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Der Staats- und Domchor Berlin.

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Update

Urteil zu Geschlechterdiskriminierung: Knabenchor muss Mädchen nicht aufnehmen

Eine Mutter klagt, weil ihre Tochter nicht in den Knabenchor aufgenommen wird. Nun hat das Gericht entschieden: Die Kunstfreiheit hat Vorrang.

Von Fatina Keilani

Der Knabenchor des Berliner Staats- und Domchors muss weiterhin keine Mädchen aufnehmen. Die Freiheit der Kunst habe hier Vorrang vor dem Recht auf Gleichbehandlung. So urteilte das Berliner Verwaltungsgericht am Freitag. Geklagt hatte eine Rechtsanwältin, deren neunjährige Tochter nicht im altehrwürdigen Staats- und Domchor Berlin aufgenommen worden war. Ihre Klage wurde von der dritten Kammer des Gerichts abgewiesen.

Zuvor hatte das Gericht drei zähe Stunden lang verhandelt und dabei nichts ausgelassen. Allein die Frage, ob die Klage zulässig sei – sonst eine Sache von einer Viertelstunde – dauerte anderthalb Stunden, weil Richter Jens Tegtmeier Fragen aufwarf wie jene, ob die Universität der Künste überhaupt die richtige Beklagte sei.

Die Vorgeschichte: Die Neunjährige wollte in den Knabenchor des Staats- und Domchors aufgenommen werden. Es kam zu einem Vorsingen, danach zur Ablehnung. Die Ablehnungen würden immer mündlich erteilt, sagte der Direktor des Chors, Kai-Uwe Jirka. Hier allerdings wurde ausdrücklich ein schriftlicher Bescheid verlangt.

Die Mutter des Mädchens hatte schon vor dem Vorsingtermin Klage erhoben, um die UdK verpflichten zu lassen, ihre Tochter in den Knabenchor aufzunehmen. Das hatte nicht gerade für Vertrauen hinsichtlich einer guten Zusammenarbeit gesorgt, war aber nicht der ausschlaggebende Grund für die Ablehnung. Das Mädchen habe klangschön und intonationssicher gesungen, es habe aber nicht genug Volumen und Klangkraft besessen, um in dem Chor mitsingen zu können.

Mädchenstimmen klängen nun einmal anders

Die Klägerin verstand das nicht. Die Tochter habe ja auch schon im Chor der Komischen Oper gesungen, und in Frankfurt bei der Domsingschule, ob das bedeuten solle, deren Ausbildung sei schlecht? Die Tochter habe zudem eine hohe Punktzahl bei der Aufnahme an ein musikbetontes Gymnasium erreicht.

Jirka ließ sich nichts anmerken, muss aber innerlich die Hände gerungen haben. Ihm geht es um das Klangbild, und eine neue Stimme muss hineinpassen. Im Grunde ist er der Künstler, und der Klang des Chors sein Werk. Er entscheidet, ob eine Stimme passt. Viele könnten gut singen, aber die wenigsten entsprächen dem, was im Gefüge den „Knabenchorklang“ ausmacht. Es werden 80 Prozent der Bewerber abgelehnt.

Genau dies aber, ob Jirka der Künstler und die Entscheidung über die Aufnahme in den Chor Ausdruck der Kunstfreiheit ist und ob diese schwerer wiegt als der gleichberechtigte Zugang zu staatlichen Leistungen, das war die Frage, auf die es ankam. Dass der Chor eine staatliche Einrichtung ist, war unstreitig, er wird schließlich öffentlich finanziert. Aber folgt daraus, dass Mädchen der Zugang gewährt werden muss?

Mädchenstimmen klingen einfach anders, meint der Chorleiter: „Jeder hier im Raum würde den Unterschied hören.“ Über den Prozess hatten Blätter aus aller Welt berichtet, die Verhandlung wurde in den Plenarsaal des Gerichts verlegt.

Das Einzigartige bei Knabenchören sei die Erfahrung der Endlichkeit, sagte der Chordirektor. Die Knabenstimme sei mit dem Stimmwechsel verloren. Der Rechtsstreit ist auch endlich, aber nicht sofort: Die Berufung wurde zugelassen.

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