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Erzählerin mit einem Gespür für Tragik. Die Schriftstellerin Eva Schmidt.

© Arne Dedert/dpa

Verlust, Einsamkeit, Trost: „Die Welt gegenüber“ handelt von scheiternden Sehnsuchtsmenschen

Eva Schmidt erzählt in ihrem Band zwölf Geschichten, in denen sie das Verlangen nach Verbindung auslotet und die Tragik der Einsamkeit.

Unfassbar fremd wird uns zuweilen, was einmal ganz nah war. Die Zeit tut ihre Arbeit. Sie ruckelt nicht nur unwiderruflich voran, sie rückt Dinge und Menschen in weite Ferne. Leicht zu ertragen ist das nicht. Manche fangen an zu trinken, übernachten gekränkt im Auto vor der Tür der Frau, die sich aus dem Staub gemacht hat.

Sie kaufen sich einen Feldstecher, um sich heranzuzoomen an das verlorene Leben, ein so gutes Fernglas, dass sie damit sogar den Flaum auf der Oberlippe der Ex erkennen können. „Sie hatte sich die Wimpern getuscht, die Lippen angemalt, ein Kleid mit Ausschnitt getragen. Ein Kleid, das er noch nie an ihr gesehen hatte. Neu gekauft.“

Sie werden zu Beobachtern, zu Voyeuren, weil sie sonst nur noch sich selbst hätten, und das ist nun einmal nicht genug. Irgendwann wird ihnen bewusst, dass es eine unsichtbare Wand gibt, durch die sie mit ihrem Fernglas zwar hindurchblicken, die sie aber nicht mehr durchschreiten können.

Dann ergeht es ihnen wie dem Immobilienmakler in Eva Schmidts neuem Erzählungsband, der sich Charlie Parker zum Vorbild erkoren und ein latentes Aggressionsproblem hat, von seiner Frau verlassen wurde und sich eine Trump-Maske gekauft hat, um damit deren neuen Liebhaber zu überfallen. Am Ende steht der Verlassene mit einer leeren Wodkaflasche in der Hand im Sommerregen.

Eva Schmidts Erzählungsband trägt den Titel „Die Welt gegenüber“, und er handelt von Frauen und Männern, die sich verzweifelt hinüberwünschen auf diese andere, ihnen verlockend erscheinende Seite – hin zu anderen Menschen. Manchmal bleibt es bei Blicken, manchmal finden Annäherungen statt, aber immer ist da eine unüberbrückbare Distanz, die zuweilen auch die Entfernung zum eigenen Leben aufscheinen lässt.

Oft gibt es eine folgenschwere Wendung

Schmidt lässt ihren Figuren nicht viel Spielraum. Sie sind in ihre Vergangenheit verstrickt und in die Umstände, denen sie nicht entfliehen können; sie rennen sehenden Auges in ein Unglück oder versuchen mit letzter Kraft, das Glück zu erzwingen. Wir bekommen nur kleine Ausschnitte präsentiert; nicht selten sind die Bilder, die so entstehen, trotz der klaren, unsentimentalen Sprache Schmidts verzerrt.

Oft gibt es eine folgenschwere Wendung – einen Betrug, einen Diebstahl, einen Todesfall –, und immer wieder enden die Geschichten so wie das Leben meistens: pointenlos. Nur auf Hunde ist Verlass. Sie sind hier wie auch in früheren Büchern Eva Schmidts treue Begleiter. Trostspender.

[Eva Schmidt: Die Welt gegenüber. Erzählungen. Jung und Jung. Salzburg/Wien 2021. 217 Seiten. 22 €.]

Einer der besten und zugleich unspektakulärsten Texte des Bandes steht am Anfang: „Die Nacht“ darf als eine Art Prolog gelesen werden, eine Miniatur ohne Handlung, vielleicht sogar eine Anleitung zum Lesen dieser Short Stories. Es geschieht darin tatsächlich nicht viel. Eine Erzählerin schaut von einem Fenster zu den Fenstern eines anderen Hauses hinüber.

Sie sieht nur Schatten, aber das Bedürfnis, diese in Beziehung zueinander und vielleicht auch zu sich selbst zu setzen, ist groß. Dieser irgendwie schwebende, wachtraumhafte Text erzeugt eine Stimmung, die den folgenden Geschichten als Folie dienen könne.

Die Geschichten sind insgeheim miteinander verbunden

Nach fast zwanzig Jahren ohne Veröffentlichung kehrte Eva Schmidt 2016 zurück auf die literarische Bühne. Mit dem Roman „Ein langes Jahr“, der aus kleinen Episoden bestand, mit Geschichten, die lose verknüpft waren und vor allem durch die prosaische Sprache und den kühlen Blick der 1952 geborenen Österreicherin zusammengehalten wurden.

Im neuen Buch finden sich zwölf Erzählungen, die zwar nicht offensichtlich, aber insgeheim doch miteinander verbunden sind: durch die Beklommenheit, mit der ihre nicht zu Helden taugenden Sehnsuchtsmenschen in die Welt blicken, und die Nüchternheit, mit der Schmidt sie dabei beobachtet. Das Motto ihres Buches stammt von Richard Yates: „Things you did. Things you never did. Things you dreamed. After a long time they run together.“

Fast besser noch würde ein anderes Zitat zu Schmidts Short Storys passen: „Falls meine Arbeit ein Thema hat“, sagte Yates einmal, „dann ist es vermutlich ein sehr einfaches: dass die meisten Menschen unheilsam alleine sind, und dass darin ihre Tragik begründet liegt.“ Schmidts Figuren sind einsam; sie klammern sich an alles, was sie greifen können, bekommen aber nichts richtig zu fassen. Darin liegt ihre Tragik.

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