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Kultur: Unter Strom

Pixelfehler, Cyberkrieg: Am Dienstag beginnt das Medienkunstfestival Transmediale im Haus der Kulturen. Kristoffer Gansing leitet es zum ersten Mal.

35 Jahre ist Kristoffer Gansing alt, aber er könnte locker zehn Jahre jünger sein. Diese Äußerlichkeit am Anfang festzuhalten, ist nicht unwichtig. Weniger, weil er der neue Leiter der Transmediale ist, des inzwischen traditionsreichen internationalen Festivals für Medienkunst und digitale Kultur im Haus der Kulturen der Welt (HKW), das in diesem Jahr seinen 25. Geburtstag feiert, und man beim ersten Treffen überrascht sein kann über so einen jugendlich wirkenden Auftritt. Sondern weil das Alter eine Rolle spielt in dem, was Gansing umtreibt und fasziniert.

Er ist in der zweiten Hälfte der siebziger Jahre im schwedischen Karlstad geboren und gehört damit zu jener Generation, die als erstes in die digitale Revolution hineingerutscht ist, die noch alles Alte miterlebt und das Neue aufgesogen hat: das Telefon mit Schnur und Wahlscheibe und das Smartphone. Die Schreibmaschine, den Commodore Amiga und das MacBook Air. Den Filmprojektor und den Beamer. Gansing hat in seinem jungen Leben viele technische Erfindungen kommen und gehen sehen. Wahrscheinlich liege es daran, so seine Begründung, dass er eine spezielle Faszination für all diese Dinge hegt.

Deshalb ist er Medienarchäologe geworden, ein amüsant verstaubt klingender Begriff für ein junges Feld der Forschung. Gansing ist einer, der in der Technologiegeschichte gräbt, gern Skurriles zum Vorschein bringt und fast Vergessenes erhält. So hat er das kleine „Art of Overhead Festival“ in Malmö mitbegründet, dass sich rund um Kunst mit dem Tageslichtprojektor dreht, jenen Dingern, die früher in jedem Klassenzimmer in Deutschland standen. Außerdem leitet Gansing den dänischen Fernsehkanal tv-tv mit, auf dem Medienkunst ausgestrahlt wird.

Manche Erfindungen mögen heute überholt sein, sagt Gansing, aber tot seien sie deshalb noch lange nicht. Schließlich bauten neue Medien auf den alten auf. „Der Play-Knopf bei einem digitalen Gerät sieht immer noch so aus wie der bei einem alten Kassettenrecorder.“ Gansing hat eine Retro-Leidenschaft, er twittert nicht, und auf Facebook sucht man ihn auch vergeblich. Ungewöhnlich für einen, der der Kopf der Transmediale ist? „Gerade weil ich mich so viel mit neuen Medien beschäftige, bin ich vorsichtig. Wegen der bekannten Probleme mit der Datensicherheit.“ Was nicht heißt, dass es nicht auch ein Diskussionsforum über die Chancen von Social Media während der Transmediale geben wird.

Gansings Verhältnis zum Fortschritt ist ein kritisches. Und so soll auch das Programm seiner ersten Festivalausgabe werden, das er zusammen mit vier Kuratoren aus Performances, einer Ausstellung, Workshops, Video-Reihen und Symposium zusammengeschnürt hat. Angesprochen sollen sich alle fühlen, wünscht er sich. Wissenschaftler, Hacker, die breite Öffentlichkeit.

„In/compatible“ heißt das Thema des diesjährigen Festivals. Es beschreibt ein Alltagsphänomen. Die technische Entwicklung verspricht ein immer besseres Zusammenspiel aller Systeme und Geräte, die bestmögliche Synchronisation. Doch zu oft sind Dinge nicht kompatibel, heißt: Sie funktionieren nicht miteinander. Da lassen sich Dateien, die ein Mac-Benutzer verschickt hat, nicht an einem Windows-PC öffnen, und für jedes Handy-Modell gibt es unterschiedliche Ladekabel und Anschlüsse. Das ist Sand im Getriebe in Zeiten des Informationszeitalters.

Gansing überträgt dieses Nichtfunktionieren auf soziokulturelle und politische Bereiche. Da gibt es Cyberkriege, gezielte Angriffe auf Computernetzwerke. Gleichzeitig haben moderne Kommunikationstechnologien wie Handy, Twitter und Satellitenfernsehen dazu beigetragen, die Protestbewegung etwa in Ägypten zu unterstützen – als Sand im Getriebe des Systems Mubarak.

Und wie geht man mit den Netzaktivisten um, die im Internet eine neue noch nie dagewesene, weil anonyme Öffentlichkeit schaffen? Was ist kriminell, was legitim? Die Hackergruppe Anonymous wird sich während einer Diskussionsveranstaltung per Skype zu Wort melden.

Der 25. Geburtstag des HKW wird im Rahmen der Video-Reihe mit Werken aus den Anfängen der Transmediale gefeiert. 1988 wurde sie als Videofilmfest und Nebenprogramm der Berlinale gegründet, um eine Plattform für elektronische Medien zu schaffen. Gansing ist sich der besonderen Bedeutung dieser Jubiläums-Ausgabe bewusst. Seine Position als Neuankömmling sieht er als Chance. Gansing kommt von außen, er war bisher nur regelmäßiger Gast der Berliner Kulturszene. Das macht ihn frei in seinen Entscheidungen.

Als Sinnbild für das Festivalmotto will Gansing eine Installation verstanden wissen, die der Brite Ben Woodeson in die Eingangshalle des HKW stellen ließ. Auf 20 Metern Länge durchschneidet ein Vorhang aus Kupferstangen den Raum. Das Werk („Health and Safety Violation Nr. 36“) ist inkompatibel mit dem Gebäude, hindert den Besucher am Weiterlaufen. Mehr noch: Entschließt sich jemand, hindurchzuschlüpfen, erhält er einen Schlag, als fasse er an einen Weidezaun. Das Gebilde steht unter Strom.

Vor allem im Bereich der Kunstproduktion kann das Nichtfunktionieren, das Nicht-Lineare produktiv sein. So gibt es inzwischen eine Reihe von Künstlern, die Bildfehler, Glitches genannt, als ästhetisches Mittel nutzen, um digitales Videomaterial zu verfremden. Dabei entstehen Pixel und gespenstisch wirkende Überlagerungen von Bildern. Gansing interessiert sich sehr für die ästhetischen Mittel von Medienkunst, seine Doktorarbeit an der Hochschule von Malmö, die wegen der Transmediale nun warten muss, hat dies zum Thema.

Besonders freut sich Gansing auf die legendäre Joshua Light Show, deren Macher seit Ende der sechziger Jahre Konzerte von The Who, Zappa oder Jefferson Airplane mit psychedelischen Projektionen untermalte, eine visuelle Sensation damals. Erstmals kommt die Hippie-Show mit originaler Technik nach Deutschland. In Zusammenarbeit mit der Club Transmediale (CTM), dem Festival für experimentelle und elektronische Musik, das parallel stattfindet, wird es dazu unter anderem Konzerte mit dem Krautrock-Pionier Manuel Göttsching geben. Die Telekommunisten, eine Berliner Künstleraktivistengruppe, bauen ein Kommunikationsnetz nach dem Zufallsprinzip auf, mit Telefonapparaten im ganzen Haus. Wenn es klingelt, sollen die Besucher abheben. Am anderen Ende der Leitung hängt ein wildfremder Zuhörer. Das ist Misskommunikation, kann aber zu netten neuen Bekanntschaften führen – ganz analog.

31. Januar bis 5. Februar im HKW.

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