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Regiemeister und Werkmeister, mehr Macher als Künstler – und Liebhaber der Literatur. Der Filmemacher Volker Schlöndorff.

© imago/ZUMA Press

Volker Schlöndorff wird 80: Diese wunderbaren Widersprüche

Der Regisseur Volker Schlöndorff feiert an diesem Sonntag 80. Geburtstag – eine Hommage in sieben Episoden.

Kaum zu glauben, Volker Schlöndorff wird 80. Er ist doch viel jünger, jünger im Kopf – und ist es tatsächlich schon so lange her, dass man ihm im Jogginganzug beim Theatertreffen begegnete, weil er gerade vom Halbmarathon kam? Kaum zu glauben, man möchte ihm schnell gratulieren und von Herzen natürlich, weil er selber immer so schnell ist und so leidenschaftlich dazu. Ein Assoziations-Sprinter, drahtig, jungenhaft, der einen mit seinem Tempo entwaffnet. Und mit seiner Ehrlichkeit. Zuletzt, als „Rückkehr nach Montauk“ auf der Berlinale lief 2017. Sein persönlichster Film, sagte er und erzählte von der glücklich-unglücklichen Liebe seines Lebens, seinem Scheitern, seinen Irrtümern und Verwirrungen. Die eigene Hybris und die Zweifel, das Selbstbewusstsein, der Gerechtigkeitssinn und das Hadern, bei ihm ist es untrennbar miteinander verquickt – und es gibt wenige Künstler, die so offen darüber sprechen.

Schlöndorff, der Filmemacher aus dem Taunus, der nach seiner Jesuiten-Internatszeit als Louis-Malle-Assistent in Paris anfing und immer ein bisschen anders war als die deutschen Autorenfilmer, ein Regiemeister und Werkmeister, mehr Macher als Künstler. Schlöndorff, dem zunächst das Selbstvertrauen fehlte für die persönlichen Geschichten, weshalb er sich auf die Literatur stürzte, auf Musil, Frisch, Proust, Grass, Miller und Böll. Schlöndorff, der Oscar-Gewinner, der den deutschen Nachkriegsfilm in die Welt trug, im Dreigespann mit Wenders und Herzog. Schlöndorff, der kämpferische Frauen zu Heldinnen machte, was diese mitunter als Anmaßung empfanden – die Ex-RAF-Terroristin Inge Viett bei „Die Stille nach dem Schuss“ ebenso wie die Danziger Solidarnosc-Kranfahrerin bei „Strajk“. Auch damit schlug er sich öffentlich herum, mit dem Einbruch der Realität in die Fiktion.

"Mit 80 kann ich machen, was ich will"

Diese wunderbaren Widersprüche: Er macht 1966 mit „Der junge Törless“ in Cannes Furore, aber der deutsche Kulturattaché verlässt laut fluchend den Saal. Er setzt sich als SPD-naher Idealist in den Siebzigern für politische Gefangene ein – um bei den Wahlen 2009 Angela Merkel zu unterstützen. Er will als Pragmatiker nach dem Fall der Mauer Babelsberg retten – was nicht so klappt, wie er es möchte, aber das Studio ist immer noch da. Er lebt als Europäer und Weltenbürger in Potsdam. Er war lange mit Margarethe von Trotta verheiratet, sie haben sich gefetzt und sind bis heute einander verbunden. Jetzt trauert er um seine zweite Frau, die Schnittmeisterin Angelika Gruber, die an Weihnachten 2018 viel zu früh starb. Er hat eine Tochter mit ihr.

In seiner Autobiografie „Licht, Schatten und Bewegung“ hat Volker Schlöndorff sein Leben aus Episoden zusammengesetzt. Die Kapriolen, die die Wirklichkeit schlägt, sind immer noch der beste Roman. Das Buch schrieb er, weil er nach dem Zoff um die „Die Päpstin“ und der Absage seiner Regie plötzlich Zeit hatte. Zum Geburtstag deshalb eine collagierte Hommage. Und der Wunsch, dass er seinen Vorsatz wahr machen kann: „Und wenn ich 80 bin,“ sagte er da, „dann kann ich machen, was ich will und muss nichts mehr beweisen.“

DIE BLECHTROMMEL

Natürlich war das eine Pointe, dieser Oscar für Oskar! Denn die 1980 in Hollywood als erster deutscher Film dort preisgekrönte Kino-Version der „Blechtrommel“ lebte und lebt von ihrem kleinwüchsigen, aber riesenhaft irrwischigen Hauptdarsteller David Bennent als Blechtrommler Oskar Matzerath.

