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Attentat auf Siziliens Regionalpräsidenten Piersanti Mattarella (1980).

© Letizia Battaglia/iicb

Verbrechen und Corona: Warum die Mafia ein großer Profiteur der Pandemie ist

Das organisierte Verbrechen zieht in der Krise immer mehr junge Leute an. Eine Online-Reihe des italienischen Kulturinstituts blickt auf die Machenschaften.

Es gibt außer den Superreichen und ihren boomenden Konzernen à la Amazon noch einen weiteren Gewinner der Corona-Krise. Die Mafia. Allein schon mit ihren vier italienischen Unterfirmen, der sizilianischen Cosa Nostra, der ’Ndrangheta aus Kalabrien, der neapolitanischen Camorra und der Sacra Corona (!) aus Apulien wäre die Mafia einer der größten Konzerne Europas. Superreich, auch ohne die nord- und südamerikanischen Schwestern oder russischen Brüder, ohne die Geschäftsbeziehungen in Thailand, China oder Japan.

Vor allem verfügt die Mafia über liquide Mittel in neun- bis zehnstelliger Höhe. Also über Geld, das angesichts des von Ungarn und Polen derzeit blockierten EU-Hilfsfonds Ländern wie Italien und Spanien in der Krise fehlt. Geld, das zudem im legalen Wirtschaftskreislauf angelegt und gewaschen werden muss, um kein totes Kapital zu bleiben.

Mit dem bevorstehenden Brexit gewinnt die Thematik weitere Brisanz. Roberto Saviano, der von der Camorra noch immer verfolgte italienische Rechercheur und Bestsellerautor, hat das bisherige internationale Finanzzentrum London schon früher als die „größte Geldwaschanlage der Welt“ bezeichnet.

Nun aber fließen Finanzströme jeglicher Art nicht etwa nur nach Panama, vielmehr auch nach Luxemburg und Frankfurt am Main. Gleichfalls noch, wie Kenner argwöhnen, in etwas kleineren, aber regelmäßigen Tranchen auf unverdächtiger erscheinende Konten bei Banken etwa in Nordrhein-Westfalen oder Sachsen.

Angesichts der Jugendarbeitslosigkeit in den Mittelmeerländern (von oft mehr als 40 Prozent) und somit einer der größten Bedrohungen für das Europa der näheren Zukunft locken mafiose Unternehmer die Jungen vor allem in Süditalien. Mal mit legalen Jobs, dann mit kriminellen Aufträgen.

Spaghetti mit Pistole

Und zeugten früher bizarr wie Betonskelette in die Landschaft ragende Autobahnbrücken ohne Straßenanschluss von der Verquickung zwischen korrumpierten Steuergeldern und Baumafia, so wundert sich der Italienreisende im Corona-Jahr 2020, dass ausgerechnet jetzt im ganzen Land Bauvorhaben aufleben, die seit der Finanzkrise vor zehn Jahren schon begraben schienen. Plötzlich präsentiert sich die Geldwäsche so sichtbar wie lange nicht mehr.

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Trotzdem gibt es natürlich das ganz andere Italien. Menschen, die empört sind, wenn auf einem „Spiegel“-Titel über Italien ein Teller Spaghetti mit blutiger Tomatensoße und einer darauf platzierten Pistole serviert wird. Oder wenn der Ministerpräsident der Niederlande im Sommer den Verdacht bekundet, dass mit EU-Hilfen aus Brüssel nur Italiens Mafia subventioniert würde.

Das Leben riskiert

Umgekehrt weisen italienische Bürgermeister, Polizisten, Juristen oder auch Künstler und Journalisten, die für ihren Kampf gegen die Mafia oftmals ihr Leben riskieren, immer wieder darauf hin, dass die EU und insbesondere Deutschland wegen ihrer Datenschutzgesetze eine grenzüberschreitende Verfolgung von Personen und Finanztransaktionen des organisierten Verbrechens behinderten.

[Italienisches Kulturinstitut, Hildebrandstraße 2. Informationen zu „Planet Mafia“ auf der Website iicberlino.ersteri.it.]

