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Der Schriftsteller und frühere Präsident der Berliner Akademie der Künste, György Konrad, ist im Alter von 86 Jahren gestorben.

© Lajos Soos/MTI/AP/dpa

Ungarischer Schriftsteller: György Konrad mit 86 Jahren gestorben

Holocaust-Überlebender und Dissident: György Konrad wurde 1997 als erster Ausländer Präsident der Berliner Akademie der Künste. Nun ist er gestorben.

Der ungarische Schriftsteller, frühere Dissident und Holocaust-Überlebende György Konrad ist tot. Der 86-Jährige sei nach langer Krankheit zu Hause gestorben, teilte seine Familie am Freitag der ungarischen Nachrichtenagentur MTI mit. Konrad galt als einer der besten Autoren Ungarns, seine Romane und Essays wurden in viele Sprachen Welt übersetzt.

Konrad war 1933 in der ostungarischen Stadt Debrecen in einer jüdischen Familie zur Welt gekommen. Er wuchs in der Stadt Berettyoujfalu nahe der Grenze zu Rumänien auf.

Im Juni 1944 entging Konrad knapp der NS-Judenvernichtung, dem ein Großteil seiner Familie zum Opfer fiel. Einen Tag vor der Deportation der Juden aus seiner Heimatstadt nach Auschwitz sprang der damalige Schüler in Budapest aus einem Zug. Fast alle seine Klassenkameraden wurden ermordet. "Ich wurde im Alter von elf Jahren erwachsen", schrieb Konrad über dieses Erlebnis in seiner Autobiographie.

Als studierter Soziologe arbeitete der Sohn eines Eisenhändlers in der Hauptstadt Budapest in der Jugendfürsorge und als Stadtsoziologe. 1956 beteiligte sich Konrad am Ungarischen Volksaufstand gegen die Sowjetunion. Nach dessen Scheitern entschied er sich anders als seine Schwester und tausende andere Ungarn, im Land zu bleiben.

Schonungsloser Blick auf das soziale Elend im Realsozialismus

Sein erster Roman "Der Besucher" erschien 1969 und wurde in 13 Sprachen übersetzt. Der schonungslose Blick auf die offiziell verleugneten Zonen des sozialen Elends im Realsozialismus brachte ihn zunehmend in Opposition zum Regime. Wegen seiner kritischen Haltung gegenüber der sozialistischen Staatsführung wurde Konrad nach und nach zum Dissidenten. Zwischen 1973 und 1988 durfte er offiziell praktisch nichts in Ungarn veröffentlichen, nur im Untergrund - in den Zeitschriften und Publikationen der sogenannten Samisdat-Literatur - brachte er Texte heraus.

Reise- und Berufsverbote waren die Folge seines regimekritischen Wirkens. Die demokratische Wende, das Ende des Kommunismus erlebte er, als er bereits jenseits des 55. Lebensjahrs war. 1989 spielte der Dissident eine maßgebliche Rolle bei Ungarns Abkehr vom Kommunismus. 1990 wurde er zum Präsidenten der internationalen Schriftstellervereinigung Pen-Club gewählt.

Seine Romane und essayhaften Erzählungen - darunter sind „Geisterfest“ (1986), „Melinda und Dragoman“ (1991), „Glück“ (2003), „Sonnenfinsternis auf dem Berg“ (2005), „Das Buch Kalligaro“ (2007), „Gästebuch - Nachsinnen über die Freiheit“ (2016) und „Baumblätter im Wind. Ausgrabung I.“ (2017) - sind große Erinnerungsliteratur. Mit spielerischem Gestus schafft sich der Autor seine eigenen erzählerischen Gesetze, fügt Porträts, Anekdoten und Abhandlungen in den Erzählfluss ein.

Gesamteuropäische Instanz

Dabei entstanden Sittenbilder von den gesellschaftlichen und moralischen Zuständen im ungarischen Gulasch-Kommunismus und der darauffolgenden Transformationszeit. Ebenso präzise wie sinnlich anschaulich künden diese von verratenen Idealen, zynischer Anpassung und resigniertem Außenseitertum. Seine Rolle als Citoyen, als moralische Instanz, die den Finger auf die wunden Punkte der Gesellschaft legte, streifte Konrad aber auch nach der Wende nicht ab. Mit Elan setzte er sich für die europäische Einigung ein.

Von 1997 bis 2003 war er Präsident der Berliner Akademie der Künste, 2001 erhielt er den Aachener Karlspreis. Immer wieder erhob er seine Stimme, wenn er die Menschenrechte und Grundfreiheiten gefährdet sah. Im eigenen Land, wo der markant rechtsorientierte Ministerpräsident Viktor Orban seit 2010 mit autoritären Methoden und populistischer Rhetorik regiert, vermochten seine Einwürfe mit den Entwicklungen kaum mehr Schritt zu halten. Dennoch beruhige ihn, meinte er in einem Interview im Vorjahr, dass die EU auf die Ungarn am Ende des Tages eine weitaus stärkere Anziehung ausüben würde als Diktatoren.

Der Parade-Intellektuelle aus Ungarn wurde längst schon als gesamteuropäische Instanz wahrgenommen. Der Essayist Karl-Markus Gauß meinte einmal halb-ironisch, Konrad wäre geeignet für das Amt des Präsidenten der Vereinigten Staaten von Europa, wenn es dieses gäbe. (AFP, dpa)

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