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Firlefanz. Kennedy arbeitet in „Die Selbstmord-Schwestern“ mit Projektionen. Die Schauspieler Hassan Akkouch, Christian Löber, Damian Rebgetz und Walter Hess tragen Masken.

© David Baltzer/Volksbühne

Volksbühne Berlin: Frohgemut ins Nirvana

Abschied vom Körper: Susanne Kennedys bunte Theatermesse „Die Selbstmord-Schwestern“ an der Volksbühne.

So eine lustige Totenfeier gab es noch nicht: Hinten liegt ein nackter Frauenkörper aufgebahrt, vorne blinken die Leuchtfelder eines gewaltigen Schreins lustig vor sich hin, das Ding gleicht einem Jahrmarktsmythos-Wunderkasten. Zwei Puppen mit bunten Blumensträußen flankieren leblos den Aufbau, vier ähnlich fröhlich drapierte Figuren bewegen sich auf der Bühne: Schauspieler in weiten weißen Kleidchen, mit buntem Kopfschmuck und Gehänge. Ihre Gesichter stecken – wie immer bei Susanne Kennedy – hinter Masken, ihre schmale Lippen bewegen sich leicht zu aus dem Off eingespielten Worten und Gesängen: „Accept, Enjoy, Merge, Glorify, Glorify“, tönt in bittersüßer Melodik der Chor des Totentempels.

Wörter des Hippie-Gurus und Drogen-Predigers Timothy Leary werden hier zu einem Requiem, das sich von seinem thematischen Anlass weit entfernt. Denn das wunderschöne Rätsel, das die Selbstmorde der fünf Lisbon-Töchter in Jeffrey Eugenides’ Roman „Die Selbstmord-Schwestern“ und der kongenialen Verfilmung durch Sofia Coppola darstellen, ist hier getilgt.

Warum sich die pubertierenden Teenies letztlich das Leben nahmen, dazu lieferte der Roman immer nur Indizien, nie aber das entscheidende Motiv. In die Köpfe der fünf Mädchen konnte man nie blicken, immer nur auf äußere Signale und Motive ihres Lebens. So etwas ist eine gute Voraussetzung für Mythenbildungen. Aber auch die interessiert Kennedy nur beiläufig. Sporadisch zeigt das psychedelische Tabernakel von Bühnenbildnerin Lena Newton auf ein paar kleinen Bildschirmen Alltagsfragmente von ein paar Mädchen, Gesichtsausdrücke, Posen, verstreute Impressionen.

Der Avatar fungiert als Führer verstorbener Seelen

Wesentlicher sind Bilder eines Avatars mit kahlem Schädel auf einem großen Bildschirm, der den Abend begleitet wie ein Führer verstorbener Seelen. Das tibetische Totenbuch ist die dritte und vielleicht nachhaltigste Quelle für den kurzen, lustigen Abend: Es gibt dem Sterbenden eine Art Reiseanleitung für einen möglichst reibungslosen Übergang in das Nirvana und die nächste Inkarnation. Dazu muss neben Gefühlen wie Angst, Gier, Ärger und anderen, die in der theatralen Installation aufgelistet werden, auch der Körper als nunmehr unnötiges Gepäck zurückgelassen werden. Jetzt ist auch klar, dass die nackte Frau im perspektivischen Schnittpunkt des Todestempels nicht die tote Cäcilia darstellt, also die erste Selbstmord-Schwester des Romans und ihren Körper, sondern: den Körper schlechthin.

Ihrem ästhetischen Programm folgend ist es der Menschenkörper, den Susanne Kennedy hier ins Jenseits schickt. An seine Stelle sind Puppen getreten, virtuelle Duplikate, auch florale Lebensreste in Vitrinen. Das Subjekt ist tot, es überleben seine Objekte. Später kommt noch ein langhaariger Guru auf die Bühne und setzt sich auf die Stufen. Er hält am Ende ein leuchtendes rotes Herz hoch. Das Herz der Jungfrau Maria ist natürlich gemeint. Wie beim Abendmahl geht ein Gefäß um – hier ist es ein Cola-Flasche – aber all das ist synkretistischer Firlefanz und, weil man bei Susanne Kennedy nach eigenem Bekunden keine Ironie erwarten darf, Kitsch, Pathos, psychedelische Verwirrung. Wer den Abend nicht zu verstehen braucht und sich nur an dem schönen und technisch perfekt ablaufenden Farben- und Bilderprogramm erfreuen möchte, dem fehlt eine Dosis LSD, die am Eingang zum Theater aber nicht ausgegeben wird. Wer die Botschaft der rituellen Körperaustreibung empfangen möchte, dem graust es vor der Kollage von Oberflächenphänomenen.

Die Menschheit verschwindet hinter künstlichen Wesen

Susanne Kennedy feiert hier zum wiederholten Male den Abschied vom Körper als obsoletem Rest eines nunmehr posthumanen Theaters. Aber anders als im buddhistischen Totenbuch kann das Theater den Körper nicht als überflüssige Hülle abstreifen, ohne dabei auch seine Seele zu verlieren. Nach Beckett, Weerasethakul, Serra und Régy versucht die Volksbühne nun wiederum mit Susanne Kennedys bunter Theatermesse das Theorem des Posthumanismus zu erproben: Gemeint ist damit Zivilisation, in der die Menschheit in Nanotechnik, neuronalen Schnittstellen, Gentechnik, Reproduktionsmedizin, Computeralgorithmen, unter Avataren, Replikanten und andern künstlichen Wesen allmählich verschwindet.

Seit der Eröffnung der Sprechtheatersparte mit Beckett im November vergangenen Jahres sucht die Volksbühne dafür nach Parallelen in Kunst und Literatur. Dabei zeigt sich die Schwäche eines kuratorengeführten Theaters. Es ruft diverse künstlerische Ansätze als Illustrationen für seine Diskurse auf: Gedanklich lässt sich das irgendwie nachvollziehen. Aber als Spielplan der autonomen künstlerischen Setzungen mit je eigener Welthaltigkeit überzeugt es nicht.

Volksbühne, wieder am 18. März, 18 Uhr

Eberhard Spreng

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