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Der US-amerikanischen Filmregisseur Michael Moore in einer Szene des Kinofilms "Where to invade next"

© dpa/Falcom Media

US-Regisseur Michael Moore im Interview: „Ihr Europäer beseitigt unseren Schlamassel“

Regisseur Michael Moore über amerikanische Antiterror-Kriege, Flüchtlingskrise und seinen Film „Where to Invade Next“.

Mr. Moore, Sie haben sechs Jahre lang keinen Film mehr gedreht. Was brachte Sie dazu, nun doch weiterzumachen?

Am Ende von „Kapitalismus: Eine Liebesgeschichte“ war ich es leid, das Gefühl zu haben, immer nur alleine die Leute zu motivieren, damit sie aus dem Haus gehen und sich wehren. Ich wollte nicht mehr der Vorzeige-Protest-Amerikaner bei Fox News sein. Aber dann gab es die Occupy-Bewegung, es gab „Black Lives Matter“...

... die Anti-Rassismus-Bewegung, die sich nach Ferguson formierte ...
... und andere neue Aktivistengruppen, da dachte ich, okay, die Leute fangen an, sich einzumischen, da drehe ich doch wieder einen Film.

Die Idee zu „Where To Invade Next“ geht auf einen zweimonatigen Europa-Trip zurück, den Sie mit 19 machten. Was hat Sie damals so beeindruckt?
Dass die Deutschen so nett sind (lacht). Nein, im Ernst, alles, was ich über die Deutschen wusste, hatte mit dem Zweiten Weltkrieg zu tun, der erst 25 Jahre zurücklag. Und nun war da diese junge Generation der sechziger und siebziger Jahre, lauter wundervolle, freundliche, friedliche, politisierte Menschen. Das hat mich umgehauen. Ich habe Freundschaften geschlossen, die bis heute andauern.

Sie loben in „Where to Invade Next“ europäische Errungenschaften wie den Jahresurlaub, das Gesundheitssystem oder die deutschen Stolpersteine. Aber Europa hat auch Schattenseiten, es gibt rechtsextreme Politiker in vielen Ländern, in Deutschland steigt die Ausländerfeindlichkeit. Machen Sie sich da keine Sorgen?
Nein. Ich mache mir mehr Sorgen um Amerika, und das sollten Sie auch tun, denn der Einfluss der USA auf die Welt ist immens. Was wir Amerikaner tun und wie wir uns verhalten, hat Folgen für jeden. Die deutsche Politik hat, mit Verlaub, weniger Auswirkungen auf den Rest der Welt. Natürlich bin ich nicht naiv und weiß um die Probleme Europas. Es gibt ja Gründe, warum ich nicht in Deutschland lebe oder in Frankreich. Obwohl, Frankreich wäre nicht schlecht.

Wegen des Essens? Im Film staunen Sie über das Kantinenessen in einer ganz normalen französischen Grundschule.
Frankreich liefert sich zwar ein Kopf-an-Kopf-Rennen mit Italien, aber der Preis für das beste Essen geht an Italien. Wer an einem Ort leben will, an dem Menschen zivilisiert miteinander umgehen, dem empfehle ich Frankreich. Wer an einem Ort leben will, in dem es Käse von Wasserbüffelmilch gibt, der einem auf der Zunge zergeht, dem empfehle ich Italien.

Der französische Käse ist auch sehr lecker.
Aber das wussten wir schon. Das mit dem italienischen Käse war mir neu.

Wie nehmen Sie die Flüchtlingskrise in Deutschland und Europa wahr? Die Außengrenzen werden allmählich geschlossen.
Die Grenzen waren in vielen Ländern schon bis letzten Sommer nicht besonders weit offen. Dann gab es Anfang September dieses Foto von dem syrischen Jungen, der tot am Strand in der Türkei angespült wurde. Das Bild dieses Dreijährigen hat die Menschen bewegt, und plötzlich gingen die Türen weit auf, besonders in Deutschland und Österreich. Vielleicht gibt es nun doch zu viele Flüchtlinge, oder es ist alles nicht gut durchdacht, aber die Großzügigkeit Ihrer Regierung hat mich tief beeindruckt. Darauf möchte ich die Amerikaner und den Rest der Welt aufmerksam machen: Wie groß das Herz der Deutschen ist und dass wir eine ähnliche Haltung anstreben sollten. Selbst wenn wir Fehler machen, selbst wenn die Deutschen Fehler machen, es bleiben anständige, ehrenhafte, liebenswerte Absichten.

