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Der als zögerlich verrufene Joe Biden zeigt in der Coronakrise, dass Politik auch Mut zum Handeln bedeutet.

© Kevin Lamarque/Reuters

Von der Krise lernen: Kompromisse sind nicht automatisch besser als Nichtstun

Corona-Tagebuch Leipzig Teil Drei: Manchmal bewirkt der Mensch auf Erden Wunder – oder was die Bundeskanzlerin von Joe Biden lernen könnte.

Klaus Brinkbäumer ist Programmdirektor des Mitteldeutschen Rundfunks in Leipzig. Sie erreichen ihn unter Klaus.Brinkbaeumer@extern.tagesspiegel.de, auf Twitter unter @Brinkbaeumer.

Das Wort „Coronaläppchen“ habe ich vor einigen Tagen erstmals gehört. Verdientermaßen, denn ich hatte alten Stoff vor Mund und Nase, kariert und bunt, und er stammte aus New York City, aber das half mir nicht gegen den Spott. „Hat dort ja super funktioniert“, sagte die Schimpfende, und ich schwieg.

– Der Leipziger Süden rettet die Leipziger, heute. Zuerst kommen die Wälder, denn man kann gleich im Clara-Zetkin-Park beginnen und stundenlang im Grünen bleiben. Dann kommen die Seen. Aus Frühlingsluft wurde Winterluft, nun wieder Frühling, und ich fahre Rad ohne Maske, segle ohne Maske, und zum ersten Mal tue ich solche Dinge mit dem Ziel, frei und ungebremst und unbesorgt und tief atmen zu können. Ausgerechnet hier.

Der Leipziger Süden war einst Heimat des Braunkohlebergbaus, über der Stadt lag eine ständige Staubschmutzschicht. Viele Kinder erkrankten, einige starben, alle Erwachsenen wussten es, doch offizielle Wahrheit war dies bis 1989 nicht. Die Seen sind geflutetes Kohleland. Denn es kann geschehen, dass der Mensch auf der Erde Wunder wirkt

Regierungen können in der Pandemie Fehler machen

– Die Verwaltung findet für Wunder Wörter aus der ihr bekannten Sprache: „Bergbaufolgelandschaft“ heißt der Leipziger Süden in Dokumenten der Stadt, und was der Cospudener See ist, heißt für Liebende „Cossi“, in der Akte aber „Tagebaurestloch“.

– Dass die Regierung Fehler macht, verstehe ich: Die Pandemie ist komplex, das mutierte Virus wieder ein unbekannter Gegner. Das Wurschtige, Unkonzentrierte verstehe ich nicht. Angela Merkel sagte vor 14 Tagen bei „Anne Will“, dass sie nicht wieder 14 Tage lang abwarten werde.

Tagesspiegel-Kolumnist Klaus Brinkbäumer.
Tagesspiegel-Kolumnist Klaus Brinkbäumer.

© Tobias Everke

– Dass die Kritik von allen Seiten kommt, ist angebracht. Die „New York Times“ diagnostiziert Ursula von der Leyens und Europas „Fiasko“. Der elegante Wolfgang Ischinger, 75, sagt im Tagesspiegel, Deutschland sei aus dem Takt, handle wirr, sei ambitionslos. Der nichtelegante Rezo blickt auf Regierung und Ministerpräsidenten und sieht einen „Haufen inkompetenter Dullis“: wissenschaftsfeindlich und noch immer nicht handelnd. Anglizismen sind selten cool, Rezo aber hat sich eine individuelle Sprache erschaffen: „Was ist das fürn low-Bock-Verein?“ Er meint die Union. Und er meint deren Verhalten: „Das ist straight-up Korruption, Alter.“

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– Neues aus den USA: Joe Biden handelt. Ausgerechnet er, nach Jahrzehnten als Kompromisse suchender Senator und Vizepräsident, zeigt mit 78 Jahren, dass Politik anders sein kann. Er nimmt gewaltige Geldmengen in die Hand und hat seinen Covid-Plan zum Gesetz gemacht; Amerika impft und hilft den Leidenden. Danach geht es um die Besteuerung von Weltkonzernen, um Geld, das in Bildung, Infrastruktur, Klimapolitik gelenkt werden soll, endlich.

In Washington heißt es, die 30- bis 40-jährigen der Stadt hätten dem Präsidenten die Wucht heutiger Krisen vermittelt und auch diesen Gedanken, den nun Biden bitte der deutschen Kanzlerin erklären könnte: Kompromisse sind nicht automatisch besser als nichts. Biden richtet sein Denken an China aus, dem Tempo des totalitären Kapitalismus. Die Demokratie muss mithalten, so redet Joe Biden. Für die Welt wäre es besser.

– Neues Altes aus den USA: Dejywann R. Floyd, 29, Jahre alt, saß in seinem Chevrolet auf der Interstate-95 in North Carolina, als das Fahrzeug von Julie Eberly, 47, und deren Ehemann Ryan wegen eines Spurwechsels nahe kam. Floyd wurde wütend, griff zur Waffe, die neben ihm lag, da Waffen in den USA immer griffbereit daliegen. Er schoss und tötete Julie, die mit Ryan den Hochzeitstag feiern wollte, ohne die sechs Kinder.

Klaus Brinkbäumer

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