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Winterliche Idylle: Ein Nadelwald im bayerischen Bernbeuren.

© Foto: Karl-Josef Hildenbrand/dpa/picture-alliance

Von der Weihnachtstanne bis zum Hambacher Forst: Der Atem der Welt

Ob im Gezi-Park, im Stuttgarter Schlossgarten, im Hambacher Forst – oder Weihnachten: Warum die Menschen so sehr an den Bäumen hängen.

Sie produzieren Bestseller. Sie provozieren Kämpfe. Und Weihnachten will jeder einen eigenen haben. Bäume.

Keine Kultur, keine Menschheitsepoche, keine Religion, die nicht über Weltenbäume, Lebensbäume, Stammbäume, heilige Haine, Paradiesbäume oder Weihnachtsbäume verfügt. Letzterer breitet sich ab dem 15. Jahrhundert aus dem Elsass über Deutschland in alle Welt aus und macht aus der Feier von Christi Geburt – ein heidnisches Baumfest.

Tannenduft und Lichterglanz lassen Kinderaugen glänzen. Die der Mädchen und Jungen, die sonst nichts lieber tun, als auf Bäume zu klettern, welche wiederum die natürliche Verbindung des Menschen zum Himmel sind. Ja, in Mythen wie dem nordischen Edda-Epos ist die Weltesche Yggdrasil gar der Ursprung der Welt. Tief in der Erde verwurzelt, hinauf zum Kosmos strebend, unumstößlich robust, zart verästelt und so viel älter und ewiger als das Menschengeschlecht. Die Liebe zum Baum ist dem Menschen gewissermaßen in die hölzerne Wiege gelegt. Genauso wie der Wille, den Baum zu schützen.

Ein unglaubliches Gefühl, in einer Baumkrone zu leben

Indigo hat ein Jahr in den Bäumen gelebt. Bis zur Räumung ihres Baumhaus-Dorfs im Hambacher Forst im September. Doch wenn die 23 Jahre alte Aktivistin jetzt davon erzählt, klingt in ihrer hellen Stimme immer noch das Staunen über die unmittelbare Naturerfahrung mit. „Es ist eine unglaubliches Gefühl, in einer Baumkrone zu leben, wo du morgens nur von einer vorbeihuschenden Haselmaus geweckt wirst.“ Mitten in der Natur zu sein, in einer Gemeinschaft Gleichgesinnter. „Das hat einen Zauber.“

Und um den zu spüren, muss man weder Esoterikerin noch Romantikerin sein. Es sei nicht irrational, in einen uralten Baum zu steigen und zu seinem Schutz ein Baumhaus zu bauen, betont sie. „Angesichts der Klimaentwicklung ist es irrational, es nicht zu tun.“ Da ist was dran. Wälder sind Sauerstofflieferanten, Kohlendioxid-Speicher und wasserverdunstender Temperaturabkühler.

Inzwischen kämpft Indigo außerhalb des einstweilen vor der Abholzung durch den Energiekonzern RWE geretteten Waldes weiter für ein Ende der Braunkohleverstromung und weltweite Klimagerechtigkeit. Auf die Bäume hat sie das Unbehagen über globale und gesellschaftliche Entwicklungen getrieben. „Es ist eine viel faszinierendere Protestform als einfach nur als Campaignerin vor einem Computer zu sitzen.“ Bäume schützen ist also nicht nur Politik, sondern auch Abenteuer? Sie lacht. „Die Welt zu verändern, ist immer ein Abenteuer“, sagt Indigo.

Wieder einmal wird Bäume schützen zum Symbol

Dieselbe Mischung aus individueller Aufbruchseuphorie und gesellschaftlicher Empörung über die bleierne Untätigkeit der Regierenden liegt auch über den Solidaritätsdemonstrationen für die Hambach-Protestierer. Sie ziehen im Herbst in Berlin durch die Straßen. Da laufen freundliche, mehr nach Neo-Hippies als nach Schwarzem Block aussehende Leute mit Kinderwagen und kunterbunten „Hambi bleibt“-Plakaten durch die Straßen. Sichtlich erleichert darüber, dass da endlich wieder welche sind, die was tun. Die sich dem Gespenst des Klimawandels entgegenstellen, das dieses Jahr den dissonanten Grundton zu den endlosen Sommerfreuden geliefert hat.

Baumschützer in Aktion. Ein Baumhaus im inzwischen geräumten Hambacher Forst.
Baumschützer in Aktion. Ein Baumhaus im inzwischen geräumten Hambacher Forst.

