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Kultur: Unschuld und Sühne

Scharf geschossen, messerscharf ermittelt: „Jack Reacher“ – mit Tom Cruise und Werner Herzog.

Für jedes Verbrechen gibt es ein Motiv, das ist die vielleicht wichtigste Voraussetzung des Krimis. Dass das für die Wirklichkeit nicht ohne Weiteres gilt, daran haben wir uns längst gewöhnt. Was würden wohl Marlowe, Maigret und Miss Marple zu Anders Breivik oder dem Newtown-Attentäter sagen? Mit konventioneller Cui-bono-Psychologie sind solche Taten nicht erklärbar. Aber warum sollten ausgerechnet Kriminelle rationaler sein als alle anderen?

„Jack Reacher“, Christopher McQuarries Verfilmung von Lee Childs Krimi „Sniper“, spielt in einer Welt, in der irrationale Verbrechen existieren. Ein Scharfschütze tötet in Pittsburgh aus dem Hinterhalt fünf Fußgänger. Alle Indizien weisen auf James Barr (Joseph Sikora), einem Mann mit Vorgeschichte: Er war der Armee beigetreten, um Menschen zu töten, und als es bis zum letzten Tag seiner Irak-Mission nicht dazu gekommen war, lief er Amok und erschoss mehrere Zivilisten. Dass Barr damals einer schweren Strafe entging, weil die getöteten Männer zufällig gerade eine Massenvergewaltigung begangen hatten, verrät einiges über das Weltbild von Childs Krimireihe.

Auftritt Jack Reacher: Der Ex-Militärpolizist mit leicht kitschiger Hintergrundgeschichte lebt als einsamer Wolf unterhalb des Radars – es gibt keine Aufzeichnungen über ihn, und niemand weiß, wo er wohnt. „Es begann als Hobby und wurde eine Lebenseinstellung“, erklärt er. Wer Jack Reacher sucht, der wird von ihm gefunden. Hier ist es Barr. Die allzu saubere Beweisführung ist Reacher suspekt. Also macht er sich mit der Strafverteidigerin Helen Rodin (Rosamund Pike) daran, die Verschwörung aufzudecken. Denn wenn sich hinter diesem scheinbar irrationalen Verbrechen nicht ein rationales verbergen würde, wäre „Jack Reacher“ schließlich kein Krimi. So viel darf hier verraten werden, zumal auch der Film mit offenen Karten spielt: Die fulminante Anfangssequenz, beginnend mit spektakulären Flugaufnahmen von Pittsburgh, zeigt die Tat durch die Perspektive des Scharfschützen – und mündet in die Enthüllung, dass der verhaftete Verdächtige trotz erdrückender Beweislast keineswegs der tatsächliche Täter ist.

Der drahtige Tom Cruise bringt zwar nicht gerade die Physis des Zwei-MeterHünen der Buchvorlage mit, verkörpert aber glaubhaft die Besessenheit des Ermittlers. Jack Reacher geht mit kompromissloser Härte vor und schert sich weder um Vorschriften noch ums Protokoll. „Ich bin kein Held. Und genau das sollte dir Angst machen“, raunt er einmal einem Widersacher zu. Hier allerdings irrt Reacher. Denn gerade die Tatsache, dass er sich eigenmächtig über Regeln hinwegsetzt, dass es ihm nicht um Recht, sondern um Gerechtigkeit geht, macht ihn zum Helden.

Besonders bemerkenswert neben den zahlreichen turbulenten Kampf- und Actionsequenzen ist sicherlich der Auftritt Werner Herzogs. In der amerikanischen Popkultur genießt er einen gewissen Kultstatus – das beweisen seine Gastauftritte etwa in Zeichentrickserien wie „American Dad“ oder auch den „Simpsons“. Der Schurke, den er hier verkörpert, ist eher eine existenzialistische Metapher als eine handlungsrelevante Figur und als solche eine schöne irrationale Abschweifung in einem ansonsten äußerst effizienten, rationalen Film. David Assmann

In 17 Berliner Kinos; Originalversion

im Cinestar, Sony Center

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