Doch zugleich war das ein doppelter Paukenschlag. Zwanzig Jahre zuvor hatte Günter Grass mit seinem grandiosen Erzähldebüt, anders als Böll oder Siegfried Lenz, nicht nur einen deutschen Roman, sondern erstmals seit Mann, Döblin oder Musil wieder ein Stück deutschsprachiger Weltliteratur vorgelegt. Und mit Volker Schlöndorffs durchaus eigenständiger, viele (nicht alle) Romanmotive verdichtender oder freihändig ausmalender Interpretation hatte der deutsche Nachkriegsfilm gleichfalls zum ersten Mal: den epischen Atem von Weltkino.

Gewiss nicht so eigensinnig wie bei Fassbinder, Herzog oder Wenders. Aber mit einem universellen Esprit. Wie schwer die scheinbare Leichtigkeit der Filmbilder und wie genialisch kühn es überhaupt war, diese „Blechtrommel“ zustande zu bringen, davon berichtet Schlöndorffs schöne Autobiografie. Als der Regisseur auf Geldsuche etwa bei United Artists vorsprach, wollten die als Oskar zwei bekanntere, gleichfalls eher kleinwüchsige Darsteller sehen: Roman Polanski oder Dustin Hoffman. Als Matzerath! Oder die Schwierigkeiten, im Kalten Krieg mit Technikern, Künstlern und tausend Komparsen aus einem Dutzend Ländern einen Film wechselweise in Jugoslawien, Polen, der CSSR sowie in Frankreich und Deutschland zu drehen. In Polen zum Beispiel war Grass schon berühmt, der Roman aber aus katholischen und kommunistischen Gründen verboten. Und für die berühmte Szene mit dem Kopf des toten Pferdes, aus dem die Aale kriechen, wollte der polnische Staat die eigenen Ostseefische nicht liefern!

Aber allem zum Trotz: wie toll haben sie da gespielt, die Angela Winkler, der Mario Adorf, Daniel Olbrychinski, die junge Kathi Thalbach oder der wunderbare Charles Aznavour als jüdischer Kinderspielzeughändler – und eben der kaum zwölfjährige, paukehauende, Glas zersingende Wildling und Wunderknabe David Bennent. Peter von Becker

DIE VERLORENE EHRE DER KATHARINA BLUM

Dass Volker Schlöndorff und Margarethe von Trotta das beste Gespann im Neuen Deutschen Film abgaben, hatten sie schon 1972 mit „Strohfeuer“ bewiesen. Ko-Autorin von Trotta spielt unter der Regie ihres damaligen Mannes eine junge Frau, die nach der Scheidung auf eigenen Füßen zu stehen versucht, aber von der Gesellschaft immer wieder ausgebremst wird. Die Emanzipationsgeschichte greift im Grunde schon ihr Arbeitsverhältnis mit Schlöndorff vorweg. Die Böll-Verfilmung „Die verlorene Ehre der Katharina Blum“, bei der sie gleichberechtigt neben ihrem Mann Regie führt, schreiben die Produzenten ihm zu, als Regisseurin wird von Trotta nur im Abspann genannt.

Schlöndorff habe keinen Einspruch erhoben, erinnert sie sich später. „Auch Heinrich Böll hat sich immer nur an Volker gewandt, wenn es wirklich um etwas ging“, erzählte von Trotta 2003 im Tagesspiegel. Trotzdem ist ihre Handschrift unverkennbar. Schlöndorff gibt der Polemik Bölls über die rechte Medienhetze im Vorstadium des Deutschen Herbstes eine solide Form, aber erst Angela Winkler bringt den Film mit ihrer naiven Radikalität zum Strahlen. Danach beginnen sich die Frauen auch hinter der Kamera von den Männern zu emanzipieren: Margarethe von Trotta dreht kurz hintereinander „Das zweite Erwachen der Christa Klages“ und das Ensslin-Drama „Die bleierne Zeit“. Auch Schlöndorff bleibt mit „Deutschland im Herbst“ und „Die Stille nach dem Schuss“ dem RAF-Thema treu. Privat blieben sie noch bis ins Jahr 1991 ein Paar. Andreas Busche

