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Durch die Oktaven stürzen wie ein Flipperball. Kölner Saxofonistin Angelika Niescier.

© Arne Reimer

Vlasman – Niescier 5 im ZigZag Club: Getauft mit den Wassern des Bosporus

Jazz nach John Cage-Prinzip: Die Altsaxofonistin Angelika Niescier spielt mit neuer Formation im Berliner ZigZag Club.

Von Gregor Dotzauer

Mit dem endgültigen Namen für die neue Band wird es wohl nicht einfach werden. Denn Vlasman – Niescier 5, wie sie im Moment noch heißt, klingt nur in den Ohren von Jazzkennern nach Musik. Wie wäre es also mit dem Ort, an dem die Berliner Sängerin Jacobien Vlasman und die Kölner Altsaxofonistin Angelika Niescier einander als Seelenverwandte entdeckten? Als Tarabya, wo sie Stipendiatinnen der gleichnamigen, von der Deutschen Botschaft betriebenen Kulturakademie auf der europäischen Seite des Bosporus waren, würde man die türkischen Einflüsse auf ihre Stücke übertreiben – oder als Tarabya Two gar die drei Männer unterschlagen, die ihnen zur Seite stehen.

Und doch ist Istanbul eine der vielen Farben, die beim Konzert im Berliner ZigZag Club – nach der Weltpremiere im Kölner Loft erst das zweite – durch die Kompositionen leuchten. Niesciers „Cage is right“ basiert auf aleatorischen Prinzipien, nach denen John Cage seine Stücke organisiert wissen wollte. Doch was dabei herauskommt, ist ein rhythmisch mitreißendes Thema, das sich auch als Maqam beschreiben lässt – einer jener Modi, die die türkische und arabische Musik als Pendant zu den abendländischen Kirchentonarten durchziehen. Vlasmans „Dolmus“ zollt den Sammeltaxis der Region Tribut und spielt mit einer gesampleten Hupe. Und auch der Große Basar in Eminönü kommt ausdrücklich zu Ehren.

Der offene Stil als ästhetische Grundwährung

Aufs Ganze gesehen ist das Folkloristische aber nur die Beigabe zu einem melodiös anspruchsvollen, elastisch federnden, nach allen Richtungen offenen Jazz, der so etwas wie die ästhetische Grundwährung dieser Jahre ist. Zweistimmig und im Unisono weben die beiden Leaderinnen weite Linien, passieren Ostinati, über denen sich solistische Exkurse erheben, biegen in ruhige Seitenkanäle ein und finden wieder zum Hauptthema zurück. Die gebürtige Holländerin Jacobien Vlasman, vor 20 Jahren mit ihren instrumental angelegten Vokalisen und Lautexperimenten noch Autodidaktin, hat sich durch ihr Studium am Berliner Jazzinstitut eine makellose Intonation und viele neue Tricks angeeignet – auch in Kombination mit elektronischen Effekten.

Die gebürtige Polin Angelika Niescier, im letzten Jahr beim Jazzfest mit dem Albert-Mangelsdorff-Preis ausgezeichnet, gebärdet sich nicht so wild, wie man sie bei ihrem sensationellen Preiskonzert mit Tyshawn Sorey und Chris Tordini erleben konnte: Es ist als „The Berlin Concert“ kürzlich bei Intakt Records erschienen. Welche Springteufelin in ihr lebt, hört man auch so. Aus der Ferne grüßt Eric Dolphy, aus der Nähe Steve Coleman, wenn sie mit raubauzigem Ton als Flipperball durch die Oktaven stürzt und von der Band aufgefangen wird. Die hervorragende Rhythmusgruppe von Drummer Christian Thomé, Kontrabassist Matthias Akeo Nowak und Pianist Ludwig Hornung, mit seinen messiaenhaften Voicings erkennbar ein Schüler von Hubert Nuss, fungiert tatsächlich als solche, rüttelt verzögernd und beschleunigend aber immer wieder am Gefüge. Das Team Tarabya ist zum Aufbruch bereit. Nur an ihrer Conférence sollten Vlasman und Niescier noch arbeiten.

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