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Ethnologe des Berliner Wohnungsmarktes. Der Schriftsteller Jan Brandt.

© Annika Büssemeier/Verlag

Und warum Landleben keine Alternative ist: Jan Brandt erzählt vom Kampf auf Berlins Wohnungsmarkt

Schriftsteller Jan Brandt kam von Ostfriesland nach Berlin, verlor hier seine Wohnung - und haderte: Wo gehörte er hin? Sein neues Buch erzählt von diesem existentiellen Konflikt. Ein Treffen.

Ein Blitz schlägt ein, ein Riss geht durch die Mauer. Das Cover von Jan Brandts Buch „Ein Haus auf dem Land/Eine Wohnung in der Stadt“ symbolisiert eine schwere Erschütterung – und wirklich: Brandt hat sich von dem Schock, den er erlitten hat, noch nicht erholt. „Ich hatte gar nicht die Ruhe, einen längeren Text auszuarbeiten“, sagt er. Drei Jahre kämpfte er um seine alte Wohnung, suchte dann eine neue, überlegte zeitweise, den renovierungsbedürftigen Hof seines Urgroßvaters in Ostfriesland zu kaufen und wiederherzurichten. Gänzlich zerrissen hat es ihn nicht. Aber desillusioniert ist er, nicht nur wegen des Berliner Wohnungsmarktes, sondern auch wegen seiner ursprünglichen Heimat.

Brandts neues Buch ist zweigeteilt, man kann es wenden und muss es auf den Kopf stellen, will man den anderen Teil lesen. Auf den ersten Blick scheint der Inhalt gegenläufig: hier die Landidylle im ostfriesischen Dörfchen Ihrhove, wo Jan Brandt seine Jugend verbracht hat und wohin es ihn wieder zog, als seine Existenz in Berlin auf dem Spiel stand. Und dort die Großstadt, voller Möglichkeiten, aber unsicher und zunehmend lebensfeindlicher. „Berlin, das war einmal ein Versprechen, eine antikapitalistische Utopie: in einer Großstadt leben, ohne sich verbiegen zu müssen", sagt er.

Er fand in Schöneberg Zuflucht

Seinen ambitionierten, 2011 veröffentlichten Debütroman „Gegen die Welt“ siedelte Brandt schon in einem ostfriesischen Dorf an, Ihrhove war da sicherlich das Vorbild – und nun verknüpft er die Geschichte seiner Kaufmannsfamilie aus Ihrhove mit dem eigenen Berliner Leben. Brandt, 1974 geboren, kam Ende der neunziger Jahre nach Berlin, arbeitete als Journalist und schrieb nach „Gegen die Welt“ zwei weitere Bücher: „Tod in Turin“, das auf Erfahrungen mit dem deutschen und italienischen Literaturbetrieb beruht, sowie „Stadt ohne Engel“, ein Band mit Reportagen nach einem Aufenthalt in der Villa Aurora in Los Angeles. In seinem neuen Buch zeigt Brandt sich als Ethnologe des Berliner Wohnungsmarktes, in Zeiten der Mietpreisbremse, des Mietendeckels und der Enteignungsdebatte.

Nach diversen Wohnungswechseln in Prenzlauer Berg und Kreuzberg hat er nun in Schöneberg Zuflucht gefunden, auf der sogenannten Roten Insel, einem Dreieck südlich der Yorckstraße, zwischen S-Bahn-Gleisen und Sachsendamm. Die Rote Insel ist eine ehemalige Arbeiterenklave im gediegenen Schöneberg. Kevin Kühnert wohnt hier, noch immer gilt sie als Zentrum der Sozialdemokratie, und ein wenig durchmischter als in der Akazienstraße ist es tatsächlich.

Treffen in einem italienischen Café an der Torgauer Straße. Prenzlauer Berg light, könnte man sagen, es gibt hausgemachte Limonade und eine Sofaecke. Nebenan liegt ein Industriegebiet, eine Fitnesskette im Klinkerbau sorgt für Laufkundschaft. Brandt erzählt, wie er gerade aus Ihrhove zurückgekommen ist und sich den Neubau angeschaut hat, der jetzt auf dem Grundstück mit dem einstigen Haus seines Großvaters steht. Der Neubau ist ein Klinkerklotz mit Einzelappartement, 103 Quadratmeter für 858 Euro warm – viel Geld für Ostfriesland, wo das eigene Haus lange ein Muss war und ein Mietmarkt kaum existierte.

Opfer des Strukturwandels. Das elterliche Bekleidungsgeschäft im ostfriesischen Dorf Ihrhove musste wegen der Konkurrenz aus der Stadt schließen.
Opfer des Strukturwandels. Das elterliche Bekleidungsgeschäft im ostfriesischen Dorf Ihrhove musste wegen der Konkurrenz aus der Stadt schließen.

© Jan Brandt

Der Lärm dreier Straßen tost dort ums Haus. „Da wäre ich nicht glücklich geworden“, sagt Brandt. Ein bisschen trauert er dem Traum vom Literaturhaus im Heimatdorf nach, das merkt man, wenn er von den verpassten Finanzierungsmöglichkeiten, den zu späten Unterredungen im Dorf spricht. Doch der Bauunternehmer, der das Haus gekauft hatte, wollte nur zu einem überhöhten Preis verkaufen, dazu wären die Renovierungskosten gekommen.

