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Abgesperrt. Leerer Spielplatz in den Ceciliengärten in Friedenau während des ersten Lockdowns.

© imago images/Cathrin Bach

Vom Lockdown-Alltag zur Lebenskrise: „Schwarz auf Weiß“ ist ein Corona-Roman mit Humor

Der Job ist weg, bleibt nur noch das Notizbuch. Andreas Lehmann lotet in seinem neuen Buch „Schwarz auf Weiß“ die existentielle Tristesse der Corona-Krise aus.

Wenn die historische Forschung einmal auf die Corona-Ära zurückblickt, wird sie wie bei einem großen Krieg eine Zäsur setzen mit einem Davor und Danach, nur dass der Kampf mit dem unsichtbaren Feind auf ein offenes Ende verweist.

Für den Protagonisten in Andreas Lehmanns zweitem Roman „Schwarz auf Weiß“, der so unaufgeregt daherkommt wie dessen Debüt über den unscheinbaren Papiereinkäufer Joscha Farnbach („Unter Tage“, 2018), fällt der Beginn der Epidemie allerdings zusammen mit seiner Kündigung bei einem Callcenter und dem Entschluss, sich selbständig zu machen.

Statt aber als Projektmanager für Betriebssport durchzustarten, hockt Martin Oppenländer isoliert in seiner Wohnung, nachbarschaftlich bedrängt von einem Klavier übenden Musikstudenten, und füllt seinen Unterstützungsantrag bei der Landesförderungsanstalt aus: „Statt Antriebshilfe Hungerhilfe.“

Sein einziges Projekt besteht momentan darin, „die Zeit zu organisieren, in der es nichts zu managen gibt“ und sein früheres Angestelltendasein mit dem Leben eines zum Nichtstun verdammten Freiberuflers zu vergleichen. Und sein Notizbuch zu füllen, das beweist, dass „ich da bin“.

So abgenabelt von der Welt, fällt eines Tages die Vergangenheit bei ihm ein in Form eines Anrufs. Rebekka Wieland, der er vor Jahren als Vertriebsmanager auf einer Messe begegnet ist und einen netten Abend mit ihr verbracht hat, hat ihn aufgestöbert. Während sie damals mehr von ihm wollte, hat er sie so nachlässig vergessen wie er bislang achtlos an seinen Nachbarn vorüberging. Er fühlt sich von ihren Erinnerungen an ihn, von seinem von ihr „umformatierten Lebenslauf“, zunächst nur belästigt, gleichzeitig empfindet er Schuld wegen seiner Egozentrik, sodass er sich auf die sich nun wiederholenden Anrufe einlässt, bis sogar ungeduldig auf sie wartet.

Mischung aus Langeweile und Überforderung

Während der Projektmanager in spe versucht, die stillstehende Zeit für die Vorbereitung für die Zeit danach zu nutzen, aber wie gelähmt nur Absagen entgegensieht für Akquisen, die er gar nicht abgeschickt hat, verstrickt ihn die Frau in ein Gespräch über ihrer beider nichtige Angestelltenexistenz, ihr eintöniges, bedeutungsloses Tun, die Kollegen und ihr trauriges Leben, in dem sich ihr eigenes spiegelt.

Immer tiefer pflügt Oppenländer durch seine Vergangenheit, als er in einer Klitsche für Elektrogeräte tätig war und später im Callcenter. Er erinnert sich an Situationen, die nach Kündigung verlangten und an das verbissene „Durchhaltevermögen, das sie alle brauchten“ und das „groß genug gewesen wäre, um den Trojanischen Krieg für sich zu entscheiden“.

[Andreas Lehmann: Schwarz auf weiß. Roman. Karl Rauch Verlag, Düsseldorf 2021. 176 Seiten, 20 €.]

Wie schon in „Über Tage“ fokussiert der in Leipzig lebende Autor auch in seinem neuen Roman die Angestelltenwelt des 21. Jahrhunderts zwischen „Absicherungsknechtschaft“ und Selbstbetrug. „Die Gefangenschaft, die Selbstverwirklichungslüge, die Mischung aus Langeweile und Überforderung, das Alleingelassenwerden im Gerüst einer festen Struktur, die Lächerlichkeit der Pinselstriche“, all dies bestimmte auch die Arbeitswelt Oppenländers.

Doch bar dieses Gehäuses, als frei flottierender Imitator einer noch zu beweisenden Selbständigkeit bleibt ihm nur sein Notizbuch, an dem er sich festhält und in dem er sich „schwarz auf weiß“ beglaubigt. „Erst in der endgültigen Nichterfüllung wird ein Wunsch vollständig sichtbar“, referiert er dort seine Lebensweisheiten, von denen nicht immer sicher ist, wer spricht. Und an anderer Stelle: „Wir brauchen die anderen auch als Adressaten für die Lügen, die wir uns über uns selbst erzählen.“

Der Stillstand zwingt zur Reflektion

Die Genauigkeit, mit der Lehmann den bedrückenden, aber nicht namentlich genannten Lockdown-Alltag seines Protagonisten ausleuchtet, verrät den Lektor, der zum Broterwerb bei der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft arbeitet. Der Autor folgt Oppenländer auf den Beobachtungsposten am Fenster, den Gängen zwischen Küche, Schreibtisch und Balkon, wo sich eine Taube eingenistet hat, oder der einsam-hektischen Autofahrt, bei dem Oppenländer den Hund seiner Schwester überfährt. Oppenländer, ansonsten bereit auszuteilen, wird überschwemmt von beklemmenden Gefühlen: „Die Angst war schon immer da, nur gab es bisher nicht die Zeit, sie zu empfinden“, schreibt er in sein Heft.

Der verordnete Stillstand zwingt ihn, sein Leben Revue passieren zu lassen, seine widersprüchlichen Bestrebungen, in der Masse zu verschwinden und sein tiefer Wunsch nach Aufmerksamkeit: „Ich wollte immer unterm Radar fliegen und zugleich für meine Flugleistung bewundert werden.“

Mit Rebekkas Auftauchen als sprechender Spiegel realisiert er die verpassten Chancen eines Lebens, das es fast, aber eben nur fast gegeben hätte wie jenen Lotteriegewinn, für den er das Los Jahrzehnte später im Keller findet.

Im gedehnten Zeitvakuum eröffnet sich der Möglichkeitsraum des Erzählens, der über das Gespräch mit Rebekka hinausweist und gerade das einfängt, was nicht geschehen ist und nicht geschieht: „Mit allem, das nicht geschieht, kann man nur erzählend etwas anfangen.“

Die Geschichte bleibt offen

Dieses gelegentlich Behauptende und die bei Lehmann gerne metaphorisch aufgeladenen Tiere sind das einzig Störende an diesem ansonsten in Handlung und Ton angenehm zurückhaltenden Roman, der wie sein Protagonist von einem gewissen Spieltrieb bewegt wird und auch komische Szenen hervortreibt, etwa als Oppenländer versucht, die brütende Taube vom Balkon zu scheuchen.

Dass aus der Menschheitskrise durch die Epidemie und aus Oppenländers auf wenige Quadratmeter verengte Lebenskrise jene viel zitierte Chance erwachsen könnte, dem Abbruch nicht nur ein so Weitermachen folgen könnte, ist eine Hoffnung, die der untätige Projektmanager in vorweggenommenem Pessimismus konterkariert: „Nichts wird so sein wie früher, weil es schon früher nicht so war“, und: „Vielleicht wollen wir nur in das zurück, was wir früher für Zukunft hielten.“ Das Ende bleibt wie Oppenheimers Geschichte offen.

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