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So stellte man sich in den Siebzigern die Zukunft vor. Der Firebird von General Motors.

© General Motors Company

Vom Stadtbild bis zu Ölkriegen: Wie das Automobil jeden Aspekt unserer Gesellschaft prägt

Das Auto veränderte alles. Es stand immer für die Zukunft. Und heute? Das Victoria & Albert Museum erkundet seine Kulturgeschichte in einer Riesenschau.

Welches ist das schönste Auto der Welt? Der Jaguar E-Type, fand zumindest Rennfahrer und Autobauer Enzo Ferrari. Der Flitzer ist windschnittig und schnell, auf das elegante Design aus den 1960er Jahren sind die Briten bis heute stolz. Eine neue Version des Jaguar E-Type im klassischen Wintersonnenstahlblau steht im Foyer des Victoria & Albert Museums in London und bildet den Auftakt zur Ausstellung der „Cars“.

Der Jaguar E-Type ist mit einer Kordel abgesperrt. Hineinsetzen darf man sich nicht. Prinz Harry und Herzogin Meghan haben diesen Wagen als Hochzeitskutsche genutzt. Das macht ihn besonders. Aber das wirklich Überraschende an diesem Auto ist: Er soll elektrisch laufen.

Die Diskussion Elektro oder Benzin ist fast so alt wie das Auto selbst. Sie wurde bereits in den 1880er und 1890er Jahren geführt. Damals liefen die meisten Autos mit Batterie. Jetzt kommt das Elektroauto als Zukunftstechnologie zurück.

Ein merkwürdiger Zeitpunkt für eine Auto-Ausstellung. Das Auto droht, uncool zu werden. Kurz bevor wir es nicht mehr selbst steuern und das Gefährt in Hochgeschwindigkeitsröhren verschwindet, werden nochmal Heckflossen und Chromleisten gefeiert. Das V & A liefert den notwendigen Stoff.

Gut zwei Dutzend Automodelle hat man in den Ausstellungsraum gerollt, viele davon waren zumindest in Großbritannien noch nie zu sehen. Mit dabei ist das erste Auto überhaupt: ein dreirädriger „Benz-Patent-Motorwagen“ von 1886, der noch stark an eine Kutsche erinnert und der nur zehn Kilometer pro Stunde fuhr.

Das erste Auto überhaupt: der dreirädrige „Benz-Patent-Motorwagen“, 1886.
Das erste Auto überhaupt: der dreirädrige „Benz-Patent-Motorwagen“, 1886.

© Courtesy of General Motors

Oder der LaSalle Roadster von 1927, das erste Auto, das nicht in Handarbeit, sondern in der Fabrik zusammengebaut wurde. Die Subkultur der Tuner und Schrauber repräsentiert ein getunter Chevrolet Impala Lowrider, gelb lackiert, mit aerodynamischen Streifen, bei dem vom blank polierten Motor bis zum Türgriff alles individualisiert wurde, selbst die Innenseite des Kofferraumdeckels ist verziert – mit einer Frau im knappen Top.

Das V & A zeigt das Auto vor allem als Designobjekt. Das Haus ist auf Kunsthandwerk spezialisiert, aktuell ist auch eine Ausstellung über die Minirock-Erfinderin Mary Quandt zu sehen, im nächsten Jahr wird das Design von Kimonos und Handtaschen analysiert. Popkultur ist hier schon lange ein Thema. Die Londoner David-Bowie-Ausstellung war später auch in Berlin zu sehen. Aber die Londoner Museen, vor allem das V & A, sind anderen Metropolen voraus.

[bis 19.April, Info: www.vam.ac.uk]

Um Autos ging es in der langen Tradition des Hauses noch nie. Nicht nur das Autodesign selbst ist Thema, auch wie man sich im Auto seit 1900 kleidete, wie es beworben wurde, wie man Tankstellen plante. Etliche Fotos erinnern daran, dass die Leuchtreklame eigens entwickelt wurden, damit Autofahrer sie wahrnehmen.

Brendan Cormier, der „Cars“ zusammen mit Lizzie Bisley kuratiert hat, trägt zur Eröffnung einen Overall. Der sieht viel zu sauber aus, als dass man auf die Idee kommt, Cormier hätte damit schon mal unter einer Karosserie gelegen. Trotzdem: das Auto wirkt in dieser Show alles andere als uncool.