Brandts Großvater hatte das Haus des Urgroßvaters 1951 verkauft, und Brandt erzählt in seinem Buch die Lebensgeschichte der Brandt-Brüder Jan und Arend, beide USA-Auswanderer, tüchtige Gärtner und Geschäftsleute. Während Arend in Newhaven bleibt und eine Großgärtnerei aufbaut, kommt Jan zurück, heiratet und gründet in Ihrhove ein Geschäft.

Die Geschichten aus Berlin, Ihrhove und Newhaven sind für Brandt Frust und Trost zugleich. Die Suche nach einem Zuhause ist für seine Generation universell. Zurück in die provinzielle Heimat möchte niemand, doch das Ankommen in urbanen Zentren fällt schwer, weil Verdrängung und Profitmaximierung allgegenwärtig sind.

Er pocht auf seine Rechte als Mieter

Jan Brandt vereint diese merkwürdige Mischung aus Wut und angepasstem Pragmatismus, die man sich aneignen muss, um in Berlin zu überleben. Einerseits ärgert er sich über Investoren und Mietpreiserhöhungen. Als Brandts Vermieter Eigenbedarf für seinen Sohn anmeldet, observiert Brandt tagelang zwei Wohnungen in der Weserstraße, um zu beweisen, dass der Sohn nicht wie angegeben beim Vater wohnt, sondern sehr wohl bereits eine eigene Wohnung hat. Die Wohnung verliert der Schriftsteller trotzdem, gegen die Gesetze des Marktes hat er keine Chance. Andererseits spielt er das Spiel mit. Er taucht im Anzug bei Wohnungsbesichtigungen auf, lässt sich durch den Mieterverein unterstützen, pocht auf seine Rechte als Mieter.

Dahinter steckt der Glaube, dass jedem eine bezahlbare Zwei-Zimmerwohnung zusteht, zentral, ohne Wasserschaden, ohne laute Nachbarn und Vermieter, die nicht zu viel Nebenkosten verlangen. Es ist ein naiver Glaube.

Wohin also? Der Ostfriese würde sagen: „Nützt ja nix“, eine Umschreibung für den Pragmatismus angesichts unwirtlicher Bedingungen, ob Regen oder ein tragischer Lebenslauf. Es nützt ja nichts. Dass Brandt sich darin verbeißt, er Gerechtigkeit sucht, wo keine zu finden ist, das weiß er selbst. Versuchen will er es trotzdem. Noch immer ärgert er sich darüber, dass er bei einer Lesung in Papenburg, nahe seinem Heimatdorf, nicht mehr über den Bauunternehmer sprach, der das Haus eines Urgroßvaters abgerissen hat – denn den sah er am Ende der Lesung im Publikum. „Vielleicht hätte dann ja so etwas wie Einsicht eingesetzt“.

Brandt hat Freunde, die zurückgezogen sind nach Ihrhove, auf das platte Land, wo es nur Wind und Regen, Gras und Himmel gibt und dann irgendwann den Deich. „Die sind dort glücklich, aber die haben eben auch ihre Familien, sind näher bei den Großeltern. Idylle ist das Leben dort trotzdem nicht. Es gibt einen unheimlichen Anpassungsdruck auf dem Dorf“, sagt Brandt. Und dann sinniert er, wie er da so mit Käppi und Metallica-T-Shirt vor einem Cappuccino sitzt, über seine Berliner Zukunft.

Wenn nämlich die Finanzierungslücke aus den unproduktiven Jahren ihm jetzt den Hals breche, er trotz mehr Arbeit die Miete nicht mehr zahlen könne, muss er eben zurück. Freunde hat er in Ostfriesland noch. Aber wirklich zurück will er nicht. „Es gibt unterschiedliche Gründe, das Dorf zu verlassen. Zum Beispiel, wenn man das Gefühl hat, ein Outlaw zu sein.“ Keine Familie, kein Haus, kein fester Job – als Durchschnittsberliner fühlt er sich in Ostfriesland zuweilen wie ein Verlierer.

Er ist politischer geworden

Brandt zitiert in seinem Buch auch Didier Eribons „Rückkehr nach Reims", die Geschichte eines schwulen Soziologen und Philosophen, der seine mittlerweile dem Front National zugewandte Arbeiterfamilie besucht. Brandt teilt mit ihm nicht nur das Gefühl des Außenseitertums, er versucht sich auch in dessen soziologischem Blick. „Die große Selbsterkenntnis bei der Lektüre Eribons war, dass ich eigene Erfahrungen in ein größeres System einbetten konnte", so Brandt. Der Stil seines Buches ist journalistisch, dokumentarisch. Auf 41 Seiten zählt er große historische Ereignisse auf. Am Hof in Ihrhove rast die Zeit vorbei, und der stabile Bau von einst ist heute Geschichte.

„Die Zerrissenheit hält an, dieses Gefühl, keine Heimat mehr zu haben und auch keine mehr zu finden", sagt Brandt über seine Erfahrungen in den vergangenen drei Jahren. „Politischer“ sei er geworden, aktivistisch könnte man auch sagen. Er spricht viel über Verteilung von Reichtum, die Enteignungsdebatte, den sozialen Sprengstoff, der in der Immobilienspekulation liegt.

Sein Buch „Ein Haus auf dem Land/Eine Wohnung in der Stadt“ ist ein Pflaster: für alle Wohnungssuchenden, die sich weniger allein fühlen dürfen. Und es ist eine Brücke auf das Land und in die Vergangenheit, eine Verbindung zwischen Lebenswelten, die sich immer weniger verstehen, bevor der Riss in der Mauer zu groß wird.

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