EINE LIEBE VON SWANN

Als Prousts Odette schon Madame Swann ist, trifft der kleine Marcel sie häufig in ihrem Salon. Er hat sich verliebt in Odettes Tochter Gilberte, kann seine Augen aber auch nicht von der Mutter lassen, von deren Mimik und Gestik, deren Kleidung: „Der kühne Schnitt dieser Gewänder in all ihrer Schlichtheit passte gut zu ihrer Gestalt und ihren Bewegungen (...), so meinte man plötzlich Entschlossenheit dem blauen Samt anzusehen, muntere Erregbarkeit im weißen Taft zu erkennen ...“ Oder „leise Schwermut, die Madame Swann stets in den Schatten um ihre Augen und in den einzelnen Gliedern ihrer Finger bewahrte.“

Wer solche Beschreibungen liest, mag sich wirklich die melancholischen Bewegungsrhythmen von Botticellis Frauenfiguren vorstellen, Odette für das Urbild der italienischen Renaissance-Malerei halten. Wer jedoch nur einmal Schlöndorffs 1984 erschienene Verfilmung von „Eine Liebe von Swann“ gesehen hat, muss unweigerlich an die italienische Schauspielerin Ornella Muti denken, die darin die Rolle der Odette spielt. Allerdings nur selten so verfeinert, wie Proust sie häufig zeichnet, sondern drall, vulgär, eben wie eine Prostituierte im Dauereinsatz, als die sie Swann ja kennenlernt.

Die Besetzung ist tatsächlich ideal, denn die heute fast vergessene Muti hat sich stets zwischen high und low, zwischen wenig Kunst und viel Trash bewegt. Muti erschwert nun wiederholte Lektüren von Prousts „Recherche“, schiebt sich doch vor Odette immer ihr Antlitz, viel, viel mehr als etwa das von Jeremy Irons vor Swann. Prousts „Recherche“ hat Ewigkeitswert, Schlöndorffs Ausstattungsfilm eher weniger. Man könnte also sagen, dass Volker Schlöndorff Ornella Muti mit dieser Rolle unsterblich gemacht hat. Gerrit Bartels

DER NEUNTE TAG

Der Nazi-Offizier und der KZ-Insasse, Abbé Kremer, der Urlaub bekommt und wieder zurückgeht, nach Dachau, eine wahre Geschichte. August Diehl und Ulrich Matthes im Rededuell über Religion und Politik, Moral und Verrat. Großes Schauspielerkino, das konnte Schlöndorff schon immer. KZ-Bilder in einem deutschen Film, bei der Weltpremiere in Locarno liefen sie auf der Riesenleinwand der Piazza Grande. Schlöndorff nahm den Tabubruch in Kauf. Weil er unbedingt von diesem Priester erzählen wollte, dieser zwischen Anstand und Überlebenswillen gepeinigten Figur. Den Widerständigen gehört seine Liebe, in all seinen Filmen. Deshalb die radikal subjektive Perspektive in „Der neunte Tag“ (2004) , der Tunnelblick des ausgezehrten KZ-Häftlings, die ruckhaft stockenden Bilder. Eine Art Komplizenschaft per Aufnahmetechnik.

Und doch weiß Schlöndorff um den Unterschied. Seine notorische Heiterkeit rührt auch von dem Wissen, dem Dilemma entkommen zu sein, je selber zwischen Moral und Überleben entscheiden zu müssen. Christiane Peitz

DAS MEER AM MORGEN

Azurblau glitzert der Atlantik, aber in den Dünen sind Pfähle für ein Erschießungskommando aufgebaut. Schlöndorffs dreißigster Film „Das Meer am Morgen“, der 2011 in die Kinos kam, spielt in einer Idylle, die zum Schauplatz des Grauens wird. 27 Geiseln werden hingerichtet, weil die Resistance einen deutschen Besatzungsoffizier erschossen hat. Die Geschichte beruht auf historischen Tatsachen, doch der Regisseur hat sie noch weiter ausgesponnen. Den jungen Wehrmachtssoldaten mit Hornbrille, dem bei der Exekution schlecht wird, hat er dazuerfunden. Es ist Heinrich Böll, der sechs Jahre lang mitkämpfte im Krieg und darüber zum Pazifisten wurde.

