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In ihrem Video „1001. Insel – Die nachhaltigste Insel im Archipel“ stellt sich Tita Salina auf eine Insel aus Plastikmüll.

© Tita Salina

Umweltsünder Museum: Wie der Kunstbetrieb mit Nachhaltigkeit hadert

Schöne Verschwendung: Die Kosten-Nutzen-Rechnung führte in der Kunst noch nie weit. Dennoch versuchen die Museen Vorbilder für Nachhaltigkeit zu sein.

Als im Sommer die große Olafur-Eliasson-Ausstellung in der Tate Modern eröffnete, da rechnete ein Kritiker genüsslich vor, wie viel CO2 er mit Flug und Transfer in die Stadt verbraucht hätte, wenn er nach London gereist wäre: 461 Kilogramm. Er blieb zu Hause und machte sich in seiner Rezension rechtschaffen darüber lustig, welche Umweltsünden der erklärte Klimaschützer Eliasson von seinen Ausstellungsbesuchern verlangt.

Völlig klar, dass er sich auch noch über dessen Aktion vom Vorjahr mokierte, die Herbeischiffung von 122 Tonnen Eis aus Grönland, um es öffentlichkeitswirksam am Themse-Ufer vor der Tate Modern schmelzen zu lassen. Mit „Ice Watch“ wollte Eliasson auf das Schwinden der Polarkappen aufmerksam machen.

Mit „Fridays for Future“ ist ein neues Thema in die Museumswelt geschwappt. Wenn plötzlich in allen Lebensbereichen die Ökobilanz zum Faktor wird, wie halten es dann die Museen damit? So viel steht fest: Der Kunstbetrieb hadert mit der Nachhaltigkeit. Ohne einen sichtbaren Gegenwert zu erbringen, praktiziert er den reinen Verbrauch.

Gewiss, die Kosten-Nutzen-Rechnung führte in der Kunst noch nie weit. Doch befinden sich die Museen mit ihren immer größeren Häusern, den Blockbustern, den Ausstellungseinbauten, dem Leihverkehr, den um die Welt reisenden Kuratoren, den vollklimatisierten und -ausgeleuchteten Sälen im Widerspruch, wollen sie doch Leitbild sein, den Besucher über ein anderes, ja besseres Leben aufklären.

Der englische Kunstbetrieb ist dem deutschen Voraus

Unruhe macht sich unter den Direktoren breit. Das zeigte sich Anfang November in einem an die Kulturstaatsministerin gerichteten offenen Brief, in dem die Gründung einer zentralen Taskforce für die klimapolitischen Herausforderungen in öffentlichen Ausstellungshäusern gefordert wird, die zwischen Länder- und Bundesebene, Ministerien und Museen vermitteln soll.

Diese Taskforce solle die Museen beraten, einen Maßnahmenkatalog für einen nachhaltigeren Kunstbetrieb erarbeiten, vielleicht sogar ein Gütesiegel verleihen, hieß es weiter darin.

Die Reaktion des Bundeskulturministeriums (BKM) fiel verhalten aus: Man wäre bereit, die Akteure zum Runden Tisch einzuladen, nur müssten Länder und Kommunen als Träger ebenfalls beteiligt sein, wolle man etwas erreichen, so die Auskunft auf Nachfrage.

Eine Initiative wie vom Arts Council England, das ein eigenes Umweltprogramm entwickelt hat, um den Institutionen auf die Sprünge zu helfen, sie bei Versäumnissen sogar mit Budgetkürzungen abzustrafen, könne es in Deutschland durch seine föderale Struktur nicht geben.

Die Verantwortung wird hin- und hergeschoben

Das BKM unterstützt zwar von ihr geförderte Einrichtungen wie den Gropius Bau bei der Verbesserung ihrer Umweltbilanz, ansonsten reagiert es nur auf Anträge, die über die Länder herangetragen werden. Das klingt flau angesichts einer alarmierenden Situation. Kein Wunder, dass die Bundesregierung ihre Klimaschutzziele nicht erreicht.

