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Kultur: Vater vieler Söhne - der Publizist Siegfried Jacobsohn

Er war ein begnadeter Kritiker, ein herausragender Stilist und ein genialer Redakteur. "Du warst der Vater von vielen", schrieb Kurt Tucholsky über seinen Mentor Siegfried Jacobsohn.

Er war ein begnadeter Kritiker, ein herausragender Stilist und ein genialer Redakteur. "Du warst der Vater von vielen", schrieb Kurt Tucholsky über seinen Mentor Siegfried Jacobsohn. Der Gründer und Herausgeber der "Weltbühne" habe viele seiner Autoren "erst zu dem gemacht, was wir heute sind. Er hat mit uns und an uns gearbeitet und hat uns nicht nur gedruckt, sondern gefördert. Annehmen und zurückschicken kann schließlich jeder Redakteur - aber einen Baum begießen, dass er wächst, aber ein wildes Tigertier aufziehen, das kann nicht jeder." Im Schatten der Bäume, die er pflegte, ist Siegfried Jacobsohn ziemlich in Vergessenheit geraten. Tucholsky und Carl von Ossietzky kennt jeder. Nach Jacobsohns plötzlichem Tod im Dezember 1926 führten sie die "Weltbühne" in seinem Sinne fort, bis die Nazis das Blatt verboten. Der eine brachte sich im Exil um, der andere starb an den Folgen der KZ-Haft. Jacobsohn wäre es kaum besser ergangen, war er doch verantwortlich für die antimilitaristische Blattlinie und für die Aufdeckung rechter Fememorde kurz vor seinem Tod. Und er war Jude, ein sehr deutscher Jude, der sich Goethe und Mozart inniger verbunden fühlte als dem alttestamentarischen Gott.

Antisemitische Vorurteile haben den 1881 in Berlin geborenen Jacobsohn bei seiner Arbeit nicht nur behindert, fast gewinnt man Eindruck, sie hätten ihn unbemerkt auf den rechten Weg gebracht. Wie viele jüdische Intellektuelle entschied er sich schon während seines geisteswissenschaftlichen Studiums in Berlin gegen eine akademische Laufbahn. Mit zwanzig wurde er Theaterkritiker der "Welt am Montag" und war nach zweieinhalb Jahren Feuilletonchef. Neben der Tagesarbeit wühlte er sich durch alte Zeitungsbände und veröffentlichte 1904 sein erstes Buch über "Das Theater der Reichshauptstadt". Dann wurde ihm sein Fleiß zum Verhängnis. Ein Kritikerkollege entdeckte wortwörtliche Übereinstimmung zwischen einem sieben Jahre alten Artikel aus eigener Feder und einem aktuellen Theaterbericht Jacobsohns. Grund genug für seine Neider und Gegner, ihn als Plagiator zu brandmarken. In die Kampagne mischten sich antisemitische Töne. Für sein Blatt war der junge Kritiker nicht mehr tragbar, doch statt ihn zu entlassen, finanzierte ihm sein Verleger eine Bildungsreise nach Italien.

Wieder in Berlin, beschloß Jacobsohn, seine verlorene Stellung in der Heimatstadt auf eigene Faust zurückzuerobern. Er gründete mit geliehenem Geld eine eigene Wochenschrift. "Die Schaubühne". Sie widmete sich ganz dem Theater, doch da Jacobsohn die Bühne durchaus als moralische Anstalt begriff, war die Öffnung zur Kultur- und Gesellschaftskritik nur eine Frage der Zeit. Die Erfahrung des Ersten Weltkrieges forcierte den Transformationsprozeß, der sich 1918 auch im neuen Titel "Die Weltbühne" niederschlug. Er machte die Zeitschrift zum wichtigsten Forum linker literarischer Publizistik in der Weimarer Republik.

Das alles war in Umrissen bekannt, ohne dass man Gesichertes über den Mann hinter der Zeitschrift wusste. Diese Lücke schließt nun Stefanie Oswalts Biografie. Sie beruht auf der Sichtung aller erhaltenen Dokumente, auf der Auswertung verschiedener Briefnachlässe, sowie auf Gesprächen mit dem vor zwei Jahren verstorbenen Sohn. Bei aller wissenschaftlichen Akribie ist der Autorin ein spannender Lebensüberblick gelungen. Es wird plastisch, welchen immensen persönlichen Einsatz es Jacobsohn abforderte, das wöchentliche Erscheinen seiner Zeitschrift über zwei Jahrzehnte zu sichern. Zum ersten Mal erfährt man Näheres über die Ehe mit Edith Jacobson, die nach seinem Tod nicht nur die "Weltbühne" verlegte, sondern auch Klassiker der Jugendliteratur wie "Emil und die Detektive" und "Pu, der Bär".

Als der kleine, verwachsene Mann mit 45 Jahren an einem epileptischen Anfall starb, trauerten seine Weggefährten um eine moralische Instanz. Das war er, weil es keinen Bruch zwischen der geistigen Linie seiner Zeitschrift, dem Stil seines Schreibens und seinem persönlichen Lebenswandel gab. Mit preußischer Disziplin verfolgte er seine Ziele, verteidigte er seine Prinzipien und bezauberte dabei durch Bildung, Witz und Humor.Stefanie Oswalt: Siegfried Jacobsohn. Ein Leben für die Weltbühne. Bleicher Verlag, Gerlingen 2000. 294 Seiten, 48 DM.

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