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Zum Weinen schön: Aretha Franklin singt sich die Seele aus dem Leib.

© Weltkino

Verschollener Konzertfilm mit Souldiva: In „Amazing Grace“ sucht Aretha Franklin ihre Wurzeln

Das gleichnamige Livealbum gilt als erfolgreichste Gospelveröffentlichung aller Zeiten. Der Film dazu wurde vor 50 Jahren gedreht. Und kommt jetzt in die Kinos.

Aretha Franklin hat sich nie als Schauspielerin versucht. Im Film „Blues Brothers“ spielte sie die Besitzerin eines Soulfood-Cafés, die ihren Ehemann, gespielt von Matt ’Guitar’ Murphy nicht wieder an die Band verlieren will. Ihr Auftritt inspirierte Kritikerin Pauline Kael zu einer Hymne auf ihre Leinwandpräsenz. „Dass sich die Blues Brothers für Matt Murphy entscheiden und Aretha nicht mitnehmen, zeigt nur, dass die Filmemacher nicht wissen, was sie tun.“

Ihr großer Kinomoment blieb ihr verwehrt: fast 50 Jahre blieb der Dokumentarfilm „Amazing Grace“ über die Aufnahmen ihres gleichnamigen Gospelalbums unveröffentlicht. Einfach, weil auch diese Filmemacher nicht wussten, was sie taten, oder überwältigt waren. Jedenfalls vergaßen sie, die Filmklappe zu schlagen, beim Schnitt konnten Bild und Ton nicht synchronisiert werden. Erst jetzt kommt der Film in die Kinos.

Schon Mahalia Jackson hatte vorausgesagt, dass Aretha zur Kirche zurückkehren würde. 1971 war die Queen of Soul eine der Stimmen der Bürgerrechtsbewegung, und hatte gleichzeitig gelernt, Hippies anzusprechen. Aber ihre Ehe war zerbrochen, der Optimismus der Sechziger Pessimismus gewichen. Auf „Spirit in the Dark“ hatte sie ihre Gospelwurzeln schon anklingen lassen, jetzt war es Zeit, that old-time religion offen zu feiern.

Im Januar 1972, zwei Wochen vor Mahalia Jacksons Tod, nahm die Königin in der New Temple Missionary Baptist Church in Los Angeles ein Livealbum auf. „Amazing Grace“ dokumentierte nicht ihre Abkehr von der weltlichen Musik, wurde aber trotzdem zum erfolgreichsten Gospel-Album aller Zeiten.

35 Jahre lag das Material dank der vergessenen Filmklappe im Archiv von Warner. Kurz vor seinem Tod überließ Regisseur Sydney Pollack die Rollen dem Produzenten Alan Elliott. Durch digitale Technik war es endlich möglich, den Film zu schneiden. Doch dann sagte Aretha, ganz Diva, Nein und verklagte die Warner.

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Vielleicht hätte sie einfach gerne gefragt werden wollen, vielleicht waren die Konzerte für sie eine schmerzhafte Erinnerung – auch an Menschen, die längst gestorben waren: ihr Vater, Reverend CL Franklin, der seine Tochter als „vollkommene Sängerin“ vorstellt, James Cleveland, der musikalische Leiter der Konzerte, ihre Geschwister, ihr Vorbild Clara Ward, die alle im Publikum saßen oder mit ihr auf der Bühne standen. Erst nach Franklins Tod lenkten ihre Erben ein.

„Amazing Grace“ ist kein Meisterwerk des Konzertfilms, kein soziopolitisches Statement mit Musik wie „Wattstax“, nicht durchkomponiert wie „The Last Waltz“. Er zeigt einfach ein Jahrhunderttalent auf der Höhe seiner Kräfte, in familiärem Umfeld. Nachdem Franklin viele Jahre Soul wie Gospel gesungen hatte, versucht sie jetzt einen Brückenschlag aus der anderen Richtung.

Das Konzert beginnt mit „Wholy Holy“ von „Brother Marvin Gaye“ und geht weiter mit Klassikern wie „Precious Lord“ von Thomas Dorsey und „How I Got Over“ von Clara Ward und endet mit einer epischen Version von „Never Grow Old“: Musik über Erlösung, die besessen macht.

Jetzt gibt es die Bilder zu Momenten, von denen sich bisher nur ehrfürchtig erzählt wurde. Wie jener, in dem James Cleveland das Klavier stehen lässt und weint. Der Historiker Anthony Heilbut hat diese Szene in seinem Essay „Aretha: How She Got Over“ beschrieben, jetzt können wir sie sehen. Auch, dass es Teilen ihrer Band, dem Publikum und Mitgliedern des Southern California Community Choir ähnlich geht. So groß war die Herrlichkeit, mit der Aretha sang.

Im Publikum sind auch Mick Jagger und Charlie Watts, die hier, so heißt es, zu „Exile on Main Street“ inspiriert wurden. Einige werden diesen Aspekt am interessantesten finden. Auch sie können sich von Aretha bekehren lassen.
In acht Berliner Kinos (OmU)

Fabian Wolff

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