„In den letzten neun Jahren stagnierte der Rückgang des Energieverbrauchs in Deutschland, der Stromverbrauch unserer Museen in Berlin ist in den letzten beiden Jahren sogar leicht angestiegen.“ sagt Stefan Simon, Direktor des Rathgen-Forschungslabors. Während in England die Tate-Museen den Klimanotstand ausgerufen haben, sind „die deutschen Häuser noch nicht in der Lage, über ihren gesamten Carbon-Footprint Auskunft zu geben,“ so Simon. „Erst auf dieser Grundlage aber ließe sich nachhaltig für den Umgang mit dem Klimawandel planen.“

Zwischen den Beteiligten wird die Verantwortung hin- und hergeschoben. Dabei könnte man jetzt etwa beim geplanten Museum des 20. Jahrhunderts alles richtig machen. Doch Generaldirektor Michael Eissenhauer zuckt mit den Schultern. Die Bauaufsicht liegt beim Bundesbau Baden-Württemberg, auf Klimafreundlichkeit hat er keinen Einfluss.

Der Entwurf von Herzog de Meuron frönt weiterhin dem Beton, obwohl zweischaliges Mauerwerk mit Dämmung für die Umweltbilanz günstiger wäre. Allerdings sind die Baukosten ungleich höher (dafür reduzieren sich am Ende die Betriebskosten). Nur einmal bekamen die Staatlichen Museen in den letzten Jahren, ein eigenes Erdwärmekraftwerk genehmigt: 2012 beim Neubau des Archäologischen Zentrums in Mitte – aufgrund der Effizienzberechnung.

Durch „Fridays for Future“ hat sich der Druck erhöht

Der Koloss Preußenstiftung bewegt sich nur langsam, auch bei der Nachhaltigkeit. Doch das könnte sich ändern, nicht erst mit den im Sommer 2020 gespannt erwarteten Ergebnissen der Evaluierung, von der sich vom Klimaschützer bis zu den Kuratoren alle Verbesserung erhoffen.

Durch die „Fridays for Future“ hat sich nicht nur für die Direktoren der Druck erhöht. Auch Restauratoren, Ausstellungsdesigner, Depotmitarbeiter suchen nach Wegen, den Energieverbrauch zu minimieren. Nicht immer ziehen sie am gleichen Strang.

Das mussten auch die Teilnehmer der Tagung des Deutschen Museumsbunds Anfang November in Kassel erleben, wo man sich über die Klimakorridore für Kunstwerke weiterhin uneinig blieb. Welche Temperaturschwankungen sind zumutbar, wie viel Feuchtigkeit ist tolerabel? Die entsprechend der Jahreszeit regulierten Depot- und Ausstellungsräume – Kühlung, Feuchtung, Abfuhr von Kohlendioxid – verursachen die größten Emissionen.

Ein Aufschrei in der Restauratorenszene

Als die Bizot-Gruppe, eine Vereinigung internationaler Tophäuser zur Absprache gemeinsamer Ausstellungen und hochkarätiger Ausleihen, vor elf Jahren eine Lockerung der Standards bei Feuchteschwankungen auf 40 bis 60 Prozent empfahl, ging ein Aufschrei durch die Restauratorenszene.

Seitdem hat die Forschung zwar nachgewiesen, dass ein Großteil des musealen Erbes Temperaturen zwischen 15 und 25 Grad Celsius verträgt, hinzu kommen verbesserte Vitrinen. Trotzdem sind die Gräben tief. Viele Restauratoren fühlen sich zunehmend in der Defensive.

Heute fordern nicht nur Blockbuster-Betreiber, dass sie über ihren Schatten springen, sondern auch die Vorkämpfer des „Grünen Museums“. Das „Plus/Minus-Dilemma“, wie der museumsinterne Klimastreit heißt, wächst angesichts eines gestiegenen Leihverkehrs. Babette Hartwieg, Chefrestauratorin der Gemäldegalerie, sieht die Entwicklung mit Besorgnis.

Verschiedene Möglichkeiten, um den Verbrauch zu drosseln

Für den „New Green Deal“ am Museum sind auch die Ausstellungsarchitekturen, oft wahre Materialschlachten, ins Visier geraten. Nach Ende der Laufzeit werden die Stellagen häufig einfach weggeworfen.

