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Von Treptow zum Wilhelmsstrand. Das ist die Linie der Spreefähre F11, 2018.

© Kristin Bethge/dpa

Urlaubsfeeling in Berlin: Raus aus der Wohnung, rein in die Fähre

Eigentlich wollte unser Autor nach Venedig. Stattdessen fährt er nun mit einer Berliner Fähre über die Spree. Und findet zwei Minuten Glück. Eine Glosse.

Die Welt plätschert herein auf Instagram. Gepostet aus Venedig: Im klaren Wasser der Kanäle schwimmt ein Rochen, breitet seine Flügel aus im Unbekannten, wie ein Vogel, den es in die Stratosphäre zieht. Ein träumerisches Bild der Pandemie, das den Betrachter ausspart, den einstmals Dauerreisenden. Wenn wir da sind, wenn wir zurückkommen, wird sich die Lagune wieder eintrüben.

So ist das Fernweh geweckt, heftig, wenn es denn überhaupt geschlafen hat. Also raus aus der Wohnung, und nicht schon wieder ein Kiezspaziergang, bloß nicht in den übervollen Volkspark. Wir gehen aufs Wasser. Wir spielen Venedig.

Die Fähr-Bär-Linie F11 legt am Baumschulenweg in Treptow ab und fährt hinüber zum Wilhelmstrand, eine von sechs Fährlinien der BVG. Nichts Neues, aber in Berlin kann man ja nie alles kennen und schon gemacht haben, es bleibt stets ein noch zu entdeckener Rest. Von Spandau bis Friedrichshagen ist die Agenda nachzuholender Ausflüge lang.

Am Anleger warten ein paar Fahrradausflügler. Die Fähre ist auf der anderen Seite, und kaum dass sie abgelegt hat, gehen wir auch schon an Bord. Zwei Minuten dauert die Überfahrt nur. Die soll man genießen. Glück hält selten länger.

Von der Ostsee kommen die Fähren, aus Stralsund, solargetrieben, fast geräuschlos. In diese Stille des Gleitens fällt die Vaporetto-Vision – das Wummern beim Anlegen, das Zittern und Beben der qualmenden Gefährte, das Klacken der Geländer, hinter denen sich die Aussteiger drängen, die lässig-elegante Choreographie der Männer und Frauen, die das Vaporetto für den kurzen Halt an der Station vertäuen. All das gibt es nicht auf dem Fähr Bär. In ihrer Kabine steuert die Kapitänin das Fährschiff. Anlegen und Öffnen der Rampe, alles automatisch. Wie im Schlaf.

Wasser zieht an

Vorbei tuckert ziemlich laut ein Motorfloß. Am Ufer liegen Boote, kreuz und quer, sie wirken verlassen, als käme nie wieder ein Sommer. Am Wilhelmstrand ziehen sich Kleingartenkolonien entlang. Aber viele dieser Häuser sind nicht klein. Und viele Gärten ungepflegt, man hat den Eindruck: seit Jahrzehnten. Eine halbverfallene Bude, die sich das Grundstück mit einem Hochspannungsmast teilt. Gewerbeanlagen, Einfamilienhäuser, Schuppen, Kinderpools, Carports.

Möchte ich hier wohnen? Die Frage stellt man sich ja oft unterwegs, in Müggelheim oder Murano, Wasser zieht an. Hinterm Zaun ein zotteliger, sehr großer Schäferhund. Er schaut uns an. Kein Ton. Der bellt nicht, der will nur beißen, falls einer doch ungebeten aufs Grundstück kommt. Schräg gegenüber wedelt ein Terrier übers Blumenbeet, Herrchen pflanzt.

Nur noch wenige Meter zur Minna-Todenhagen-Brücke. Ein fabelhaftes Bauwerk, Stahlverbund, langer Schwung über die Spree, 2017 eröffnet. Der Name erinnert an die 1880 in Greifswald geborene, 1950 in Berlin verstorbene Politikerin und Mitbegründerin der Arbeiterwohlfahrt. Mit dem Auto sind wir öfter schon über die Brücke gefahren, aber jetzt erst, da wir darunter stehen und einer Entenfamilie zunicken, wird Minna Todenhagen gegoogelt.

Wir sitzen draußen in der Abendsonne

Berlin und seine Wasser. Eine Mesalliance. Unglaubliche Brachen, hässliche Industrienutzung der Ufer, aufgelassene Gebäude, Lagerhallen, Materialhaufen. Wie viele Wohnungen, Häuser, Parks, Promenaden könnten hier sein! Berlin aber hat, immer hektisch im Aufbau, seine schönsten Gebiete von alters her an Produktion und Logistik abgetreten. Schöneweide, dem Namen zum Trotz, galt mal als eines der größten Industriegelände Europas.

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Das Berliner Bauen mit dem Rücken zum Wasser setzt sich im Flusslauf fort, mit Ausnahmen. An der – zur Zeit halb abgerissenen – Elsenbrücke in Friedrichshain hat sich ein gemischtes Wohngebiet entwickelt, mit Blick auf die Skulptur des Molecule Man, der im Fluss steht und an die Chancen und den Charme einer Stadt mit lebendigen Ufern erinnert.

Die Fahrt zurück mit der F11 wirkt länger. Wir sitzen draußen in der Abendsonne. Zwei Minuten Glück, fluide Stadt. Im Wäldchen am Baumschulenweg kniet eine Frau und sammelt Grünes. Wilder Bärlauch, sagt sie, frisch, schmeckt sehr gut. Der Boden ist übersät mit den dünnen, schwertförmigen Blättern. Mit Öl und Pinienkernen in den Mixer, sagt sie, hervorragendes Pesto.

Rüdiger Schaper

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