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Blick auf die Grabung in Tell el-Amarna 1914. es war wichtig, das Timme vor den Grabungen das ganze Gelände kartographiert hatte, da die Grabung selbst nun die Örtlichkeiten erheblich veränderte. Hier werden gerade Wohnhäuser frei gelegt.

© BPK

Vermessung des Grabungsgebiets: Der Kartograph von Amarna

Wie Major Paul Timme vom 55.Infanterie-Regiment der Kaiserlichen Armee 1911 das Gebiet von Tell el-Amarna erkundete und in Karte brachte, bevor die Grabungen der Deutschen Orient-Gesellschaft unter der Leitung von Ludwig Borchardt begannen.

Im Frühjahr 1911 trat der deutsche Major Paul Timme in den Dienst von Ludwig Borchardts Amarna-Expedition. Er nahm sich dafür ein Jahr Urlaub vom Militärdienst, um präzise Karten von Tell el-Amarna zu zeichnen. Sie sind sehr präzise und wurden 1917 unter dem Titel "Tell El-Amarna vor der Deutschen Ausgrabung im Jahre 1911" in der Reihe "Ausgrabungen der Deutschen Orient-Gesellschaft in Tell el-Amarna II. 31" 1917 veröffentlicht. Nach seinem Ägypten-Abenteuer wurde Timme an die Ostfront eingezogen und schwer verwundet. Er starb 1928 auf der Rückfahrt von einer Mittelmeerreise. Wir veröffentlichen Auszüge seines Berichtes:

"Für die sich über eine lange Reihe von Jahren voraussichtlich erstreckende planmäßige Ausgrabung der alten Stadt des Echnaton wurde von vornherein auch eine planmäßige umfassende Aufnahme ihres ganzen Geländes vorgesehen. Und zwar zunächst eine solche der Ostseite des Stadtgebietes vom Nil bis an die Grenztafeln, also bis an den kreisrunden Hang des Wüstengebirges der arabischen Wüste.

1. Die Aufnahme der Ostseite im Jahre 1911

Die Ausreise: Ende 1911 begann die erste Grabung und dauerte bis 14. April. In dieser Zeit erfolgte die Aufnahme der Ostseite.

Ich selbst, damit betraut, hatte am 16. Januar, mit Allerhöchst bewilligtem einjährigem Urlaub, meinen damaligen Standort Bielefeld verlassen. Über Basel – Lugano – Turin ging es am 21. abends von Genua ab nach Alexandria mit dem Dampfer „Schleswig“ des Norddeutschen Lloyd. Das Schiff machte die Eröffnungsfahrt einer neuen, jedoch bald wieder eingestellten Linie über Biserta-Syrakus.

Am 27. früh ging es von Alexandria bis nach Kairo mit dem üblichen Sonderzug; hier fand ein kurzer Aufenthalt bis 30. Januar statt. An diesem Tage fuhr ich mit dem Frühzuge nach Mellaui und von dort nach dem üblichen zweistündigen Aufenthalt, der zu tiefsinnigem Studium dieser verträumten ägyptischen Kreisstadt Anlaß geben kann, mit dem Personenzug nach Der Mawass, wo ich in liebenswürdiger Weise von zweien der Grabungsherren, Dr. Abel und Architekt Marcks, empfangen wurde und unter ihrer Führung zum erstenmal den Anblick des schönen Rundblickes nach der Ostseite unseres Gebietes bei Abendstimmung von dem hohen zum Nil führenden Damme aus genoß. Regierungsbaumeister Hölscher empfing uns im Grabungshause der Deutschen Orient-Gesellschaft, das zuvor auf den Grundmauern eines altägyptischen Hauses errichtet worden war. Professor Borchardt traf später, am 6. Februar, ein.

Stützpunkt Grabungshaus

Die Erkundung.
Am 31. Januar erkundete ich das Gelände südlich, am 1. Februar das Gelände nördlich unseres Hauses. Am 2. Februar wurde mit der Arbeit begonnen.

