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Naomi Campbell auf dem Cover der thailändischen "Vogue".

© Barbara Walton/dpa

Von Karl Kraus bis zur "Vogue": Chefredakteure: Allein und gemeinsam

Was macht einen Chefredakteur erfolgreich? Der Literaturwissenschaftler Matthew Philpott sucht im Webmagazin „Eurozine“ eine Antwort. Die Zeitschriftenkolumne.

Von Gregor Dotzauer

Die Betriebsgeheimnisse von Ameisenhügeln und Bienenstöcken sind hinreichend erforscht. Strenge Arbeitsteilung, grenzenlose Solidarität und knallhartes Matriarchat finden zu einer effizienten Ordnung zusammen, die sich von innen heraus kaum zerstören lässt. Wie dagegen Redaktionen funktionieren, wenn sie funktionieren, wissen oft nicht einmal sie selbst. In jedem dieser mal mehr, mal weniger chaotischen Gebilde herrschen andere Regeln. Wissenschaftler sind bisher aus gutem Grund vor der Analyse ihrer Erfolge und Misserfolge zurückgeschreckt. Denn wie viele, nicht selten unvereinbare Faktoren müssen dabei gegeneinander abgewogen werden: die wirtschaftliche Bilanz gegen den publizistischen Einfluss, die Printmarke gegen das Online-Geschäft oder die Qualität individueller Leistungen gegen die Stabilität des Kollektivs.

Mit dem Liverpooler Literaturwissenschaftler Matthew Philpotts eine allgemeine Antwort auf die von ihm auf eurozine.com gestellte Frage „What Makes a Great Magazine Editor?“ zu finden, grenzt deshalb ans Unmögliche. Sich auf gut 20 bedeutende Zeitschriften von literarisch-intellektuellem Zuschnitt aus dem deutschen, französischen und englischen Sprachraum zu beschränken, macht die Sache nur scheinbar einfacher.

Auch hier will das Unvergleichbare verglichen werden: „Die Fackel“ von Karl Kraus mit den „Temps Modernes“ von Jean-Paul Sartre, „Maß und Wert“, Thomas Manns kurzlebige Zweimonatsschrift aus dem Exil, mit der „New York Review of Books“, die Robert B. Silvers 54 Jahre lang regierte, bis mit seinem Tod im vergangenen Jahr Ian Buruma die Nachfolge des Monarchen antrat. Allein das Nebeneinander von Schriftstellern und reinen Chefredakteuren wie Silvers, die dennoch die Gloriole des „Ersatz-Autors“ umgab, macht dies schwer.

Kein Job für Faulenzer

Verräterisch ist schon, dass Philpotts seine „Sieben Thesen über redaktionelle Pluralität“ mit einem Beispiel vom anderen Ende des Magazinspektrums beginnt. Erst im Oktober 2017 versuchte sich Alexandra Shulman, bis dahin ein Vierteljahrhundert lang Herrscherin über die britische „Vogue“, in Imrad Ameds Webmagazin „The Business of Fashion“ (www.businessoffashion.com) an der Beantwortung der nämlichen Frage. Mit Blick auf die Figur des Chefredakteurs erklärte sie: „Es ist sicher kein Job für jemanden, der sich lieber auf die faule Haut legt und es für seine Hauptaufgabe hält, sich im Kreis berühmter Freunde in Designerklamotten fotografieren zu lassen.“

Viele verstanden das als Gruß an ihren Nachfolger Edward Enninful, den ersten Mann in der Geschichte der britischen „Vogue“. Naomi Campbell hatte auf Instagram ihrer Freude über den Amtsantritt des Modestylisten Ausdruck verliehen und Shulman, die sich ausschließlich mit weißen, überwiegend weiblichen Mitarbeitern umgeben hatte, zugleich mangelndes Diversitätsbewusstsein vorgeworfen. Wie bunt Enninful das Blatt nun auch gestaltet, er hat zumindest einen Vorteil: Er ist schwarz, er ist schwul, und er stammt aus Ghana.

Philpott's Essay ist der Auftakt einer ganzen Reihe

Das ist noch kein Inhalt, aber eine Botschaft. Vielleicht ist die „Vogue“, die von den Oberen im amerikanischen Condé-Nast-Imperium sicher als reine Geldmaschine betrachtet wird, in dieser Justierung der Marke am Ende sogar dem verwandt, was andere in Selbstausbeutung als publizistisches Ethos verkaufen. Das kühle, von moralischen Wertungen ungetrübte Auge des Soziologen wird die strukturelle Ähnlichkeit erkennen.

Philpotts’ Skizze ist der Auftakt zu einer Reihe, die der Arbeitskreis Kulturwissenschaftliche Zeitschriftenforschung mit „Eurozine“ organisiert. Unter der Ägide des Berliner Zentrums für Literatur- und Kulturforschung und des Essener Institute of Advanced Study in the Humanities beschäftigen sich rund 30 meist deutschsprachige Wissenschaftler mit der Geschichte und Ästhetik einschlägiger Publikationen. Philpotts stößt immer wieder auf ein Paradoxon: Im selben Maß, in dem die Leistung des „Editors“ auf der tatkräftigen Unterstützung von anderen beruht, muss er sich von ihnen als charismatischer Entscheider absetzen. Dies auszutarieren, ist eine Kunst, die auf Dauer offenbar den wenigsten gelingt.

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