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Kultur: Viel Feind, viel Meer

AUSSER KONKURRENZ Clint Eastwoods Kriegsdrama „Letters from Iwo Jima“

Sie sind ein merkwürdiges Paar, die beiden japanischen Offiziere am Strand von Iwo Jima. Der Kommandant hetzt seinen Adjutanten über den schwarzen Sand der Pazifikinsel, „schneller, schneller“, ruft er und zielt mit seinem Spazierstock in seine Richtung, schwenkt das Holz von links nach rechts. Sogar eine Soldatengruppe, die die Szene beobachtet, hält ihren neuen Befehlshaber für verrückt. Obwohl sie seine silberne Pistole bewundern, von der sie glauben, dass er sie einem toten Amerikaner abgenommen hat. Ganz so verrückt kann er also nicht sein.

Was die Soldaten nicht wissen: Die Waffe war ein Geschenk. Denn Generalleutnant Tadamichi Kuribayashi hat an einer amerikanischen Militärakademie studiert. Er kennt seinen Gegner also. Und so ist auch, was wie das irre Herumscheuchen eines Untergebenen aussieht, in Wirklichkeit Berechnung. Der Mann, der seinen kargen Vulkanfelsen gegen die Übermacht des amerikanischen Invasionsheeres befestigen muss, beschließt, seine Soldaten nicht am Strand zu postieren, sondern die Invasion geschehen zu lassen. Sein Plan: den Angreifer unterirdisch zu bekämpfen. So ist Iwo Jima zum Synonym für eine der blutigsten Schlachten des Zweiten Weltkriegs geworden.

„Letters from Iwo Jima“ (Kinostart: 22. Februar) ist der zweite Film von Clint Eastwood über den Schlussakt des Pazifikfeldzuges. Mit „Flags of Our Fathers“ hatte er die amerikanische Sicht auf die verlustreiche Eroberung des Eilands geschildert, bei der 7000 GIs starben und die im kollektiven Gedächtnis vor allem an ein Foto geknüpft ist – Joe Rosenthals Aufnahme vom Hissen des Sternenbanners auf dem Gipfel des Suribashi-Berges. „Letters“ liefert nun das Gegenstück zu dieser beeindruckenden Studie in Sachen US-Kriegspropaganda. Und nicht nur, dass Eastwood in einem – für Hollywood-Verhältnisse – ungewöhnlich freimütigen Akt nun auch dem einstigen Kriegsgegner ein opulent erzähltes Mainstream-Kino schenkt, in japanischer Sprache zumal, er verleibt sich vor allem die Sicht von Männern ein, deren Mentalität, deren stolzes Ethos und Selbstbild in einer Reihe von im Erdreich verscharrten Briefen überdauert hat. Die wollen so gar nicht mehr dem Mythos der Samurai-Krieger entsprechen, die unerschrocken in den Tod gehen.

Es sind gebrochene Heldenfiguren, die Eastwood in seinem düster getönten Schlachtengemälde auferstehen lässt. Wie den Bäcker Saigo (gespielt von dem 26-jährigen Popmusiker Kazunari Ninomiya), der überleben will, um seine neugeborene Tochter zu sehen. Oder der Goldmedaillengewinner im olympischen Springreiten von 1932, Baron Nishi (beeindruckend weltmännisch: Tsuyoshi Ihara), der Douglas Fairbanks zu seinen Freunden zählt und ein sympathischer Dandy ist. Schließlich General Kuribayashi (umwerfend jovial verkörpert von Ken Watanabe), der angesichts seiner beschränkten Verteidigungsmittel mit den Traditionen der Kaiserlichen Armee bricht. Gegen den Widerstand seines Stabes lässt er Stellungen ins Erdreich treiben, in die sich die Japaner verkriechen, um möglichst lange durchzuhalten. Er verbietet körperliche Züchtigungen. Seine Losung: Jeder Kämpfer, der lebe, sei nützlicher als einer, der auf der Suche nach dem „ehrenvollen Tod“ Harakiri begehe.

Obwohl auch „Letters from Iwo Jima“ vom Gewaltspektakel fallender Bombenteppiche, dem Horror abgetrennter Gliedmaßen und dem pfeifend-zischenden Getöse der Geschosse erfasst wird, liegt über den meisten Szenen ein zarter Zauber. Eastwood interessiert sich für das innere Drama der Niederlage. Er schaut den Japanern in ihrem nachtschattigen Höhlendasein ganz unsentimental dabei zu, ihre menschliche Seite zu entdecken. Eine Seite, die in „Flags“ noch vom dumpfen Dröhnen der Selbstmordgranaten übertönt wurde, das sich wie eine Kettenreaktion durch das verzweigte Tunnelsystem fortpflanzte und zu erklären schien, warum von den 21 000 auf Iwo Jima stationierten Japanern nur 217 überlebten. Es gehört zu den beeindruckendsten Momenten in „Letters“, zu beobachten, wie dieses kollektive Harakiri von ideologischen Wahnvorstellungen erzwungen, wie ein kulturelles Überlegenheitsgefühl zum Terrorinstrument wider die eigenen Leute wird.

Ohnehin verschränken sich die beiden Teile von Eastwoods Doppelfilm-Projekt immer wieder. Der Regisseur baut Szenen aus „Flags“ geschickt in „Letters“ ein. So stolpert Saigo, der Bäcker, mit dem dampfenden Latrinenkessel aus dem Bergbunker und lässt ihn vor Schreck fallen, als er bis zum Horizont nichts als die vor der Küste lauernden Landungstruppen erblickt. Das Bild der massiven Stärke, von hier aus sieht es anders aus.

Kriegsfilme sind immer einseitig. Das ist auch in diesem nicht anders, der die Amerikaner als Aggressoren zeigt. Dennoch entschwindet in der Doppelbelichtung ein und desselben Ereignisses die mythische Verführungskraft, die sowohl Rosenthals Sieger-Foto anhaftet als auch der angeblich selbstlosen japanischen Opferbereitschaft. Ein Requiem, ein Manifest.

Heute 22.30 (Berlinale-Palast), 12.2., 15 Uhr (Urania), 22.30 Uhr (International).

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