Die Grundlage der Messungen.
Benutzbare schon festgelegte Dreieckspunkte der Landesvermessung waren nicht zu ermitteln; auch die mir erst nach Beendigung der Hauptarbeit zu Händen gekommene Aufnahmen der ägyptischen, unter englischer Leitung stehenden Landesaufnahme im Maßstabe 1 : 25000 war nur in Kartenblättern 1 : 50000 vorhanden. Sie enthält zudem nichts von dem aufzunehmenden Wüstengelände, sonder nur das Fruchtland. Die Ortschaften der Ostseite sind darauf in Umrissen angegeben. Umsomehr kam die natürliche Lage des aufzunehmenden Geländes zu Hilfe, insofern es sich kreisrund um das etwa im Mittelpunkt gelegene Grabungshaus, mit Sicht nach fast allen Richtungen vom Dache des Hauses aus, aufbaut. Auf dem gemauerten Teil des Daches wurde ein Punkt als fester Nullpunkt angenommen und durch ein daraufstellbares Fähnchen von weither erkennbar gemacht. Von hier aus wurden auf Grund des zuvor berichtigten magnetischen Nordens je eine Nord-, Süd-, Ost- und Westlinie auf mehrere hundert Meter Länge festgelegt, und diese Linien alle 100 m mit numerierten Pfählen bezeichnet. Das ergab den Anfang für das Geviertnetz, in welches die einzelnen auszugrabenden Häuser später eingemessen werden sollten. Diese Linien wurden auch auf das Messtischblatt übernommen, ebenso lange Richtungslinien von hier nach hervorstechenden Punkten, wie Grenztafeln, Felsspitzen, Schechtgräbern mit ihren scharfen Spitzen usw. Weitere spätere Prüfungslinien vom Nullpunkt sowie von neu gewonnenen, weiter gelegenen Punkten seitwärts nach Anschnitt mit der Kippregel auf bereits eingemessene besonders weit sichtbare Punkte sicherten möglichste Genauigkeit. Bei der geringen Ausdehnung und bei meist gegenseitiger Sicht konnte auch ohne zeitraubende vorherige Festlegung und Berechnung von Dreieckspunkten eine dem Zwecke der Aufgabe vollkommnen genügende Genauigkeit erzielt werden.
Für die Arbeit wurde ein kleines vorzügliches Messfernrohr auf Gestell nach Doergens für Bestimmung von senkrechten Winkeln sowohl, als ebenen, nebst Fadenkreuz zum Entfernungsablesen – ein sogenannter Schnellmesser – aus dem Besitz des Kaiserlichen Instituts für ägyptische Altertumskunde in Kairo benutzt. Die Hundertmeterteile der großen Richtungslinien wurden zudem mit Stahlbandmaß abgemessen. Mit Hilfe einer Kippregel aus demselben Besitz wurden Anschnitte und Richtungslinien unmittelbar auf dem Messtisch festgelegt. Auch auf wichtigen Standorten, von denen aus viele Einzelheiten sichtbar waren, wurde zumeist unmittelbar auf das Meßtischblatt mit Kippregel gearbeitet. Im übrigen wurde in großen Dreiecken an der Hand der großen Richtungslinien und von Seitwärtsabschnitten schnellmessend vorgegangen unter alsbaldiger anschließender Übertragung auf das Meßtischblatt. Der Maßstab der Aufnahme war 1 : 25000. Genauere Höhenunterschiede einzutragen war nicht erforderlich, da das Wichtigste, die eigentliche alte Stadt, fast auf ebener Fläche gelegen ist, und eine genaue Feststellung der geringen Höhenunterschiede dort erst bei und nach der Grabung vorzunehmen Wert hatte. Der Anschluß an einen fest errechneten Nullpunkt oder an bereits festgelegte Dreieckspunkte war zudem, wie oben schon erwähnt, unmöglich. Die Höhenunterschiede wurden, vom mittleren Wasserstand des Nils anfangend, geschätzt und vor allem die Geländeformen durch etwa 5-metrig abgestufte durchlaufende Schichtlinien, zum Teil auch durch gerissene Zwischenlinien möglichst klar zur Darstellung gebracht.

Auf den Spuren des alten Wegenetzes

Die Ausführung der Aufnahme

Hauptaufgabe blieb es, allen alten Stätten nachzuspüren und sie zur Darstellung zu bringen. Für das Auffinden solcher Stellen waren die als Arbeiter und Meßleute gewählten Mannschaften auffallend wenig geeignet. Es waren vier Mann, Dorfleute von Abussir in Mittelägypten und von den Qeft in Oberägypten, die schon früher in Diensten der Deutschen Orient-Gesellschaft tätig gewesen waren. Zu den Handgriffen für die Messungen waren sie jedoch bald leidlich, zum Teil sehr gut abzurichten, zur Sache angeregt und brauchbar, ganz wie die Schantung-Chinesen – gleichfalls einfache Landleute -, welche ich seiner Zeit bei der Aufnahme des Kiautschou-Gebietes neben Matrosen und Seesoldaten mit zu verwenden Gelegenheit hatte. Eigenartig trotz des tiefen Sinnes dahinter wirkte es, wenn ausgestellte Lattenleute gegen Abend, sobald sie einen Augenblick unbeobachtet standen, plötzlich verschwunden waren, um schnell am Boden das vorgeschriebene Abendgebet zu verrichten.

