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Fragile Konstruktion. Blick in den Glashof des Jüdischen Museums. Auch bei der Gestaltung der Ausstellungen ist hier ein besonderes Gespür für Balance nötig.

© Kai-Uwe Heinrich

Veränderung im Jüdischen Museum: Vor uns die Sintflut

Das Jüdische Museum eröffnet 2020 eine neue Dauerausstellung. Peter Schäfer, der Direktor des Hauses, spricht über die Pläne.

Es ist zwar noch ein ganzes Jahr hin bis zur Eröffnung – doch das Konzept der neuen Dauerausstellung im Jüdischen Museum Berlin nimmt hinter den Kulissen natürlich bereits Formen an. Die bisherige, 2001 eröffnete und im Dezember 2017 geschlossene Dauerausstellung hatte Schwächen, war teilweise überladen und harmonisierte nicht gut mit der Architektur des Libeskind-Baus, die vor allem auf die Wirkung der Leere setzt.

Künftig sollen die Themen Religion, Antisemitismus und Holocaust stärker berücksichtigt werden. Direktor Peter Schäfer betont dabei, dass die Geschichte von Aschkenas, also des deutschen Judentums, und seine Beziehung zur nichtjüdischen Umwelt im Zentrum steht, nicht etwa die Geschichte des Judentums im Allgemeinen oder die Regionalgeschichte der Berliner Juden.

Aktiv zum Nachdenken anregen

Die neue Dauerausstellung wird einen durchgehenden historisch-chronologischen Strang haben, beginnend im ersten nachchristlichen Jahrhundert. Dazu gibt es mehrere Themenräume, in denen spezifische Aspekte vertieft behandelt werden sollen. Wie bisher beginnt der Rundgang durchs Haus bei den Achsen des Exils und des Holocaust im Untergeschoss beginnen und dann ins oberste Geschoss führen. Um die Hemmschwelle der langen Treppe zu mildern, sollen Buchstabenprojektionen die Besucher nach oben leiten, in den ersten Themenraum „Wort“, in dem es um die zentrale Bedeutung der Schrift im Judentum geht.

Der Themenraum „Musik“ soll deutlich machen, wie wichtig – ähnlich wie im Protestantismus – Klänge im Judentum sind, Synagogalgesang etwa oder Kompositionen von Louis Lewandowski. Im Themenraum „Kabbala“ dreht sich alles um jüdische Mystik, außerdem ist geplant, die Absurdität der bürokratischen Vernichtungsmaschinerie des NS-Regimes seit 1933 visuell zu präsentieren, durch Wände mit sämtlichen 962 Gesetzen, die die Möglichkeiten für Juden schrittweise immer mehr einengten.

Andere Pläne sehen vor, dass die Besucher aktiv zum Nachdenken darüber angeregt werden, was Antisemitismus eigentlich ist. Und zwar anhand von kurzen Szenen, auf die jeweils die Frage folgt: „Ist das antisemitisch?“, die Experten dann aus je ihrer Sicht beantworten. Die neue Dauerausstellung wird von einer hauseigenen Kuratorengruppe geplant, die ehemalige Programmdirektorin Cilly Kugelmann ist mittels eines Beratervertrages stark involviert.

Netanjahu forderte Finanzierungsstopp

Die Eröffnung der neuen Dauerausstellung ist vom Herbst 2019 auf das Frühjahr 2020 verschoben worden. Grund dafür seien lediglich bauliche Probleme, versichert Museumsdirektor Peter Schäfer im Gespräch.

In jüngster Vergangenheit hat es wiederholt politische Kontroversen bis hin zu versuchten Interventionen bei der Sonderausstellung „Welcome to Jerusalem“ und Veranstaltungen des Museums gegeben. Im Dezember beispielsweise forderte Israels Premier Benjamin Netanjahu in einem Brief an Bundeskanzlerin Angela Merkel, die finanzielle Förderung des Jüdischen Museums Berlin durch den Bund einzustellen, weil dieses antiisraelische Aktivitäten unterstütze und die noch bis Ende April zu sehende Jerusalem-Ausstellung die Sichtweise der israelischen Regierung nicht genug berücksichtige.

„Auch wenn die Diskussion nicht spurlos an uns vorübergegangen ist, so hat sie uns doch in keiner Weise geschadet“, erklärt Schäfer, dessen Vertrag als Direktor des Jüdischen Museums am 31. August 2019 endet. „Kulturstaatsministerin Monika Grütters hat deutlich gemacht, dass Netanjahu damit seine Kompetenzen überschritten hat.“ Auch die Debatte um den palästinensischen Nahostexperten Saed Atshan, der im Sommer 2018 einen Vortrag zu queerem Leben in Ost-Jerusalem wegen angeblicher Nähe zur umstrittenen anti-israelischen Organisation BDS nach Protesten der israelischen Botschaft nicht wie vorgesehen im Jüdischen Museum Berlin halten konnte, sieht Peter Schäfer als beendet an. „Wir wurden dafür geprügelt, ihn eingeladen zu haben, und dafür, ihn ausgeladen zu haben. Es ist die Wahl zwischen Pest und Cholera.“ Das Jüdische Museum sei sensibilisiert dafür, sich Referenten künftig genauer anzugucken – ohne deshalb gleich einen Gesinnungstest durchführen zu wollen.

Verantwortung als jüdisches Thema

Ebenfalls Anfang 2020 soll gegenüber dem Jüdischen Museum auf der anderen Seite der Lindenstraße in der ehemaligen Blumengroßhalle das neue Kindermuseum eröffnen. Es will religiöse Themen für Besucher von drei bis zehn Jahren vor allem anhand der Arche-Noah-Erzählung aufschlüsseln, weil die für alle drei monotheistischen Religionen bedeutsam ist. „Wir werden nicht verschweigen, dass Gott eine Sintflut geschickt hat“, sagt Peter Schäfer, „aber der Fokus liegt auf der Verantwortung von uns allen, eine neue, bessere Welt aufzubauen. Die Zusammenhänge zu aktuellen Klima- und Umweltproblemen sind offensichtlich.“ Danach gefragt, was das spezifisch Jüdische daran sei, meint Schäfer: Die Verantwortung aller Menschen für die Welt nicht in einem imaginären Jenseits, sondern im Hier und Jetzt, das sei ein elementar jüdisches Thema.

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