Es ist ein Konflikt, den jetzt auch eine bemerkenswerte Programmreihe des Italienischen Kulturinstituts in Berlin thematisiert. „Planet Mafia“ heißt das Unternehmen, das mit Vorträgen und Diskussionen bis Anfang Dezember erstmal nur per Stream im Internet zu erleben ist. Aber ein Herzstück, die Ausstellung von Bildern der legendären sizilianischen Fotografin Letizia Battaglia, bleibt mindestens bis Ende März 2021 im Kulturinstitut im Haus der Italienischen Botschaft am Berliner Tiergarten an den Wänden.

Roberto Savianos Warnungen

Zunächst betont Maria Carolina Foi, die seit Juni als Nachfolgerin des Literaturwissenschaftlers Luigi Reitani amtierende Direktorin des Instituts, im Gespräch, dass der Titel „Planet Mafia“ bewusst auf „die globale Dimension des organisierten Verbrechens“ abziele. Nicht zuletzt habe die Pandemie das Problem verschärft. „Davor hat Roberto Saviano von Anfang an gewarnt, und wir nehmen das mit in den Blick.“

Hierüber wird an diesem Donnerstagabend auch in der Veranstaltung des Instituts mit Francesco Forgione, dem früheren Präsidenten der parlamentarischen Anti-Mafia-Kommission in Rom, zum Thema „Expansion der Mafia in Europa“ gesprochen werden (ab 19 Uhr via Zoom). Wobei die Hoffnung auf einen baldigen Impfstoff schon die Begehrlichkeit der Mafia geweckt hat, am Milliardengeschäft mittels Bestechung und verdeckter Beteiligung mitzuwirken.

Italien ruft Deutschland

Fortgesetzt wird „Planet Mafia“, das besonders ambitionierte Projekt eines ausländischen Kulturinstituts in Deutschland, unter anderem mit Veranstaltungen wie „Der Kampf gegen die Mafia. Italien ruft Deutschland“ (26. 11.) und „Die Anti-Mafia-Bewegung – Wer weiß, kann handeln“ (3. 12.): mit dem Mailänder Soziologen, Ex-Senator, Zeitungsherausgeber und Experten für Organisierte Kriminalität Nando dalla Chiesa sowie Vertreterinnen internationaler Vereinigungen zur Mafia-Bekämpfung.

Nando dalla Chiesa ist der Sohn des Polizeigenerals Carlo Alberto dalla Chiesa, der 1982 in Palermo von der Cosa Nostra ermordet wurde. Er begleitet das „Programm „Planet Mafia“ und hat Ende Oktober bereits ein eindrucksvolles, demnächst als Video über die Website des Instituts abrufbares Gespräch mit der heute 85-jährigen, in Rom lebenden Letizia Battaglia geführt.

Battaglia, die als junge Fotografin in Sizilien unzählige Opfer und Täter der Mafia in zum Teil dramatischen, dramatisch anklagenden Bildern ins Gedächtnis und Gewissen gerufen hat, ist nicht zuletzt durch den 2019 bei der Berlinale gezeigten Dokumentarfilm „Shooting the Mafia“ auch hierzulande einem größeren Publikum bekannt.

Bestürzend wie ergreifend

Die engagierte Kulturinstitutsleiterin Maria Carolina Foi hat selbst Jura und Literaturwissenschaften studiert und ist, als Schülerin von Claudio Magris, im Hauptberuf Germanistin an der Universität von Triest.

Dabei liegt ihr Augenmerk gerade auf dem Zusammenhang von Recht, Verbrechen, Gesellschaft und Kultur. Wie ein Spiegelbild dieser Themen wirken auch die mehr als 40 brillanten Fotografien Letizia Battaglias, denen man nach einem Lockdown noch eine große Öffentlichkeit wünscht.

Die Bilder sind so bestürzend wie ergreifend wegen ihrer Schonungslosigkeit und ihrer, selbst im Antlitz der Ermordeten, spürbaren Empathie. Wegen des Muts, der Geistesgegenwart und des Auges hinter der Kamera. Es sind Ansichten nicht nur des italienischen Planeten.

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