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Vattenfall-Kunstpreis: Ein Ballon wirft Falten

Die Bildhauerin Katja Strunz liebt es, Metall zu bearbeiten, es zu pressen, formen, lackieren. Am Donnerstag erhält sie in der Berlinischen Galerie den Vattenfall-Kunstpreis.

Erst vor wenigen Tagen ist das letzte Werk der Ausstellung „Drehmoment“ in der Berlinischen Galerie fertig geworden. Das passt zur Kunst von Katja Strunz. In ihren Arbeiten geht es oft um das Thema Zeit. Und die verstreicht langsam, wenn die Bildhauerin Metall als eines ihrer liebsten Materialien bearbeitet, lackiert und mit einem Gabelstapler faltet. Vor allem wenn sich das verwendete Aluminium als widerspenstig erweist. Der Arbeitsprozess ist mühsam, im Gegensatz zur Leichtigkeit des Ergebnisses. Das schwarze Knäuel in der Eingangshalle der Berlinischen Galerie sieht aus, als hätte es ein Riese mal eben mit der Faust zusammengedrückt. Einer anderen Arbeit sieht man das Verstreichen von Zeit besser an: Vier Papierbögen hängen gerahmt an der Wand, sie sind schon ganz gelblich verfärbt. Katja Strunz hat zart die Worte „Yesterday’s Paper“ darauf drucken lassen.

Für ihren sinnlich erfahrbaren, eleganten Umgang mit Material wird die 1970 im saarländischen Ottweiler geborene Katja Strunz nun am heutigen Donnerstagbend in der Berlinischen Galerie mit dem Vattenfall-Contemporary-Preis geehrt. Zur Auszeichnung gehört die Schau im Landesmuseum. Seit 2010 wird der Preis an internationale Künstler verliehen, die in Berlin leben. Mit seiner vierten Auflage tritt das für den Besucher Spannende immer deutlicher hervor: Jede Ausstellung des jeweiligen Preisträgers ist eine Auseinandersetzung mit der Architektur des Museums. Denn Bedingung ist es, die 40 Meter lange, 10 Meter hohe Eingangshalle zu füllen. 2011 beschrieb die britisch-kanadische Künstlerin Angela Bulloch die Wände, der Deutsche Michael Sailstorfer hat im vergangenen Jahr fünf Nadelbäume kopfüber von der Decke hängen und sich drehen lassen.

Katja Strunz lässt ein breites, regelmäßig geknicktes Stahlband an einem Drahtseil nach unten hängen. Gekreuzte Streben versteifen es zu einer ovalen Form mit Ausbuchtungen. Auch diese Skulptur wirkt trotz der schwarzen Oberfläche und technoiden Konstruktion leicht, als hätte die Berliner Bildhauerin nicht Stahl, sondern Papier bearbeitet. Knicke und Falten tauchen in ihren Arbeiten immer wieder auf – als Verdichtung von Raum. Aus einer flachen Metallplatte wird ein dreidimensionales Gebilde.

Deutlich weniger abstrakt ist die vierte Arbeit. An einer Balkenwaage aus Messing hängt ein aufgeblasener Luftballon, auf der anderen Seite nur noch die zusammengeschrumpelte Ballonhaut. Katja Strunz hat getrickst und echte Exemplare in Plastik nachgegossen, weshalb der volle tatsächlich schwerer wiegt. Allein das sorgt für einen Moment der Irritation. Gleichzeitig fügt sich diese Installation anschaulich ins Gesamtwerk. Mit der Zeit verflüchtigt sich die Luft aus der Latexhülle, der Ballon wird kleiner, die einst pralle Haut wirft Falten.

Was dieses Aufwerfen von Oberflächen bei Katja Strunz außerdem bedeuten kann, verrät der Untertitel der Ausstellung: „Viel Zeit, wenig Raum“ bezieht sich auf ein Zitat Heinrich Heines, der 1843 beschrieb, wie sich durch die Erfindung der Eisenbahn die Welt verkleinert und das Leben beschleunigt hat. Was weit entfernt lag, ist plötzlich so nah. Orte rücken zusammen. Heines Empfindungen gelten noch heute. Wer mag, kann per Google Maps virtuell am anderen Ende der Welt spazieren gehen. Und plötzlich verankern sich die Skulpturen von Katja Strunz in unserer Lebenswirklichkeit – als wuchtige Symbole der Gegenwart.

Berlinische Galerie, Alte Jakobstr. 124 – 128, Preisverleihung heute, Donnerstag, 20 Uhr. Ausstellung bis 2. 9.; Mi bis Mo 10–18 Uhr.

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