Wie gesagt, die Ausländerfeindlichkeit steigt, es gibt Brandanschläge gegen Asylbewerberheime.
Natürlich hat die Großzügigkeit auch den Fanatismus der Rassisten stimuliert. In Deutschland gibt es hunderttausende Rassisten, wie in den meisten Ländern der Welt – ich fürchte, in Amerika geht die Zahl sogar in die Millionen. Aber es ist an uns und Ihnen, die wir keine Ausländerfeinde sind, dagegen anzugehen und deutlich zu machen, dass die Fanatiker nicht ungeschoren davonkommen dürfen. Das Schreckliche ist doch, dass wir Amerikaner auch noch zu einem großen Teil schuld sind am sogenannten Flüchtlingsproblem.

Sie meinen, wegen der anderen, nicht-friedlichen amerikanischen Invasionen? Weil der Anti-Terror-Krieg den instabilen Mittleren Osten weiter destabilisiert hat?
Ihr Europäer beseitigt den Schlamassel, den wir angerichtet haben, und seid nun in einer schwierigen Lage, einfach weil ihr helfen wollt. Ich fände es gut, wenn Amerika jetzt sagen würde, wir wissen eure Aufräumarbeiten zu schätzen, aber wir übernehmen jetzt mal selber die Verantwortung.

Ich denke, auch Europa trägt Mitverantwortung für die Lage derer, die zu uns kommen. Aber bleiben wir bei Amerika. Gerade gewinnt Donald Trump alle Vorwahlen: Was wird das für ein Wahljahr?
Meine größte Sorge ist die, dass die Menschen zu Hause bleiben, statt wählen zu gehen. Wenn das so bleibt, wird Donald Trump der nächste US-Präsident. Wenn die Bürger von ihrem Wahlrecht Gebrauch machen, hat er keine Chance: 81 Prozent der Wahlberechtigten sind entweder Frauen, people of colour oder junge Leute im Alter von 18 bis 35 Jahren. All diese Gruppen hat Trump vor den Kopf gestoßen, sie werden ihn nie mehrheitlich wählen.

Die Liberalen sind weniger politikbegeistert als der rechte Flügel

Warum gehen denn so viele nicht wählen?
Die Liberalen in meinem Land sind generell weniger politikbegeistert als der rechte Flügel. Es gibt keine organisierte Linke in Amerika, obwohl die Linke durchaus existiert. Man sieht es daran, dass ein sozialistischer Politiker wie Bernie Sanders es bei den Umfragen aus dem Stand von 3 auf bis zu 43 Prozent schafft. Den Rechten gelingt es trotzdem viel leichter, die Leute an die Urnen zu locken. Ich kann mir das nur so erklären, dass Hass offenbar ein stärkerer politischer Motor ist als Liebe. Ich wünschte, es wäre nicht so. Irgendwas ist schon vor längerem schiefgegangen. Schon in „Bowling for Columbine“...

... Ihrem Film von 2002 über den Amoklauf in einer Schule und die Waffenlobby in Amerika ...
.. ging es weniger darum, dass wir zu viele Waffen haben – 300 Millionen in Privathaushalten –, sondern dass mit uns Amerikanern etwas nicht stimmt. In der Schweiz wird in so gut wie jedem Haus ein Gewehr aufbewahrt, auch in Israel, ebenso in Kanada, weil dort die Jagd so beliebt ist. Aber die Schweizer, die Israelis und die Kanadier erschießen sich nicht gegenseitig in dem Maß, in dem wir Amerikaner das tun. Es hat wohl damit zu tun, dass wir in Angst gehalten werden und dass diese Angst mithilfe des Rassismus manipuliert wird. Die Mehrheit der Waffenbesitzer in Amerika sind weiße Bewohner der Vorstädte und der ländlichen Regionen. In den Großstädten gibt es keine Schulamokläufe, auch nicht in Schulen mit überwiegend schwarzen oder hispanischen Kindern.

Alle Ihre Filme verstehen sich als politische Interventionen. Können Filme tatsächlich etwas bewirken?
Bilder können eine ungeheure Wirkung entfalten, wie das eingangs erwähnte Bild des toten Flüchtlingsjungen. Das ist auch im Zeitalter des Streamings nicht anders. Trotzdem: Filme gehören auch weiter ins Kino. Lassen Sie mich zum Schluss bitte nochmals auf den Anfang unseres Gesprächs zurückkommen: Wenn ein deutscher Dokumentarist nach Silicon Valley käme, um einen Film über die wundervollen elektronischen Erfindungen dort zu machen, würden wir ihm bestimmt nicht vorwerfen, dass er nicht auch noch auf die täglichen Massenschießereien in den USA hinweist. Es gibt keinen Grund, dass wir Amerikaner mit dem Finger auf euch Europäer zeigen und auf eure Probleme aufmerksam machen. Dass ich in „Where To Invade Next“ auf die guten Dinge in Europa hinweise, liegt daran, dass Amerika von ihnen lernen kann.

Das Gespräch führte Christiane Peitz.

"Where to Invade Next" ist am Donnerstag in zehn Berliner Kinos gestartet, größtenteils im Original mit Untertiteln.

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