Von den Trümmern der eigentlichen alten Stadt wurde nur der Umfang der verschiedenen Teile gemessen; die einzelnen Trümmerstellen, die durch die Grabung doch bald ihr Aussehen verändern mußten, sollten mit ihren Erhebungen und Senkungen, Mauerzügen und Schuttflächen nicht eingetragen werden, da später der nach erfolgter Ausgrabung ermittelte genaue Stadtplan hier hineingepaßt werden soll.

Sehr eingehend wurde dem eigenartigen alten Wegenetz nachgespürt und davon nach Übung im Auffinden noch viel Neues festgestellt. Voll mit Einsäumung klar erhaltene Wege wurden mit zwei Linien dargestellt, nur mit teilweisen Spuren erhaltene Wege mit einer festen und einer gerissenen Linie. Einwandfreie, jedoch in den Rinnsalen fortgeschwemmte, also nicht mehr vorhandene Verbindungsstrecken sind mit zwei gerissenen Linien dargestellt. Eine weitere Erklärung der verwendeten Zeichen hier zu geben, erübrigt sich durch die genaue Beschreibung auf der Karte.

Die oft gewaltig breiten, von den jetzt so unendlich seltenen Regenfällen herrührenden Rinnsale sind im Gegensatz zu der bei Sonne glasartig schimmernden Fläche der festen Wüstenebene mit feinerem Sand, den Bergen näher mit Steingeröll darauf, gefüllt. Dementsprechend sind sie als sandige Flußrinnen dargestellt.

Aufnahme, Übertragungen auf das Messtischblatt und Zeichnung in Tusche gingen im allgemeinen Hand in Hand. Das Auszeichnen in Tusche wurde aber besonders nach Schluß der eigentlichen Feldarbeit, welche am 31. März erfolgte, betrieben. Über den Rahmen der Meßtischaufnahme hinaus wurden noch der Weg und Steinbruch von Hat-nub, das Prinzessinental mit seinen Gräbern und der anfang eines bei den Nordgräbern ostwärts führenden Wüstenweges als Wegelinienaufnahmen hinzugenommen. Die Erkundung nach Hat-nub wurde am 25. und 26. März mit Dr. Möller zusammen ausgeführt, welcher von einer Grabung in Theben kam und ein Jahr zuvor schon den Steinbruch genau abgesucht und alles Inschriftliche aufgenommen hatte. Mit Ausnahme dieses Ausfluges hatte sich die ganze Aufnahme vom Grabungshause aus mit Hilfe eines Esels als Reittier bei meist vollen Tagesarbeiten draußen erledigen lassen, sodaß auswärtiges Nächtigen und damit verbundene zeitraubende Gepäckbeförderung überflüssig waren.

Erkundungen auf der Westseite. Am 2. und 3. April machte ich dann noch eine Erkundung der hauptsächlichsten alten Stätten bei Tuna el-gebel, am 12. und 13. April eine weitere bei Dalge, wobei kleine Skizzen aufgenommen wurden. Es handelte sich hier vorläufig hauptsächlich um die Grenztafeln.

Am 15. April verließen wir alle das Grabungsfeld nach Schluß der ersten Grabung. Mich führte die Zeit bis zum 25. April noch nach Abydos und Theben. Am 25. trat ich im weiteren Verlauf des mir Allerhöchst bewilligten einjährigen Urlaubs, dessen Anfang dieser Aufnahme zu dienen hatte, meine dafür besonders geplante Belehrungsreise nach Australien und der Südsee, sowie nach holländisch Indien an. Januar 1912 ging ich wieder in die Heimat zum Dienst.

Mit dem Dampfer nach Port Said

2. Aufnahme der Westseite im Winter 1912/13

Die Ausreise.

Inzwischen war der Wunsch rege geworden, auch die Westseite des alten Gebietes gründlich abzusuchen und aufzunehmen.