Schlöndorff war mit Böll befreundet. Der Regisseur wollte ursprünglich dessen Roman „Gruppenbild mit Dame“ verfilmen, was sich zerschlug. Stattdessen drehte er „Die verlorene Ehre der Katharina Blum“ und geriet hinein in ein Gruppenbild mit Autor. „In Mutlangen und bei anderen Demonstrationen“, wo er „viele Nächte“ mit Böll verbrachte, wie Schlöndorff erzählte. Gewissen braucht einen Kompass, der Schriftsteller, der die Gesellschaft aus der Position eines abtrünnigen Katholiken heraus kritisierte, sei zu „unserer moralischen Instanz“ geworden. „Wir sagten immer: wie gut, dass es ihn gibt“.

„Das Meer am Morgen“ hat auch einen autobiografischen Hintergrund. Schlöndorff ist ein „halber Franzose“, seitdem er als Austauschschüler aus dem Taunus in einem jesuitischen Internat in der Bretagne landete, dreißig Kilometer vom Ort seines Filmdramas entfernt. Er war 17 Jahre alt, so alt wie das jüngste Opfer aus dem Camp de Choisel C. Guy Môquet, der posthum zu einer Art französischer Nationalikone aufstieg, hinterließ einen anrührenden Abschiedsbrief an seine Familie: „Ich küsse Euch von meinem ganzen Kinderherzen“. Christian Schröder

MAX FRISCHS JAGUAR

Nennt ein Mann, wiewohl im Scherz, seinen Wagen „mein Nutzfahrzeug“, so denkt man vielleicht an einen nicht zu alten VW, Opel, BMW oder Benz. Aber bestimmt nicht an einen silbergrauen Jaguar 420 Saloon, Baujahr 1967, Hubraum 4,2 Liter, der im Stadtverkehr gerne 25 Liter Super wegsäuft. Zumal nicht an einen, den zuerst Max Frisch fuhr. Für Volker Schlöndorff jedoch wurde dieses Traumauto im November 1990 zum Alltag, als der Schriftsteller ihm wenige Monate vor seinem Krebstod den Oldtimer schenkte. Als Dank für die Verfilmung von „Homo Faber“ und weil er offenbar um die Leidenschaft des Regisseurs für die britische Marke wusste. Die reicht lange zurück, entstand aus einer jugendlichen Schwärmerei für die französische Schriftstellerin Françoise Sagan, und die fuhr eben Jaguar. Der Marke blieb auch Schlöndorff treu, als er es sich leisten konnte, doch nur dem 420er wurde ein literarisches Denkmal gesetzt: Max Frisch erwähnte ihn in der Erzählung „Montauk“ wie in seinem autobiografischen Band „Aus dem Berliner Journal“. In Schlöndorffs von Frisch inspiriertem Film „Rückkehr nach Montauk“ kommt der alte Jaguar allerdings nicht vor. Eigentlich schade. Andreas Conrad

TOD EINES HANDLUNGSREISENDEN

Es schreit nach Mitleid, wie dieser Willy Loman sich um Kopf und Kragen quasselt. Wie er sich ein Leben vorspielt, das man früher einmal als „American dream“ bezeichnete. Und es hat eine Komik, die ja oft nah bei der Tragödie liegt.

Arthur Miller ist mit diesem Stück berühmt geworden. Seit den späten 1940er Jahren war der „Tod eines Handlungsreisenden“ der Maßstab für das zeitgenössische Familiendrama: hart und sentimental, unglaublich gut gebaut, flirrend zwischen Traum und einer schmerzhaft irrealen Wirklichkeit – weil sich alle eifrig etwas vormachen in diesem Land der unbegrenzten Schrecklichkeiten. Dustin Hoffman hatte „Death of a Salesman“ im Theater gespielt und wünschte sich eine Filmdokumentation.

Daraus wurde etwas, das es eigentlich nicht gibt: ein Theaterfilm. Ein verdichtetes Filmtheaterspiel. Hoffman hatte Volker Schlöndorff, so geht die Legende, mit Istvan Szabo verwechselt, den er eigentlich als Regisseur wollte. Ein Glück: Diesen liebenswerten, bösartigen, mit Endspielenergie aufgepumpten, unschuldigen Berufsclown vergisst man nicht – auch nicht Hoffmans Duelle mit John Malkovich, der Loman jr. spielt und 1985 noch verdammt jung war.

Volker Schlöndorff, Liebhaber der Literatur, schuf eine Hommage an ein erzählerisches, psychologisches, mitnehmendes Theater, das heute so nicht mehr existiert. Ebenso wenig wie die herumreisenden Handelsvertreter. Rüdiger Schaper

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