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Alles flirrt, alles fließt: Auf dem Alexanderplatz werden in dieser Woche über das sogenannte Projection-Mapping die historischen Ereignisse des Mauerfalls erzählt.

© Jörg Carstensen/dpa

Videoprojektionen zum 9. November: Die Stadt Berlin als Filmbühne

Die Geschichte als Schattenriss. Foto- und Filmprojektionen auf Häuserfassaden werden immer beliebter. Warum eigentlich?

Mit Lasern ging’s los, damals im 20. Jahrhundert. Mit magischem Licht, projiziert auf die Pyramiden vor Kairo oder auf europäische Schlossgemäuer. Spätestens in dieser Mauerfall-Jubiläumswoche dürfte klar sein: Vor Farb-, Foto- und Videoprojektionen ist keine Hauswand mehr gefeit. Was hatten wir zuletzt nicht alles hier in der Hauptstadt der Events, vom XXL-Konterfei Alexander von Humboldts zu dessen 250. Geburtstag auf der Ostfassade des wiedererrichteten Schlosses bis zum herzchenübersäten Berliner Dom beim Festival of Lights.

Am Montag, dem 30. Jahrestag der November-Kundgebung auf dem Alexanderplatz, flimmerte der 4. November 1989 in 3-D über die Fassaden des Berolina-Hauses, samt Protestredner Stefan Heym und dem Pressekonferenz-Versprecher von Günter Schabowski fünf Tage später. Die Stadt wird zur Filmbühne, zum Doku-Showroom, bis zum Samstag an sechs Orten, von der Gethsemanekirche bis zur East Side Gallery.

Wie groß ist das denn? Längst sind die Bilder mobil geworden, auf unseren Smartphones und Tablets haben wir sie buchstäblich in der Tasche, als Schrumpfversion. Aber sie dehnen sich auch aus, verlassen die Kinos und Flachbildschirme der Sofasitzer, kapern nicht mehr nur die Theater- und Opernhäuser mittels Innenweltvideos, sondern auch Straßen und Plätze. Alles fließt, alles flirrt, riesenhaft im öffentlichen Raum.

Veni, vidi, virtuell, sei es der bezaubernde Sternenhimmel von Amazonien auf der Ostseite des Humboldt-Forums, das Kritiker wegen der gerasterten Loggien von Franco Stella schon mal ein preußisches Aktenregal schimpfen, sei es die mitten in die Gegenwart hineinkatapultierte deutsch-deutsche Vergangenheit. Und die gesamte gemauerte, sprich: analoge Umgebung wird zur Projektionsfläche für Geschichte und Geschichten jedweder Art.

Ewiges Schattenreich: Platon und sein Höhlengleichnis sind passé

Platon kann einpacken mit seinem Höhlengleichnis. Darin starrt der Gefangene auf die im Feuerschein flackernden Schatten an der Höhlenwand und hält sie für die Wirklichkeit, weil er sich nicht umdrehen kann. Kaum unter freiem Himmel, begreift er seinen Irrtum.

Jetzt würde der Freigelassene dort auch nur bewegte Schatten erleben, er würde Himmel und Höhle, Fakt und Fake weiter verwechseln. Die Wirklichkeit, ein Wahnsinn, hieß es am 9. November. Bleibt nur der Wahn?

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