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Türen öffnen. Ahmad Mansour sucht besonders das Gespräch mit migrantischen Jugendlichen.

© Mike Wolff

Vom Radikalen zum Versöhner: Ahmad Mansour - ein Muslim, der Antisemitismus bekämpft

Alternativen zum Hass: Ahmad Mansour ist in Berlin für seine Arbeit mit muslimischen Jugendlichen mit dem Moses-Mendelssohn-Preis 2014 ausgezeichnet worden. Eine Laudatio.

Am gestrigen Montag wurde Ahmad Mansour im Roten Rathaus von Berlins Kulturstaatssekretär Tim Renner mit dem „Moses-Mendelssohn-Preis zur Förderung der Toleranz gegenüber Andersdenkenden und zwischen den Völkern und Religionen“ ausgezeichnet. Der Preis wird vom Land Berlin ausgelobt und alle zwei Jahre vergeben, er ist mit 10 000 Euro dotiert. Zur Jury gehörten Joachim Hake, Gideon Joffe, Friederike von Kirchbach, Brigitte Wieczorek-Schauerte sowie die Tagesspiegel-Redakteure Caroline Fetscher und Thomas Lackmann. Die Laudatio, die Sie hier lesen können, hielt Tagesspiegel-Chefredakteur Stephan-Andreas Casdorff.

Mittendrin sitzt Ahmad Mansour. Er redet mit den Schülern. Er stellt Fragen, mal einfache, mal schnelle. Er kommt darauf zurück. Denn: Er lehrt. Und das ist, um was es hier geht. Ahmad Mansour lehrt junge Menschen, lehrt uns, lehrt die Gesellschaft.

Er ist Psychologe. Hat das Fach studiert, wie auch Soziologie und Philosophie. Aber in erster Linie ist er Psychologe. Das muss er auch sein, bei dem, was er sich vorgenommen hat: den Kampf gegen Radikalisierung, gegen Unterdrückung im Namen der Ehre, gegen Antisemitismus.

Wie einfach sich das sagt: Er hat studiert. Er kämpft gegen Antisemitismus. Es ist ja alles andere als das. Nicht nur, weil es ein Kampf mit Worten ist, und der ist immer der schwierigste. Fäuste wirken schneller. Nein, es ist auch, weil er, Ahmad Mansour, nicht mal eben so studiert hat, wie es hierzulande möglich ist.

Durfte es sein, dass in ihm Empathie für Jüdisches wuchs?

Er ist Palästinenser aus Israel, 38 Jahre alt, er kommt aus Tira, einem kleinen arabischen Dorf in Israel, an der Westbank. Da ist der Weg nach Tel Aviv nicht weit, aber weiter als die paar Kilometer, die beide trennen. Es sind Jahrhunderte. Tira, sagt Ahmad Mansour, ist das 15. Jahrhundert. Was heißt: Die Aufklärung muss noch kommen. Oder man muss zur Aufklärung kommen. In die Neuzeit. Wie er.

Freud hat er gelesen, mit Freude, wie er sagt. Kant, Machiavelli. Es war ein Prozess. Ein Prozess der Aufklärung.

Der junge Ahmad war radikal. Zunächst. Nicht in dem Sinne radikal, dass er töten wollte. Sondern radikal im Abwerten der Lebensentwürfe, der Religion anderer, radikal darin, die anderen, die Falschgläubigen, unbedingt nach seinen Vorstellungen „erretten“ zu wollen. Er hatte Sympathien für Organisationen, die Gewalt anwenden, und für Musik, die von Gewalt handelt. Er lebte einen Dominanzanspruch. Er lebte das Jahrhundert, aus dem er kam.

Aber er hat sich befreit. Er sah die Doppelmoral: Da predigt einer Frieden und schlägt seine Kinder. Das stieß ihn ab. Stieß Neues in ihm an. Er konnte seine Neugier nicht unterdrücken. Tel Aviv, diese vitale Stadt!

Er las. Alles. Bücher, Biografien. Und lernte, Menschen zu lesen. Die Imame, seine Imame, warnten, weiter zu forschen. Aber die anderen Menschen, die er traf, Frauen, ja, Frauen, öffneten ihm die Tür. An der Universität in Tel Aviv. Er las Freud auf Hebräisch und Nietzsche auf Hochhebräisch. Damals sprach er perfekt, ohne den leisesten Akzent, keiner hörte, dass er Araber ist.

