifelte Funksprüche in der Leere des Alls unbeantwortet bleiben, verwandelt er sich in die ultimative Metapher der Isolation. Eine Lichtgestalt technologischen Fortschritts, der seine Opfer fordert.

Dass in der Grenzüberschreitung des Menschen seine Begrenztheit offenbar wird, ist eine Demütigung, die ein Kinovisionär wie Stanley Kubrick keinesfalls akzeptieren kann. Im legendären Weltraumepos „2001: Odyssee im Weltraum“ von 1968 schickt er einen Astronauten nach einem Flug vom Mond zum Jupiter durch einen psychedelischen Farbenrausch. Um ihn dann am Ende mit sich selbst in verschiedenen Altersstufen zu konfrontieren, sterben zu lassen und wieder zu gebären. Im Schlussbild schwebt der Fötus als Prototyp des „neuen Menschen“ zu den Klängen von „Also sprach Zarathustra“ in einer den Raumanzug ersetzenden Fruchtblase durch das All.

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Was Neil Armstrong zu dieser künstlerischen Überhöhung seines Berufsbildes gesagt hat, ist nicht überliefert. Die in letzter Zeit auch im Film deutlich beliebtere Deutung, dass Astronauten eher durchtrainierte Piloten und erstklassige Ingenieure als Philosophen, Poeten oder gar die nächste humanoide Evolutionsstufe sind, hätte ihm mit Sicherheit näher gelegen. Umso erstaunlicher, dass das Gefühl des Zurückgeworfenseins auf die eigene Existenz im interstellaren Raum auch die rustikalen Raumfahrer der Apollo-Missionen ergriffen hat. Gleichzeitig mit der Verehrung irdischer Schönheit, wie sie in den berühmten „Earthrise“-Fotos der „Apollo 8“-Mission ihren Ausdruck findet. Allerdings ohne ein grundlegend neues Verständnis für deren Versehrbarkeit und Schutzbedürftigkeit in die Köpfe der Erdlinge zu beamen.

Crewmitglied James Lovell beschreibt den Mond als kalte, leblose Welt in Schwarz, Weiß und Grau. Die Erde dagegen sei eine Oase in der Wüste des Weltalls, „ein leuchtender Saphir auf schwarzem Samt, die einzige Farbe, die wir im Universum von unserer Position aus wahrnehmen können“. Diesen kosmischen Perspektivwechsel hat durch die Augen der Astronauten die ganze Welt vollzogen. Die Reisen zum Mond bewirken die Entdeckung der Erde.

Das ist das Paradox der Weltraumfaszination, das sich auch im Berliner Stadtbild wiederfindet. Im „Sputnik“, der in Originalgröße als Geschenk des sowjetischen Botschafters oben auf dem Anfang der Sechziger erbauten Café Moskau in der Karl-Marx-Allee prangt. Im haushohen Wandbild „Astronaut Cosmonaut“, das der Street-Art-Künstler Victor Ash 2007 auf die Wand in der Kreuzberger Oranienstraße malt. Und in direkter Nachbarschaft der Berlinischen Galerie, wo unter dem Titel „Seventies“ hölzerne Astronautenskulpturen vor dem Atelier des Bildhauers Albrecht Klink paradieren. Steife, ein wenig traurige Gestalten, den blinden Blick im Goldvisier der Zukunft zugewandt.

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