© dpa/Roland Weihrauch

Und wieder einmal wird Bäume schützen zum Symbol. So wie 2013 im Gezi-Park in Istanbul, als die autoritäre, den Stadtumbau mit aller Macht vorantreibende Staatsführung die Baumschützer bekämpft, inhaftiert und im Prozess zu Staatsfeinden erklärt. Oder 2010 in Stuttgart, wo der Protest gegen den Bahnhofsneubau der Deutschen Bahn im Schlossgarten eskaliert. Dort haben die Besetzer ihren Widerstand ebenfalls in Form von Baumhäusern in die Kronen der zur Fällung vorgesehenen Parkbäume gepflanzt.

Der 60 Jahre alte Software-Entwickler Eberhard Linckh hat sich in Hambach und auch in Stuttgart schon mehrere Male von der Polizei mit Hubwagen und Kränen aus Bäumen holen lassen. Er ist Mitglied jener Umweltorganisation, die seit 1982 die im Baumschutz liegende Romantik im Namen führt: „Robin Wood“. Linckh, der als Umweltaktivist auch auf Dächer klettert, um dort Protestbanner aufzuspannen oder sich von Brücken abseilt, stellt immer wieder fest, dass Baumschützern die Sympathien zufliegen. „Die Leute bewundern einen dafür.“ Immer wieder habe er sich im Schlossgarten von seiner Pappel abseilen müssen, um neugierige Fragen von Passanten zu beantworten. „Die Menschen schauen endlich wieder richtig auf die Bäume. Dieses Schärfen der Wahrnehmung ist ein wichtiger Effekt.“ Das empfinden auch die Aktivisten selbst, die sich im grünen Blätterdach, wo weniger Kletterkundige vor Angst schlottern würden, geborgen und befreit fühlen.

Korrektiv zu menschlichen Herrschaftsfantasien

Jana Ballenthien, Soziologin, Naturpädagogin und Wald-Referentin bei „Robin Wood“, hat für ihre Doktorarbeit über „Umweltaktivismus im digitalen Zeitalter“ Interviews mit Baumschützern geführt. Alle erzählen, wie die politische Absicht, ein Zeichen gegen Umweltzerstörung zu setzen und der damit einhergehende Thrill der Baumbesetzung, vom alsbald einsetzenden Verbundenheitsgefühl mit dem Naturwesen Baum abgelöst oder zumindest um diese Faszination ergänzt wird. Dass sei ein in Wind und Wetter mit allen Sinnen erfahrener Wahrnehmungskick, der das von der Umweltsoziologie ausgemachte Dilemma, dass hohes Umweltbewusstsein nicht automatisch zu ebensolchem Handeln führt, aushebele. „Baumschützer verstehen, dass Menschen und Bäume zum selben Ökosystem gehören und deren Zerstörung ihnen ins eigene Fleisch schneidet.“

Gefühlsduselei und Naturschwärmerei unterstellte die Holzindustrie Ende der neunziger Jahre schon der berühmten Baumschützerin Julia Butterfly Hill, die zwei Jahre auf einem kalifornischen Mammutbaum verbrachte. Aber auch die aktuelle Wahrnehmung der Baumschützer hat damit nichts zu tun. Eher schon mit der angesichts zunehmender Wetterextreme reifenden Erkenntnis, dass es dem Menschen nichts nützt, auf seine jahrhundertelang gepflegte Position als Krone der Schöpfung zu pochen. Da bieten sich Bäume als symbolisches Korrektiv zu den menschlichen Herrschaftsfantasien an.

Der Atem der Welt

Winterliche Idylle: Ein Nadelwald im bayerischen Bernbeuren.
Winterliche Idylle: Ein Nadelwald im bayerischen Bernbeuren.