So war das – und so auch: Er hatte Ängste, viele, darunter auch die vor dem Verlust der sozialen Umgebung. Er hatte Schuld- und Schamgefühle. Er war in seiner Ideologie verunsichert. Konnte es denn sein, durfte es sein, dass in ihm Empathie für Jüdisches wuchs? Die Verfolgung, die Schoa, das Unrecht, alles nahm er in sich auf.

Wie einfach das klingt. Wie schwierig das ist. Und wie es ihn auszeichnet! Er, ein Araber, kämpft gegen Antisemitismus. Heute trägt er alles das in sich: das Wissen um sich, um die Welt, aus der er kommt, und den Wunsch, andere mitzunehmen, sie zu öffnen. Ihnen die Tür zu öffnen zu einer neuen Welt.

Muslime halten es aus, kritisiert zu werden.

Türen öffnen. Ahmad Mansour sucht besonders das Gespräch mit migrantischen Jugendlichen.
Türen öffnen. Ahmad Mansour sucht besonders das Gespräch mit migrantischen Jugendlichen.

© Mike Wolff

Seit neun Jahren lebt Ahmad Mansour nun hier, hier in Deutschland. Politisch redet und schreibt er Klartext gegen den Antisemitismus. Aber die Mütter, die Väter, die jungen Radikalen, die Islamisten – die will er gewinnen. Mit Denkanstößen. Zum Beispiel dem: Muslime sind Menschen wie alle, sind nicht schwach, sie halten es aus, kritisiert zu werden – sich anders zu verhalten, wäre für ihn Rassismus. So wie es Rassismus ist, Muslime immer nur als Problem zu sehen. Er ist ja selber Muslim.

Er ist ein Grenzgänger. Und das ist nicht ungefährlich, beileibe nicht. Er versteckt sich ja nicht. Diese Anrufe, E-Mails, die Rufe auf der Straße, doch, die machen ihm Angst. Aber da ist auch diese Anerkennung, die ihn motiviert und ihm Mut macht. Anerkennung, die so aussehen kann wie hier und heute, oder so: fünf Minuten Diskussion mit einem jungen Mann, der auf dem Weg zum Radikalismus ist. Für den er, nicht der Salafist, ein Feindbild ist. Fünf Minuten können lang sein. Sie können ein Leben verändern.

Viele Jugendliche – und mit denen arbeitet der Psychologe Ahmad Mansour in verschiedenen Gruppen und Organisationen, die „Leben“ heißen und „Helden“ – haben sich noch nicht entschieden, sind noch nicht auf dem falschen Weg. Sie sind einseitig und undifferenziert informiert. Da ist die Chance! Da sieht Ahmad Mansour das Positive: Hier ist das Potenzial für Bewegung, sagt er. Seine Stimme ist nur eine Stimme, sagt er auch. Aber sie soll eine sein, die die jungen Menschen in Bewegung bringt. Die sie zum Neuen ruft.

Jugendliche - hier ist das Potential für Bewegung

Wie einfach das klingt, nicht wahr? Es ist nicht so. Es ist so: Viele Freunde haben sich von ihm abgewandt. Antworten ihm nicht mehr. Weil er in ihren Augen nicht als der wahre Muslim lebt. Weil er in Deutschland mit einer deutschen Frau lebt ... Weil er nicht zurück will in ein altes Leben. Zu seiner Hochzeit hier in Berlin kam keiner, auch nicht zu der in Tira.

Ahmad Mansour will das nicht polemisch werten. Stattdessen sagt er: Ich lebe ihre unartikulierten Gefühle. So abgeklärt artikuliert er. Er hat seine und ihre Psyche erforscht. Er hat „Also sprach Zarathustra“ gelesen, hat gebebt bei dem Gedanken, dass Gott hässlich sein kann, dass er sterben kann.