Ebenso wenig will das V & A ein Fetischobjekt zelebrieren. Als Rundgang aufgebaut, zeigt die Ausstellung, wie sehr das Auto unser Leben im vergangenen Jahrhundert geprägt hat, ökonomisch, kulturell, sozial. Wie die Städte aussehen, wie wir Freizeit verbringen, wie wir Geschwindigkeit definieren, wie Fabrikarbeit organisiert ist – alles hat mit dem Auto zu tun. Das Auto hat sich stark verändert in den letzten 130 Jahren, aber immer stand es für Zukunft.

Das funktioniert jetzt nicht mehr. Das Auto mag noch so nachhaltig sein, fortschrittlich ist es nicht. Auffällig ist, wie sehr die heutigen radikal neuen Designs, vom E-Typ bis zum „Boring Project“ von Elon Musk, die Visionen der letzten 150 Jahre recyceln und wiederholen.

Dazu gehört der Hochgeschwindigkeitshighway und das autonome Fahren. Ein Werbefilm von General Motors von 1956 imaginiert den Autoverkehr im Jahr 1976. Eine amerikanische Familie sitzt im autonomen Vehikel, ein schnittiges Fire Bird-Modell, natürlich Hände vom Lenkrad, blitzblanker Highway. Sie sind ein bisschen aus dem Häuschen bei der Vorstellung, in der Zukunft staufrei durch die Gegend zu rasen.

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Auch der Traum vom fliegenden Auto hält sich beharrlich. Zeichnungen und Illustrationen quer durch die Epochen zeigen 20er Jahre-Dandys, die im Jugendstilauto zur Oper fliegen. Oder Zeichnungen zu Luc Bessons Science-Fiction-Blockbuster „Das fünfte Element“, in dem Polizeiautos in der Luft cruisen.

Wenn man sich an den tollen Autos, den Entwürfen von fliegenden Vehikeln und der lustigen Volkswagenwerbung aus den 1960er Jahren satt gesehen hat, geht es an die härteren Themen: die gierige Erschließung von Straßenland von Europa bis Australien und die skrupellose Jagd nach Öl.

Die Autoindustrie hat einen riesigen Bedarf an Öl, Benzin und Plastik ausgelöst, definiert Geopolitik und Ökonomie, Kriege und Krisen, machte manche Staaten reich und andere abhängig.

Zu sehen sind schöne Fundstücke, wie Dias von Straßen und Schotterwegen weltweit, die in einen frühen Michelin-Straßenatlas Eingang fanden. Oder Kartenmaterial, das die Verflechtungen der Ölindustrie aufzeigt.

Auch lernt man hier, dass das Auto fast von Beginn an ein globales Produkt war, mit starker lokaler Identität. Beispiel Iran: Der Shah orderte in den 1960er Jahren vom britischen Autobauer Rootes die Teile eines eckigen Hillman Hunter. Im eigenen Land wurden diese zum „Paykan“ zusammengebaut.

Der Paykan wurde zum beliebtesten Auto des Landes. Das Geburtstagslied, das ein Werber für die Karre erfand, ist jetzt das Standard-Geburtstagslied im Iran.

Am Schluss zeigt eine Grafik anhand von dicken und dünnen Linien, wie sich die Autoindustrie entwickelt hat: Traditionsautobauer der ersten Stunde existieren nicht mehr oder sind in multinationalen Konzernen aufgegangen.

Beim Auto geht es immer um mehr. Es soll schneller, größer, bequemer, billiger, sicherer und jetzt eben klimafreundlicher werden. Wegen der radikalen Änderungen, die kommen, lohnt der Schulterblick, sagt man im V & A. Die Schau ist anregend und gut durchdacht, aber am Ende ernüchternd.

Das „Pop.Up Next“ von Italdesign. So sollen Autos in Zukunft aussehen.
Das „Pop.Up Next“ von Italdesign. So sollen Autos in Zukunft aussehen.

© Italdesign

Man wird entlassen mit einem Blick auf das Concept Car von Italdesign, Airbus und Audi. „Pop.Up Next“ ist ein Flugauto, das aussieht wie Omis Kleinwagen. Es kann fahren und fliegen.

Trotzdem: Es bleibt eine Kapsel, in die man sich setzt, um den Ort zu wechseln, abgeschottet vom Außen. Ist das wirklich die Lösung? Bei allem, was wir über Autos gelernt haben, wollen wir doch nur wieder – ein Auto? Und wie gerade bekannt wurde: Jaguar hat den elektrischen E-Type-Flitzer abgesagt.

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