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Sherko Fatah.

© dpa

Verleihung des Berliner Kunstpreises: Aufhören, wenn's am schlimmsten ist

Sherko Fatah wurde in der Akademie der Künste mit dem Berliner Kunstpreis geehrt. Es gab noch weitere großartige Preisträger an diesem Abend - nur die Veranstaltung war zum Einschlafen.

Der Kunstpreis Berlin hat eine politische Dimension: Er wird jährlich in Gedenken an die Gefallenen der Märzrevolution von 1848 verliehen, so auch am Mittwochabend. Klaus Staeck, der Präsident der Akademie der Künste, spricht über das Wort Revolution, wie und auch wie oft es heute in der Presse verwendet wird. Die FAZ schreibe, jeder fünfte Deutsche wünsche sich eine Revolution. Der Abend beginnt demnach heiter. Und als der Regierende Bürgermeister Michael Müller auf das Podium steigt, kündigt er gleich an: „Das wird keine revolutionäre Rede!“ Was er noch nicht weiß: Es wird auch kein besonders revolutionärer Abend.

In durchaus kurzweiligen anderthalb Stunden erfolgt erst einmal die Preisverleihung der sechs jeweils mit 5000 Euro dotierten Kunstpreise an die Medienkünstlerin Marta Popivoda (Bildende Kunst), den Pavillon-Architekten Achim Menges (Baukunst), den brasilianischen und die aus der Schweiz kommenden Komponisten Rafael Nassif und Marena Whitcher (Musik), den Schriftsteller und Dramatiker Thomas Melle (Literatur), das zeitgenössische Tanzkollektiv laborgras (Darstellende Kunst) und den herausragenden „Leviathan“-Filmregisseur Andrej Zvyagintsev (Film- und Medienkunst). Der letzte Preis ist wahrscheinlich der mit der wichtigsten Botschaft, ein Statement an Putin sozusagen, dessen Regierung von dem für den Oscar nominierten Film wenig begeistert war.

Tuba, Oboe und ein sterbender Vogel

So viel zum vergnüglichen Teil des Abends: Nach der Verleihung des Will-Grohmann-Preises an die deutsche Zeichnerin Nadine Fecht, wird – als Auflockerung - gespannt die Musik des Preisträgers Rafael Nassif erwartet. Die Instrumente verteilen sich im Raum, dann passiert eine ganze Weile gar nichts. Die Tuba haut einen lauten unharmonischen Ton raus, es dauert wieder ein bisschen, schließlich säbelt der Kontrabassist mit dem Bogen auf dem Klangkörper seines Instruments herum. Das Ganze wirkt wie der klägliche Versuch, das erste Mal auf einem Instrument zu spielen. Es werden qualvolle fünf Minuten.

Die eigentlich gar nicht so unangenehme Stille wird durch die pfeifende Oboe unterbrochen, zwischendurch krächzt das Kontrafagott und klingt dabei eher wie ein sterbender Vogel. Und das Ende des Stückes kriegt auch keiner wirklich mit. Die Zuschauer sind gespalten: Manche schließen die Augen, um die Atmosphäre der Musik zu spüren, andere sind irritiert: „Das wird noch Jahrzehnte dauern, bis man solche Musik gut findet.“, murmelt eine Besucherin in den Applaus hinein.

Kathrin Rögglas Laudatio auf Sherko Fatah: zum Einschlafen

Schlecht gelegt ist das gewöhnungsbedürftige Musikstück außerdem, wenig förderlich ist es doch, wenn die Zuschauer so direkt vor der Verleihung des wichtigsten Preises des Abends ins Traumland entschweben. Wer aber gedacht hat, dass dies der Tiefpunkt war, wird enttäuscht, denn nun dürfen die verschlafenen Gemüter der Laudatio von Kathrin Röggla lauschen.

Was in langwierigen – aber eingeplanten – zwanzig Minuten erläutert wird, hätte auch in zehn gesagt werden können. Zumal der Preisträger des Großen Kunstpreises 2015 Sherko Fatah („Im Grenzland“ 2001, „Der letzte Ort“ 2014), ein Berliner mit irakischen Wurzeln, ein wirklich bemerkenswerter Schriftsteller ist: Er schreibt unbeschönigt über Flucht, Gewalt (von Einschüchterung bis Folter), von Entführung und Verschleppung, und lässt dabei arabische und westliche Welt aufeinander prallen. Die Gefühle und Gedanken der Protagonisten stehen im Vordergrund. Obwohl Fatah in „Der letzte Ort“ keine Ich-Perspektive benutzt, verschmilzt er geradezu mit seinen Figuren. Und trotzdem schafft er es, so auch die offizielle Begründung der Jury, „eine Erforschung der Gewalt in ihren unterschiedlichen Äußerungsformen zu betreiben, ohne sich zu ihrem Komplizen zu machen.“ Röggla bezeichnet Fatah als einen „Glücksfall für die Literatur“. Den Vortrag ergänzen Abbildungen von Fatahs Notizen, die seltene Einblicke in die Arbeit eines Schriftstellers bieten.

"Nun hör doch endlich auf"

Es ist sehr schade, dass die Laudatio auf einen solch talentierten Autor alles im Umkreis von fünf Kilometern erschlägt. Der Kommentar eines Zuschauers: „Nun hör doch endlich auf!“ löst Empörung im Saal auf. Das Wort Pegida fällt, obwohl nicht wirklich klar ist, was es in diesem Zusammenhang zu suchen hat. Die Organisatoren des Abends haben versagt. Welchem Künstler kommt es schon zugute, wenn dem Vortrag über seine Leistung fast niemand mehr folgen kann? Eine enttäuschende Veranstaltung, die mehr Potenzial hätte haben können.

Marie Stumpf

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