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Unterzeichnung einer gemeinsamen Vereinbarung zwischen der Bundesrepublik, dem Freistaat Bayern und der Stiftung Kunstmuseum Bern: Kulturstaatsministerin Monika Grütters, Stiftungsratspräsident Christoph Schäublin (links) und der bayerische Justizminister Winfried Bausback.

© dpa

Vereinbarung über das Erbe von Cornelius Gurlitt: Bund, Bayern, Bern - die Testamentsvollstrecker

Das Kunstmuseum Bern hat sich entschieden, das Erbe von Cornelius Gurlitt anzutreten. Was bedeutet das für seine Sammlung und die 499 mittlerweile als Raubkunst identifizierten Werke?

Überraschen konnte die Nachricht nicht, dass Bern das umstrittene Erbe von Cornelius Gurlitt antreten wird. Dafür war schon im Vorfeld der gestrigen Pressekonferenz zu viel an die Öffentlichkeit gedrungen. Und doch wurde die Bekanntgabe nach der voll ausgenutzten Bedenkzeit von einem halben Jahr seit dem Tod des Kunsthändlersohnes und Sammlers wie ein Staatsakt als großer Moment zelebriert: mit der Unterzeichnung einer gemeinsamen Vereinbarung zwischen der Bundesrepublik, dem Freistaat Bayern und der Stiftung Kunstmuseum Bern. Kulturstaatsministerin Monika Grütters, Stiftungsratspräsident Christoph Schäublin und der bayerische Justizminister Winfried Bausback signierten formvollendet mit drei hintereinander dargereichten Dokumenten und elegant zum Einsatz gebrachten silbernen Löschwiegen das in den vergangenen Monaten vorbereitete Papier, das dem Schweizer Museum die Annahme des befrachteten Testaments erleichtern sollte.

Tatsächlich scheint sich eine Form gefunden zu haben, die bestmöglich den weiteren Umgang regelt: sowohl mit der Raubkunst aus Gurlitt-Besitz – 499 Werke insgesamt – als auch mit der von den Nationalsozialisten als „entartet“ konfiszierten Kunst. Die über 1500 Stücke umfassende Sammlung des früheren NS-Kunsthändlers Hildebrand Gurlitt, die vollkommen unbekannt war bis zu ihrer Entdeckung durch die bayerische Staatsanwaltschaft im Frühjahr 2012 in der Schwabinger Wohnung des zurück gezogen lebenden Sohnes, wird zwischen der Bundesrepublik und dem Kunstmuseum Bern aufgeteilt. Der erst im November 2013 durch Presseberichte öffentlich gewordene Fund, darunter Meisterwerke von Picasso, Matisse, Chagall, Renoir, hatte einen der größten Kunstskandale der Bundesrepublik ausgelöst.

Wichtigster Punkt der Vereinbarung: Die Raubkunst verbleibt in der Obhut der von Bund und Bayern bereits vor einem Jahr eingesetzten Taskforce. Sie kümmert sich weiterhin um die Provenienzforschung und sucht mögliche Erben. Hinzu kommen auch jene erst später im Salzburger Haus von Gurlitt aufgetauchten Werke, die ebenfalls unter dem Raubkunst-Verdacht stehen. Beide, Bund und Land, erklären sich bereit, für die Restitution zu sorgen und für deren Kosten einzustehen. Sie übernehmen damit die von Cornelius Gurlitt noch kurz vor seinem Tod eingegangene Selbstverpflichtung, die „Washingtoner Prinzipien“ auf seine Privatsammlung anzuwenden, die bisher nur für öffentliche Museen galten.

Für den Privatmann Gurlitt, der sich rein rechtlich auf Verjährung berufen konnte, war das damals ein großer Schritt. Die nun gefundene neuerliche Lösung mit dem Bund könnte beispielhaft sein und Bewegung in den Bereich privater Restitution bringen, die bislang kaum ein Thema war. Die Sammlung Gurlitt stellt zwar durch Umfang und familiären Hintergrund einen Sonderfall dar, doch dürften sich bis heute zahlreiche Beutekunst-Werke in Privatbesitz befinden, die von den Erben vielfach jetzt erst als solche erkannt werden.

Der Bund stelle sich durch Übernahme von Provenienzforschung, Restitution und Kosten seiner besonderen Verantwortung, so die Kulturstaatsministerin. Hier gehe es um mehr als eine rechtliche Dimension, erklärte Monika Grütters bei der Pressekonferenz. Diese Haltung kam den Schweizern entgegen. Denn dem Kunstmuseum Bern war daran gelegen, dass keine Raubkunst aus Gurlitt-Besitz auf Schweizer Boden gelangt, um nicht belangt zu werden. Nach einem weiteren Forschungsjahr, so versprach die Ministerin, werde die Taskforce zu jedem Werk einen Bericht vorlegen.

Ganz glaubwürdig klang dies allerdings nicht, nachdem bisher gerade drei Bilder zweifelsfrei den Erben zugesprochen werden konnten: Nach Henri Matisses „Sitzender Frau“ und Max Liebermanns „Reiter am Strand“ wurde nun Carl Spitzwegs „Klavierspiel“ genannt. Aber auch diese Zeichnung war schon im vergangenen Jahr als Raubkunst aus der Sammlung des jüdischen Musikverlegers Henri Hinrichsen identifiziert worden. Trotz Aufstockung der Mittel kommt hier die Forschung viel zu langsam voran. Ein kleiner Fortschritt für außenstehende Interessierte bedeutet es da, dass seit Montag neben der Raubkunst auch die Geschäftsbücher von Gurlitt auf die Internetseite der Datenbank „Lost Art“ zu finden sind, wo sie von Rechercheuren möglicher Anspruchsteller studiert werden können. Jene Werke, für die sich keine Nachfahren finden lassen, so der Plan für die Zukunft, sollen öffentlich präsentiert werden, um mögliche Erben anzusprechen.

So verbleiben die Problemfälle in der Bundesrepublik, die unbelasteten Werke gehen an das Kunstmuseum Bern, das dennoch keine „Triumpfgefühle“ verspüre, wie Stiftungsratspräsident Schäublin verriet. Sein Haus werde sich der Geschichte der Sammlung stellen und eine eigene Forschungsstelle einrichten, kündigte er an. Schäublin versprach außerdem, dass jene 1937 im Zuge der Aktion „entartete Kunst“ beschlagnahmten Werke – 477 insgesamt – an die damals beraubten Museen bevorzugt entliehen werden sollen. Damit scheint auch hier ein Kompromiss gefunden, denn schon hatten die ersten Museen Herausgabe gefordert, ohne dafür allerdings eine rechtliche Grundlage zu besitzen.

Erleichterung auf allen Seiten: Die Bundesrepublik weiß die Causa Gurlitt in der Schweiz in guten Händen, wohin sich schon einmal Künstler vor den Nationalsozialisten retteten, die Berner wiederum brauchen sich um die kontaminierte Kunst nicht zu kümmern. Ein Gewinn unter dem Strich, verhaltene Vorfreude komme auf, so Schäublin. Über die Anfechtung des Erbes durch eine Cousine Gurlitts im letzten Moment wollte da niemand mehr reden.

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