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Die französische Schriftstellerin Virginie Despentes.

© imago/Agencia EFE

"Vernon Subutex 3" von Virginie Despentes: Ein Sack Unglück kippt um

Virginie Despentes’ dritter Band über „Das Leben des Vernon Subutex“ und ihr fulminanter feministischer Essay „King Kong Theorie“.

Nach der Gewalt kam die Stille. Rund drei Jahre vergingen, bis Virginie Despentes damit begann, jenen Julitag des Jahres 1986 zu verarbeiten, an dem sie und eine Freundin beim Trampen von drei Männern vergewaltigt worden war. Doch erst als einer anderen Freundin Ähnliches widerfuhr, verstand die inzwischen 20-Jährige, dass diese Erfahrung sie für immer prägen und die Beschäftigung damit niemals enden würde.

Als erstes suchte sie Rat in Büchern und erlebte eine schmerzhafte Überraschung: Es gab nichts, „dieses Trauma hat keinen Eingang in die Literatur gefunden. Keine Frau hat nach einer Vergewaltigung die Wörter zur Hilfe genommen und das Thema eines Romans daraus gemacht. Nichts, was anleitet oder begleitet“, schreibt sie in ihrem biografisch-feministischen Essay „King Kong Theorie“, der 2006 in Frankreich erschien und jetzt in neuer deutscher Übersetzung vorliegt.

Diese Lücke in der Literatur zu verkleinern, daran arbeitet Virginie Despentes seit ihrem 1994 veröffentlichten Debütroman „Baise-moi“ (dt.: „Wölfe fangen“). Diese später verfilmte Geschichte über zwei junge Frauen, die massenhaft Männer niederschießen, gleicht einem Racheschrei, einer schrillen Anklage gegen die strukturelle Gewalt einer patriarchalen Gesellschaft. Das Motiv der jungen Racheengel taucht im zweiten Teil ihrer Bestseller-Trilogie über „Das Leben des Vernon Subutex“ wieder auf: Aïcha und Céleste überfallen den fiesen Filmproduzenten Laurent Dopalet und tätowieren ihm das Wort „Vergewaltiger“ auf den Rücken.

Weiblichkeit ist für Despents die Kunst der Servilität

Der Abschlussteil der Saga um den obdachlos gewordenen Ex-Plattenhändler Subutex, der zum Guru einer Gruppe Verlorener in Paris aufsteigt, zeichnet Dopalet als gebrochenen Mann. Er lässt das Tattoo durch ein weiteres überdecken, geht anschließend kaum noch aus dem Haus und schaut ununterbrochen Serien. Doch in der zweiten, stärkeren Hälfte des Buches reißt ihn ein anderer Mann aus seiner Lethargie und hilft ihm, es Céleste heimzuzahlen – doppelt und dreifach. Sie wird von zwei Hells Angels schwer misshandeln, vergewaltigt und anschließend von einem der beiden wochenlang gefangen gehalten, immer wieder vergewaltigt.

Sie will anschließend nicht zur Polizei, nicht reden, gar nichts – der typische Scham- und Schweigemechanismus. Virginie Despentes hat ihn damals überwunden, weil sie sich nicht als Opfer sehen wollte. Sie arbeitete eine Weile als Prostituierte, was sie als entscheidende Etappe des eigenen Wiederaufbaus beschreibt. Eine Selbstermächtigung. Dadurch sowie durch die Skandalisierung des „Baise-moi“-Films, den sie zusammen mit der Pornodarstellerin Coralie Trinh Thi drehte, hat sie viel über die Konstruktion der Geschlechterhierarchie gelernt, die sie in „King Kong Theorie“ messerscharf analysiert – übrigens bestens in die MeToo-Debatte passend. Despentes kommt zu dem Fazit, „dass Weiblichkeit Hurerei ist. Die Kunst der Servilität. (...) In der Masse ist es nur die Gewohnheit, sich als Unterlegene zu verhalten.“ Nicht auffallen, Männern gefallen? Nein danke, sagt die Pariser Autorin. Da ist sie doch lieber laut, frei und stark wie King Kong.

Schonungsloser Blick auf die Verlierer eines gespaltenen Landes

Es ist eine brutale Welt, die sie mit ihrer kraftvollen Sprache beschreibt. Genau wie im Roman „Vernon Subutex 3“, der wieder aus kapitelweise wechselnder Perspektive erzählt wird. Ein auf mehreren Ebenen stattfindender Einbruch der Gewalt deutet sich früh an. So wird schon bald erwähnt, dass der von Subutex lange als Stammplatz genutzte Baum im Buttes- Chaumont-Park bei Bauarbeiten umgestürzt wurde – ein Sinnbild für das Zerbrechen der durchs Land ziehenden Hippie-Truppe um den mittlerweile kultisch verehrten DJ Subutex, der das alles in seiner passiv-entspannten Art hinnimmt.

Danach verlagert sich die Handlung immer mehr zurück nach Paris, wo die als Hyäne bekannte Privatdetektivin und Beschützerin des Clans bei ihrer Ankunft erschrickt: „Die Armut hat sich ausgebreitet, als hätte jemand in den Straßen und U-Bahn-Gängen einen Sack Unglück ausgekippt. Es ist eine verfluchte Installation, die Hauptstadt ist zur Galerie der Grausamkeiten geworden, eine tägliche Demonstration dessen, was der Mensch seinem nächsten zu verweigern imstande ist.“ Wie schon in den ersten beiden Teilen zeichnet der schonungslose Blick auf die Verlierer und Kaputten eines sozial tief gespaltenen Landes auch das Finale der Trilogie aus. Diesmal kommt die Traumatisierung durch die islamistischen Anschläge des Jahres 2015 hinzu.

Virginie Despentes ist wieder nah dran an den Hassgedanken gegen Minderheiten und Feministinnen, aber auch an dem aufkommenden Widerstand gegen die unerträglichen Auswüchse des Neoliberalismus. Einige Kapitel spielen während der „Nuit debout“-Demonstrationen auf der Place de la République im März 2016. Hier steigt die obdachlose Olga auf eine Kiste und hält eine formidable – vier Buchseiten umfassende – Rede gegen den Zynismus der herrschenden Klasse. Eine wie sie könnten die Gelbwesten gut brauchen.

Virginie Despentes: King Kong Theorie. Aus dem Französischen von Barbara Heber-Schärer & Claudia Steinitz, Kiepenheuer u. Witsch, Köln 2018, 154 S., 10 €.
Virginie Despentes: Das Leben des Vernon Subutex 3. Aus dem Französischen von Claudia Steinitz. Roman. Kiepenheuer u. Witsch, Köln 2018, 416 S., 22 €.

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