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Anamaria Vartolomei (r.).

© oto: Venedig Filmfestival

Venedig Tagebuch (5): Alte Helden, neue Stimmen

Am Lido gedenkt man Schauspieler Jean-Paul-Belmondo. Regisseurin Audrey Diwan reiht sich mit ihrem Abtreibungs-Drama in einen starken Wettbewerb der Frauen ein.

Von Andreas Busche

Montagabend gab es auf dem Lido nur ein Thema. Der Tod von Jean-Paul Belmondo kam zwar nicht überraschend, trotzdem lässt einen der Verlust eines ganz Großen des europäischen Kinos nicht unberührt – selbst wenn der Festivalbetrieb deswegen nicht anhält. Bilder aus den persönlichen Lieblingsfilmen mit Belmondo vermischen sich mit den Bildern von der „Mostra“, wie die Filmfestspiele in Venedig auch kurz genannt werden. Man schreibt in Gedanken eine stille Würdigung, aber: The Show must go on.

Venedig hat Belmondo bereits 2016 mit dem Ehren-Löwen gewürdigt. Die Worte der Laudatorin Sophie Marceau erinnern an das, was Festivalchef Alberto Barbera am Montag „Bébel“ hinterherruft: das Knautschgesicht, dieser Charme, seine Vielseitigkeit. Venedig scheint ein schlechtes Karma für die Altmeister des europäischen Kinos zu haben, 2020 starb während des Festivals Jirí Menzel. Man will ja nichts beschreien.

Doch Belmondo ist wie sein alter Freund Alain Delon (und anders als Cathérine Deneuve) heute nur noch ein Schatten des französischen Kinos. Das ist in diesem Jahr am Lido aber gut vertreten – und hat schon eindrucksvoll vorgelegt. Xavier Giannolis Balzac-Verfilmung „Verlorene Illusionen“ hat sich, je schöner die Erinnerungen blühen, längst zum Kritikerinnenliebling gemausert.

Audrey Diwans Adaption von Annie Ernaux’ autobiografischem Roman „L'évènement“ („Das Ereignis“) ergänzt die bisher starke Präsenz von Regisseurinnen im Wettbewerb. Sie hat zudem – vor dem Hintergrund verschärfter Abtreibungsgesetze in Polen und den USA – ein hochaktuelles Thema.

Anamaria Vartolomei spielt die 23-jährige Anne aus der französischen Provinz, es ist das Jahr 1963: Eine ungewollte Schwangerschaft bringt das unbeschwerte Leben der ambitionierten Literaturstudentin durcheinander. Schwangerschaftsabbrüche stehen in den sechziger Jahren unter Strafe, doch Anne kämpft für ihr Recht auf körperliche Selbstbestimmung. „Ich möchte ein Kind in meinem Leben“, sagt sie einmal zu einem Arzt, „aber nicht anstelle eines Lebens.“

Mütter und Mutterschaft sind ein großes Thema dieses Jahr

Diwan erzählt ihren Film im Wochenrhythmus, immer näher rückt die zwölfte Woche. Aber ähnlich wie in „Niemals Selten Manchmal Immer“ von Eliza Hittman sind Laurent Tangys Bilder zurückhaltend, geradezu undramatisch wie im Dardenne-Stil. Man denkt auch kurz an Maggie Gyllenhaals „The Lost Daughter“, einem der Löwen-Favoriten bisher. Mütter und Mutterschaft sind ein großes Thema dieses Jahr. Aber es kommt nicht oft vor, dass so klarsichtig und sensibel auch von der Kehrseite erzählt wird.

Und da gibt es noch „La Caja“ vom Venezolaner Lorenzo Vigas, der zeigt, was die vaterlosen Gesellschaften in Lateinamerika aus den Söhnen machen: eine Generation ohne moralischen Kompass. Vigas gewann 2015 überraschend mit einem anderen „Söhne-Drama“ den Goldenen Löwen. „La Caja“ spielt nun in Mexiko, wo der Teenager Hatzin die Überreste seines ermordeten Vaters abholen will – und sich in dessen kriminelle Geschäfte verstrickt. Die titelgebende Kiste, mehr ist dem Jungen vom Vater nicht geblieben. Frauen spielen in „La Caja“ keine Rolle.

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