© Foto: Karl-Josef Hildenbrand/dpa/picture-alliance

„Kein anderes Wesen ist mit dem Geschick der Menschheit so vielfältig, so eng verknüpft wie der Baum“, schreibt Alexander Demandt in seiner Kulturgeschichte „Über allen Wipfeln“. Das ist eine Hypothek in Deutschland, seit der Natur-Idealisierung der Romantik, erst recht seit dem Nationalsozialismus, der Wald und Naturschutz für nationalistische und militaristische Umtriebe instrumentalisierte. Baumschutz deswegen als Aufstand urdeutschen Gemüts zu diffamieren, wie es hierzulande bei jeder neuen Aktion schnell geschieht, ist schon deswegen Unsinn, weil es den universellen Symbolcharakter der Bäume verkennt. Und die internationale Tradition ihres Schutzes. Vom Berliner Landwehrkanal bis in den indischen Teil des Himalayas, überall gehen Menschen gegen das Fällen von Bäumen an, teils unter Einsatz von Leib und Leben. Oft nicht wissend, aber vielleicht ahnend, was heute jeder im Internet lesen kann: Um die Stoffwechselleistung einer hundertjährigen Buche zu ersetzen, muss man 2500 junge Buchen pflanzen. In Indien wehren sich in den siebziger und achtziger Jahren des 20. Jahrhunderts die Bäume umarmenden Bäuerinnen der Chipko-Bewegung gegen Rodungen, die Erosion und Überflutungen zur Folge haben. Schon ein Jahrhundert zuvor geht in den Vereinigten Staaten, für deren „Nation Building“ Wälder von zentraler Bedeutung sind, der Schriftsteller, Umweltaktivist und Nationalparkgründer John Muir gegen den rabiaten Kahlschlag an. Sein im Zuge der Nature-Writing-Welle neu erschienener Essayband „Bäume vernichten kann jeder Narr“ vereint die selbe Gemengelage aus Umweltpolitik und Naturfaszination, die jetzige Baumbesetzer antreibt.

Tatsächlich ist die von Peter Wohllebens Welterfolg „Das geheime Leben der Bäume“ angeführte Schwemme populärer Naturbücher das sichtbare Symptom einer Kehrtwende in der Naturauffassung. Und zugleich eine Gedächtnis- und Trauerarbeit, die wie beim Berg- und Dorfroman Lebenswelten beschwört, welche im Anthropozän längst jeder Idylle entkleidet sind.

Die alten Baum-Mythen sind abgeräumt

Dass der Mensch im Baum nicht nur das Andere, sondern auch sich selber erkennt, ist ein kulturelles Konstrukt. In der Naturschriftstellerei tritt es offen zu Tage. Selbst im jüngsten, fälschlich als „Buch zum Hambacher Forst“ einsortierten Roman „Die Wurzeln des Lebens“ von Richard Powers, der von US-Umweltaktivisten der achtziger Jahre erzählt. Esoterik, Eskapismus, Öko-Kitsch – das alles findet sich in diesem in seinen Naturbeschreibungen trotzdem berührenden Ziegelstein gut gemeinter Gesinnungsliteratur. Seine sichtlich der „Baumfrau“ Julia Hill nachempfundene wichtigste Protagonistin wird von inneren Stimmen zu einem von Holzfällern bedrohten Sequoia-Mammutbaum geführt.

Mein Freund, der Baum. Das grüne Blätterdach des Teutoburger Waldes.
Mein Freund, der Baum. Das grüne Blätterdach des Teutoburger Waldes.

© Friso Gentsch/dpa

Handgreiflicher fällt da die Deutung des Hamburger Naturtheoretikers und Kulturhistorikers Ludwig Fischer aus. Im Februar kommt sein Buch „Natur im Sinn“ über Naturwahrnehmung und Literatur heraus. Der Gärtner und emeritierte Philologe antwortet betont nüchtern auf die Frage, was die Menschen in Gestalt von Bäumen eigentlich wirklich schützen: „Ein Element der belebten Umwelt, das eine rein symbolische Funktion hat.“

Die alten Baum-Mythen, ob heidnisch oder christlich verbrämt, seien durch Aufklärung, Technologie, Verwissenschaftlichung abgeräumt worden. „Heute ist der Wald Rohstoff.“ Und genau gegen diese kapitalistische, technokratische Haltung richte sich in Wahrheit der Protest, ob in Hambach oder anderswo. Die eigentliche Forderung laute: „Geht anders mit den Lebewesen um, mit denen wir zusammenleben und auf die wir angewiesen sind.“

Der Entfremdung zwischen Mensch und Natur entgegenwirken

Die Sentimentalisierung, Pädagogisierung und Vermenschlichung der Natur, wie Baumbücher sie betreiben, ist für Fischer der falsche Weg. „Bäume sind eben nicht wie wir.“ Dem Menschen fehle bisher der Begriff für deren Wahrnehmungskörper und deren Wahrnehmungsorganisation.

Der Entfremdung zwischen Natur und Mensch kann etwas entgegenwirken, was der italienische Philosoph Emanuele Coccia beschreibt. Er entwirft in seinem Essay „Die Wurzeln der Welt“ das Bild eines von Pflanzen belebten Kosmos, in dem mitnichten der Mensch das Zentrum ist. Vielmehr atmen Menschen und Tiere ein, was die Wälder liefern. Oder wie Coccia schreibt: „Die Luft, die wir atmen, ... ist tatsächlich der Atem anderer Lebewesen.“ Man muss kein Baum-Knutscher sein, um zu verstehen, dass ihnen allein dafür jeder Respekt gebührt.

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