Den etwas heftigen örtlichen Witterungswechsel am Anfang des Jahres – ich war schon vor meiner Rückkehr aus den warmen Ländern nach Ostpreußen versetzt und kam daselbst in eine Kälte von 31 C unter Null mit noch lange andauerndem Winter, - hatte ich schließlich glücklich überwunden. Dennoch war ich um so lieber zu nochmaliger, mir angebotener Tätigkeit in Tell al-Amarnas ewig strahlender Sonne während der dritten Grabung daselbst bereit und erhielt hierzu Allerhöchsten Ortes einen sechsmonatlichen Urlaub vom 24. September 1912 an.

Diesmal benutzte ich den schönen neuen Dampfer „Tabora“ der Deutsch-Ostafrika-Linie, der mich vom 29. September bis 17. Oktober von Hamburg rund um Europa nach Port Said brachte, mit anregendem Besuch von Rotterdam nebst Haag und Leyden, Lissabon, Tanger, Marseille und Neapel. Nach kurzem Aufenthalt in Kairo wurde am 22. mit den anderen Herren Professor Ranke, Regierungsbaumeistern Hollander und Honroth, Regierungsbauführer Breith – Professor Borchardt kam etwas später – die Bahnfahrt nach unserem alten Grabungsgebiet gemacht. Der übliche Aufenthalt in Mellaui sollte diesmal etwas anregender werden. Bei einem Rundgang durch den Ort hatten wir bald eine ganz ungewöhnliche Ansammlung von dem, was man bei uns Janhagel nennt, hinter uns. Sie sangen und pfiffen und begannen, ehe uns recht bewußt war, was das bedeuten sollte, mit Schmutz und Steinen zu werfen. Das gab zu kurzer Selbsthilfe Anlaß, wobei mein weitgereister Wanderstab in Stücke brach. Endlich erschienen auch zwei Polizeisoldaten, die sich redlich, wenn auch mit wenig Erfolg, bemühten, diesen Janhagel zurückzuhalten, welcher uns bis auf den Bahnhof folgte und diesen bis zu unserer Abfahrt johlend und lärmend umringte. Der Grund für diese Volksbelustigung war wohl in dem damals wütenden Balkankriege zu suchen, denn kurz zuvor war von den Leuten Geld für das ägyptische rote Kreuz erpreßt worden. In Esne soll es zu gleicher Zeit zwei englischen Offizieren schlimmer ergangen sein. Die Strafe traf dann in der Hauptsache nur einige ägyptische Beamte. Umso friedlicher gestaltete sich der Einmarsch in das trauliche Heim bei El-Hagg Qandil, das durch eine im Jahre der zweiten Grabung gesetzte Palme von über Manneshöhe wesentlich an Aussehen gewonnen hatte. Meinen Abmarsch nach dem Westgebiete mußte ich schließlich noch bis zum 12. Dezember aufschieben, da die Kisten mit den heimischen Vorräten so lange ausblieben.

Die Erweiterung des Aufnahme der Ostseite. So machte ich mich zunächst an eine Erweiterung der östlichen Karte nach der Wüste zu. Die Wohnung, nicht übel, wurde mit kleinstem Gepäck in zweien der leeren offenen Nordgräber aufgeschlagen, späterhin nur mit Decken und nötigstem Mundvorrat mitten in der freien Wüste. Der nördliche Steinbruchweg, das Prinzessinental und der Hat-nub-Weg wurden gründlich vermessen. An der Hand dieser festen Linien wurde das Zwischengelände genau abgesucht und flüchtig festgelegt. Neu gefunden und ebenso vermessen wurden der südliche Steinbruchweg und der Alabaster-Steinbruch späterer Zeit mit der in den Felsen gehauenen alten Darstellung. In diese Zeit fiel auch in der Grabung der herrliche Fund der Bildhauerwerkstätte des Thutmes, den mitzuerleben mir große Freude bereitete. Es war das gerade bei Anwesenheit Ihrer Königlichen Hoheit des Prinzen Johann Georg von Sachsen nebst Gemahlin und der Prinzessin Mathilde von Sachsen."

Aus: Paul Timme:

Tell El-Amarna vor der Deutschen Ausgrabung im Jahre 1911 in: Ausgrabungen der Deutschen Orient-Gesellschaft in Tell el-Amarna II, Leipzig 1917.

Paul Timme

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