Das kann eine Revolution auslösen, eine im Denken. Eine, die auch seine Eltern nicht glücklich macht. Sie leben patriarchalisch. Sie haben ihm vieles verboten – aber ihn rebellieren lassen. Sie sind traurig, er hat sie traurig gemacht, aber sie waren da, hier, in Deutschland. Und das war, weiß Gott, nicht selbstverständlich. Das Herkommen hat sie sehr angestrengt, es war so viel Neues, Unbekanntes. Auch wäre es heute für sie zu anstrengend gewesen. Bei uns ist es eine Leistung, wenn sie 70 werden, sagt Ahmad Mansour. Sein Vater ist über 70. Er hat an einer Tankstelle gearbeitet, Ahmad dann auch. Ja, es ist eine andere Welt.

Helden, die in ihrer Kultur bleiben wollen, sie aber infrage stellen.

Türen öffnen. Ahmad Mansour sucht besonders das Gespräch mit migrantischen Jugendlichen.
Türen öffnen. Ahmad Mansour sucht besonders das Gespräch mit migrantischen Jugendlichen.

© Mike Wolff

Hier, in dieser Welt, ist Ahmad Mansour jetzt zu Hause. Er findet, es ist eine gute. Es ist ein gutes Land, sagt er. Er wünscht sich Kinder, weil das Land mehr anzubieten hat als Karriere. Es hat die Freude anzubieten, Verantwortung zu übernehmen. Es bietet Selbstentfaltung an, ein gewaltfreies Leben, die Chance, viel einfacher als er Psychologie studieren zu können. Und lieben zu dürfen. Sich aus alten Gedankengebäuden zu befreien.

Dabei will er helfen. Nicht er allein, das sagt er immer wieder. Er spricht viel von den Kollegen bei „Hayat“, Leben, bei „Heroes“, Helden. Ja, Helden. Junge Männer sollen Vorbilder werden, 30 gibt es schon in Berlin, dem Senat und seiner Unterstützung sei Dank, sie kommen zu Workshops in Schulen. Junge Männer, die für Gleichberechtigung eintreten. Die in ihrer Kultur bleiben wollen, sie aber infrage stellen. Helden. Hundert sind es bundesweit.

Salafisten-Telefon, Fortbildung für die Polizei, gemeinsame Besuche mit Rabbi Daniel Alter: die Themen werden immer mehr

Ach, es gibt so viel zu tun. Das Salafisten-Telefon, eine Hotline, an die auch deutsche Eltern sich wenden. Die Fortbildung an der Polizeischule, um für die richtige Form der Ansprache zu sensibilisieren und bei Gefährdungsanalysen zu beraten. Die Arbeit mit einem Thinktank in Brüssel. Die freiberufliche Arbeit mit Jugendzentren. Die gemeinsamen Besuche mit Rabbi Daniel Alter, um gegen den Antisemitismus anzugehen. Die Diskussionen. Die Filme. Die Artikel, auch für den Tagesspiegel. Die Themen, sagt Ahmad Mansour, werden von Tag zu Tag mehr.

So schrieb er gerade, diesmal im „Spiegel“: „Da liegt das Problem: bei unhaltbaren Einstellungen vieler Muslime. Damit sich etwas ändert, damit der Islam wirklich geschützt wird, muss er sich reformieren und sollte sich den notwendigen Debatten öffnen. Junge muslimische Männer brauchen Alternativen zu Hasspredigern. Sie brauchen Vorbilder auf dem Terrain des moderaten Islam, Leute in ihrem Umfeld, ihren Gemeinden, die nichts – mehr – mit solchen Radikalen zu tun haben und kritisches, autonomes Denken ermutigen. Damit erst lässt sich dem Sog zum Fundamentalismus effektiv etwas entgegensetzen. Noch gibt es solche Impulse, leider, zu wenig.“

Aber es gibt sie. Wir müssen sie stärken. Die Jury hat beeindruckt, wie Ahmad Mansour für viele der arabischen und türkischen, aber auch deutschen Jugendlichen, mit denen er in Kontakt war und ist, ein beeindruckendes Vorbild wurde. Ein lebender Beweis, wie wichtig Reflexion, Empathie und solides Wissen sind, nicht stereotype Positionen. Geistig beweglich, gedanklich und emotional unabhängig, ernsthaft in seinem Kampf um Toleranz.

Hier sitzt er. Mittendrin. Er hat uns, er hat mich etwas gelehrt. Er ist, auf seine Weise, ein Held, Ahmad Mansour, der Preisträger des Moses-Mendelssohn-Preises 2014. Es ist uns eine Ehre.

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