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Marko Nikodijevic ist Composer in Residence des RSB.

© Aleksandar Stanojevic

Uraufführung beim RSB: Nachtwache und himmlisches Leben

Vladimir Jurowski dirigiert „Gebetsraum mit Nachtwache“ und Mahlers Vierte beim Rundfunk-Sinfonieorchester.

Vladimir Jurowski hält die Partitur in die Höhe, noch bevor ihr Schöpfer das Podium im Konzerthaus erreicht hat. Bejubelt wird ein Werk von Marko Nikodijevic, dem 40-jährigen serbischen Komponisten, den das Rundfunk-Sinfonieorchester in dieser Spielzeit zu seinem Composer in Residence erwählt hat. Als Uraufführung begegnet „Gebetsraum mit Nachtwache“ den Zuhörern wie ein wunderbar neu eröffneter Blick auf den Reichtum abendländischer Tradition. Aus dem byzantinischen Ritus geboren, wie er in christlich-orthodoxen Kirchen lebt, ist die Partitur so frei, in ihre Zukunft aufzubrechen.

Ein Modus aus tradiertem Gesangbuch gräbt sich ein, der mit dem 140. Psalm verbunden ist. Diese Melodie um ein „Abendopfer“ eröffnet Klangräume für großes Orchester, erscheint fragmentiert und rundum, schließt ein Stück Schostakowitsch ein und gewinnt ihre mystische Resonanz aus dem Bordun der Orgel. Nikodijevic liebt „Nacht und Dunkelheit“. Was fasziniert, ist die Balance zwischen äußerst krassen Reibungen und Wohlklang, die Beharrlichkeit und variierende Dichte der Musik. Sie ist Jurowski „in tiefer Zuneigung“ gewidmet.

Der Chefdirigent erweitert spontan das Programm

Jurowskis Rang als Interpret der Sinfonik Gustav Mahlers besagt, dass er jedes Detail der Musik neu befragt. Anfangs tritt der Chefdirigent vor das Publikum und verkündet eine Erweiterung des Programms, um Nikodijevics Novität gänzlich in Mahler einzubetten. Da dessen Vierte vom Finale her entworfen wurde, spielt das RSB anfangs die ursprüngliche Liedform „Das himmlische Leben“. Solistin ist Alice Lackner, und als Einspringerin singt sie die Wunderhorn-Verse vorsichtig, fein, allzu nachsichtig mit dem Text.

Dass dem sinfonischen Ländler „In mächlicher Bewegung“ nicht zu trauen ist, lässt Jurowski mit größter Flexibilität der Tempi fühlen. Paradiese im kantablen Horn, Gespenstisches in der höher gestimmten Violine von Rainer Wolters. Klang leuchtet und verglüht im Adagio bis ins dreifache Pianissimo. Den zahllosen Spielanweisungen der übersensiblen Partitur gilt alle Aufmerksamkeit. Die hinreißende Aufführung betont, dass die musikalischen Schönheiten nicht ohne Konflikte zu haben sind, dem Hinweis „Sehr behaglich“ zum Trotz.

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