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Sehnsuchtslieder. Ursina Lardi (l.) mit der Sängerin Maraike Schröter.

© dpa

Uraufführung an der Schaubühne: Wie geht bloß Liebe?

Falk Richter flutet die Schaubühne mit Melancholie. Mit kleinen Szenen und viel Musik stellt er die immer wieder gleiche Frage: Warum ist der westliche Wohlstandsmensch nur so einsam?

So viele Eindrücke, die ersten Wörter aber lauten: My heart is full of stones. Mein Herz ist voller Steine. Und die letzten: Sometimes the world is so loud. Manchmal ist die Welt so verdammt laut. Ja, man möchte sich unter die Decke verziehen und still an seinem Schmerz nagen. Oder sein süßes Leid hinaustragen in die Welt. Es singt also der Komponist, Musiker und Sänger Helgi Hrafn Jónsson. Er trägt einen weinroten Samtanzug und zupft an den Saiten seiner Gitarre, während seine hohe Björk-Stimme die Bühnenhalle der Schaubühne mit Melancholie flutet. Man geht sofort darin unter – und findet in den folgenden zweieinhalb Stunden kaum genügend Sauerstoff, um den nötigen klaren Gedanken zu fassen. Das ist Falk Richter mit seinem Stück „For The Disconnected Child“ schon mal gelungen: Man treibt mit, ohne sagen zu können, worin eigentlich.

An der Außenfläche dieser Ko-Produktion mit der Staatsoper Unter den Linden pappt das Label Mehr-Sparten-Bombast-Projekt. Es gibt Opernsänger, Tänzer, Schauspieler, ein Kammerorchester, eine fußballfeldbreite Bühne mit riesigen Videowänden, mehrstöckige Gerüstbauten. Gleich sieben Komponisten versorgen den Abend mit Musik. Aber von innen fühlt sich das Ganze kuschelig und klein an. Falk Richter hält zwar als Autor, Regisseur und Choreograf wie ein Großkünstler alle Fäden in den Händen, aber die auftrumpfende Geste verweigert er.

Es geht wie meist bei Richter um die Angst vor Nähe und die sogenannten kapitalistischen Arbeitsbedingungen, durch die sich Bindungsunfähigkeit noch verstärkt. Es geht um den infantilen Wunsch, sich alle Möglichkeiten offenzuhalten und das Leiden, das damit verbunden ist. Anders gesagt: Es geht um das Lebensgefühl der ewig Dreißigjährigen, das uns Richter als die bestimmende Daseinsform der Gegenwart unterzujubeln versucht.

Dafür hat er sich als Hauptfigur die großartige Schauspielerin Ursina Lardi als beruflich erfolgreiche, aber verlassene Mutter ins Boot geholt, die nicht am Rande des Nervenzusammenbruchs steht, sondern schon lange in ihn hineingefallen ist und nun verzweifelt über Onlineportale nach einem Partner sucht und mit kühler Aufgelöstheit (bei Ursina Lardi ist das möglich!) Richters Texte über die Fremdheit zu sich und zum eigenen Körper zelebriert. Als literarischer Rahmen dient Tschaikowskis Oper „Eugen Onegin“, jener Teil, in dem die romantische Tatjana Onegin einen Liebesbrief schickt, von ihm aber mit Gleichgültigkeit behandelt wird.

Die Aktualisierung sieht so aus: Ursina Lardi steht auf dem mit Daybeds ausgestattenen Wohn- und Tanzgerüst (Bühne: Katrin Hoffmann) und erzählt dem Ersehnten am Telefon, dass sie gestern in der Oper war und da gab es diese romantische Szene und da dachte sie, rufe sie doch mal an ... Tilman Strauß unten rechts lässt die Arme sich um Kopf und Kragen reden, bevor er unterbricht: „Äh. Entschuldigung: Du warst noch mal wer?“

Ein anderes Mal sagt ein Mann zu einer Frau: „Wir sind uns irgendwie nicht nah.“ „Was meinst du mit nah?,“ erwidert sie. „Na, nah eben, wirklich nah.“ So geht es hin und her, bis sie den Nicht-Dialog lakonisch mit „Das ist mir zu abstrakt“ beendet. Man ahnt: Texte schreiben ist nicht Richters Stärke. Zu plakativ pinselt er Kommunikationslosigkeit aus. Angenehmerweise sind die Szenen sketchkurz, dann wird wieder getanzt, die beiden Opernsänger singen aus der Tschaikowski-Oper. Richters Gabe besteht darin, die Darstellungsformen ineinanderfließen zu lassen und einen Stimmungsstrom herzustellen, in dem alles seinen Platz findet. Dass die Musik von sieben Komponisten stammen soll, merkt man kaum. Mal fiept sie zeitgenössisch, hält sich im nächsten Moment wie ein Filmsoundtrack zurück oder tritt in Gestalt des weinroten Sängers Helgi Hrafn Jónsson traurig an die Rampe – und nimmt sogar Marianne Faithfull und Schuberts „Winterreise“ auf.

Was bleibt? Das tränenüberströmte Antlitz Ursina Lardis auf der Riesenleinwand, der Jubel des Publikums und die Mattheit nach einem Zuviel vom Immergleichen.

Wieder täglich vom 17.–21.6. und am 23., 25., 29. und 30.6.

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