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Ambitionierte Erzählerin. Valeria Parrella.

© Hanser

„Versprechen kann ich nichts“: Abstürzen oder fliegen

Valeria Parrella erzählt in „Versprechen kann ich nichts“ von der Arbeit einer Lehrerin im Jugendgefängnis. Ihr Roman basiert auf persönlichen Erfahrungen.

Nisida liegt in traumhafter Lage im Golf von Neapel, durch eine steinerne Brücke ist die Insel mit dem Festland verbunden. Man sieht von hier aus Capri und den Vesuv, gelegentlich Kreuzfahrtschiffe, Neapel ist um die Ecke. Doch Nisida ist kein Touristen-Hotspot, auf der Insel befindet sich eine Jugendstrafanstalt. Elisabetta Maiorano, Mathematiklehrerin, kommt regelmäßig hierher.

Sie muss durch viele Absperrungen hindurch und ihr Handy abgeben, bevor sie die jungen Delinquenten unterrichten kann. Trotzdem fühlt sie sich im Gefängnis nicht eingesperrt, sondern erleichtert, weil sie ihr mühseliges Leben draußen, in Neapel, hinter sich lassen kann. Das geschlossene System des Knasts gibt der Lehrerin Stabilität.

Ausgrenzung und Freiheit, Verlassenheit und Nähe – auf diesen Themen baut Valeria Parrella, 1974 bei Neapel geboren, ihren Roman „Versprechen kann ich nichts“ auf. Das Buch, sehr kurz und sehr intensiv, ist stellenweise sperrig und verrätselt.

Der Kosmos der verschlossenen Türen und Gitterstäbe bedeutet für Elisabetta, Hauptfigur und Ich-Erzählerin, Vertrautheit; und bringt eine Begegnung mit sich, die ihr Leben verändert. Genau diese besondere Konstellation – wie in einem Umfeld kompletter Abriegelung Nähe entstehen kann – macht den Reiz dieses Romans aus.

Almarina heißt die junge Frau, die in Elisabettas Leben hereinplatzt. Eine Rumänin, 16 Jahre alt, die von ihrem Vater vergewaltigt und zusammengeschlagen wurde. Jetzt hat sie eine versteifte Hand. Vor ihm ist sie nach Italien geflohen, gemeinsam mit ihrem kleinen Bruder. Zunächst kam sie in einer Wohngruppe unter, dann ist sie von dort abgehauen und, nachdem sie geklaut hat, im Jugendknast von Nisida gelandet. Wo ihr kleiner Bruder ist, weiß sie nicht.

Parrella hat selbst im Jugendknast gearbeitet

Sie bittet Elisabetta, ihr bei der Suche zu helfen. Zwischen den Frauen entwickelt sich ein enges Band. Die 50-Jährige, die drei Jahre zuvor ihren Mann verloren hat, unterstützt ihre Schülerin, auch wenn die gelegentlich etwas widerspenstig ist.

Nach Almarinas Zeit im Knast will Elisabetta für die Minderjährige sorgen. Wer gibt hier wem Rückhalt? Parrella zeichnet ein Verhältnis gegenseitiger Abhängigkeit von zwei Frauen, die unterschiedlicher nicht sein könnten, aber eines gemeinsam haben: Das Schicksal hat ihnen ziemlich übel mitgespielt.

[Valeria Parrella: Versprechen kann ich nichts. Roman. Aus dem Italienischen von Verena von Koskull. Hanser Verlag, München 2021. 144 Seiten, 19 €.]

Valeria Parrella hat selbst im Jugendknast von Nisida gearbeitet, als Lehrerin für kreatives Schreiben. Sie kennt Ort und Personal, die jungen Straftäter, die klauen oder sich prostituieren. Auf Nisida finden sie Freiheiten, die sie vorher nicht hatten, zum Beispiel „die Freiheit, Erwachsenen zu begegnen, die sie respektieren“, so Parrella in einem Interview.

Stellenweise wirkt der Roman überambitioniert

Die Autorin hat bereits mehrere Bücher veröffentlicht, Romane und Erzählbände. In ihrem neuen Roman hebt Parrella bisweilen zu offensichtlich den sozialkritischen Zeigefinger, beschwert ihre Hauptfigur zu stark mit dem Gefühl, „soziale Verantwortung“ für junge Underdogs übernehmen zu müssen.

Stellenweise wirkt „Versprechen kann ich nichts“ überambitioniert, etwa wenn die Autorin Träume und Fantasien ihrer Figuren schildert und mit Bedeutung auflädt. Das geht manchmal schief, zum Beispiel bei der Schilderung von Almarinas Flucht, die an einen Dokumentarfilm über die Balkanroute angelehnt ist. Warum hat sich Parrella nicht auf eigene Ideen verlassen? Auch die an manchen Stellen hölzerne Übersetzung stört immer wieder den Lesefluss.

„Entweder stürzt du ab, oder du fliegst“, heißt es in einem Songtext im ersten Erzählband von Valeria Parrella, der von Frauen handelt, die sich couragiert durch den Alltag des modernen Neapel schlagen. Hier stürzt jetzt keiner wirklich ab, und keiner fliegt. Bleibt also das Durchlavieren, sich mit den Tücken und Malaisen des Lebens zu arrangieren. Mitunter gelingt das hinter Gefängnisgittern am besten.

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