Im Gespräch verweist Michael Eissenhauer zwar auf die seit zwei Jahren die Wandelhalle der Gemäldegalerie umgebende Einbauwand, die seit der Schau „Im neuen Licht“ kontinuierlich weitergenutzt wird. Unerwähnt bleibt allerdings, was aus den Requisiten für „Mantegna/Bellini“ wurde, die bis zur gerade eröffneten „Caro“-Schau standen.

Hamburg hat eine Alternative entwickelt: Die Hanseatische Materialverwaltung, ein offener Fundus, sammelt gebrauchtes Material von Filmdrehs, Events, Messen und stellt es anschließend Künstlern, Universitäten, Schulen und Vereinen zur Verfügung.

Nina Schallenberg, an der Neuen Nationalgalerie für die Sammlung Marx zuständig, brachte gute Ideen vom Wilhelm-Hack-Museum in Ludwigshafen mit, wo sie bis vor zwei Jahren als Kuratorin tätig war. Dem städtischen Museum gelang es, nach seiner Sanierung das Energievolumen um 60 Prozent zu reduzieren und lag damit sogar 40 Prozent unter dem staatlich geforderten Mindestmaß für Neubauten.

Gerade erfolgt eine Bestandsaufnahme in sämtlichen Abteilungen der Nationalgalerie, welche Möglichkeiten es gibt. Manchmal ist es ganz einfach: Verwendung von Recycling-Papier, Wechsel zu Öko-Strom oder Umstellung der Video-Geräte auf Stand-by-Modus. Ebenso lassen sich Ausstellungsmöbel – Sitzbänke, Vitrinen – umweltfreundlich produzieren.

Transporte reduzieren

Einer der größten Klimakiller aber sind die teuren Transporte, die mit der von den Museen geforderten globalen Orientierung einhergehen. Doch auch hier gibt es Alternativen: stärkere Konzentration auf die eigene Sammlung, mehr Recherchen vor Ort.

So mancher Künstler aus der Ferne lebt längst in der Nähe, manches Werk befindet sich in den Depots benachbarter Sammlungen. Das Museum für Asiatische Kunst etwa verfügt in seinem Dahlemer Depot über eine erstaunliche Gemäldekollektion aus den 60er, 70er Jahren des 20. Jahrhunderts, ein Schatz, der noch zu heben ist.

Nicht immer müssen Originaldokumente gezeigt werden, oft genügen Faksimiles, wie Nationalgalerie-Kuratorin Anna-Catharina Gebbers mit dem Indonesien-Kapitel der „Hello World“-Ausstellung 2018 im Hamburger Bahnhof demonstrierte.

Ein Schlüsselwerk der Abteilung „Making Paradise“ war das Video der aus Jakarta stammenden Künstlerin Tita Salina. Darin steht sie mitten im Meer auf einem Eiland aus angeschwemmtem Plastikmüll. Ihr Video „1001. Insel – Die nachhaltigste Insel im Archipel“ versteht sich als ironisches Statement gegen die Schaffung künstlicher Paradiese, genauer: die dramatische Wasserverschmutzung in ihrem Land.

Die Gesellschaft durch neue Ideen voranbringen

„Mit ihrer Innovationskraft kann die Kunst zu einer echten Ressource im Kampf gegen Umweltzerstörung werden“, schrieben die Museumsdirektoren im November in ihrem offenen Brief an die Kulturstaatsministerin. „Kunst und Kultur haben das Potenzial, die Gesellschaft durch neue Ideen voranzubringen.“

Nicht immer lässt sich das sofort erkennen, manche Aussage ist erst auf den zweiten Blick zu verstehen. Wer Olafur Eliassons Gletscherbrocken aus dem grönländischen Nuup-Kangerlua-Fjord im vergangenen Jahr in London gefühlt, gerochen, gesehen hatte – bereits 2006 präsentierte er in seiner Berliner Galerie Neugerriemschneider ein Exemplar vom Vatnajökull –, war zutiefst beeindruckt von diesem Giganten und seiner Fragilität.

„Your Waste of Time“ lautete damals der Titel. Kunst ist in der Lage, ein solches Erlebnis zu vermitteln, eine Erschütterung auszulösen. Museen sind dafür das Forum, der Ort für neue Erkenntnisse. Ihre Macher aber müssen sich dem Gebot der Nachhaltigkeit stellen. Allen Widersprüchen zum Trotz.

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