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eugen Gomringers Gedicht "schweigen" von 1960 an der Fassade der Akademie der Künste.

© dpa

Umstrittenes Hauswand-Gedicht: Vier Ansichten zum Umgang mit den Gomringer-Versen

Der Streit um die Worte auf der Wand weitet sich aus: Die Akademie der Künste hängt ein Gomringer-Gedicht an ihre Fassade – für die Freiheit der Kunst. Vier Ansichten dazu.

Schweigen ist nicht unbedingt still. Es kann auch ohrenbetäubend laut sein. So ist es offenbar bei der Aktion gemeint, mit der die Akademie der Künste ihr Mitglied Eugen Gomringer ehren möchte. Auf der Fassade des Glashauses am Pariser Platz steht seit Dienstag das Gedicht „schweigen“, ein Gomringer-Werk aus dem Jahr 1960. 14 mal das Wort „schweigen“, formiert zu fünf horizontalen und drei vertikalen Reihen, die eine Leerstelle in ihrer Mitte einrahmen. Daneben, anders als in der ursprünglichen Formulierung, noch einmal das Gleiche in spanischer Übersetzung: „silencio“.

Die Akademie sei „mehr als besorgt über den von kunstfernen Begriffen geprägten Diskurs“, der um Gomringers Gedicht „ciudad (avenidas)“ entstanden sei, sagt Präsidentin Jeanine Meerapfel. „Die Kunstfreiheit muss über eine unsachliche Debatte jederzeit erhaben bleiben.“ Aber wird die Diskussion tatsächlich unsachlich geführt, ist die Kunstfreiheit ernsthaft in Gefahr? Und entstammt die Vorstellung, dass Kunst über den öffentlichen Austausch von Argumenten „erhaben“ sein sollte, nicht eher dem 19. Jahrhundert, einer Ära von Geniekult und Kunstreligion?

Kern des Berliner Fassadenstreits ist der vor zwei Wochen vom Akademischen Senat der Alice-Salomon-Hochschule gefasste Beschluss, Gomringers Gedicht „avenidas“ im Herbst durch ein anderes Werk zu ersetzen. „avenidas“ erzählt überaus lakonisch aus der Perspektive eines „Bewunderers“ von Frauen, Alleen und Blumen. Man kann diesen Blick eines Mannes sexistisch finden oder auch nicht. In den letzten Monaten wurden gute Argumente für beide Lesarten ins Feld geführt. Der Dissenz wird bleiben, eine Interpretationshoheit in Kunstfragen gibt es nicht.

Aber wegen der Übermalung gleich einen Kulturkampf auszurufen, das Abendland in Gefahr zu sehen oder, wie Kulturstaatsministerin Monika Grütters das getan hat, vor einem „erschreckenden Akt der Kulturbarbarei“ zu warnen, macht aus einer Lokalposse noch keine Verfassungskrise. Wörter, die auf Wänden stehen, sind nicht für die Ewigkeit gemacht. Eine Zensur findet nicht statt, wenn sie ausgewechselt werden. Christian Schröder

Der Witz geht flöten

Was heißt denn das jetzt konkret, konkrete Poesie? Sie ist bildnerisch wie bei Emmett Williams, lautmalerisch wie bei Ernst Jandl, der mit dem booooooooohrer einen Besuch beim Zahnarzt plastisch und hörbar festhielt oder auch Liebesgeräusche phonetisch bearbeitet. Wir dürfen an Christian Morgensterns Fische denken, die im Gedicht still blubbern mit Strichen und Bögen. Da liegen die Textfelder, die von konkreten Poeten mit der guten alten mechanischen Schreibmaschine auf das weiße Papier gehämmert und gestanzt wurden. Ein Gedicht über die Berliner Mauer – sieht bei Raymond Federman aus wie die Berliner Mauer. Vignetten in Schrift, verdoppelte Zeichensprache. Und laute Malerei: H. C. Artmann war ein wortgewaltiger Vortragskünstler, bei dem noch Kurt Schwitters’ „Ursonate“ durchschschlug. Jandl trat mit einer Big Band auf, mit Jazz-Musik, und seine Lyrik inspirierte Tänzer. Gedichte, körperlich.

Konkrete Poesie – mit ihrer Hochzeit vielleicht in den 1960er Jahren – war eine internationale Bewegung, frech, lustig, verspielt, befreiend und manchmal sehr schlicht, kurz gegriffene Komik, visuelle Kalauer. Pathos war ihr fremd, insofern wirkt konkrete Lyrik oft unlyrisch. Weil sie Sprachbilder in – konkrete Bilder umsetzt. Mit der Kultur von SMS und Twitter hat sie eine Art Wiedergeburt erfahren, ein konkretes Gedicht war immer schon ein Emoji. Und nun ist Eugen Gomringer zu einer seltsamen Berühmtheit geworden. So viel Aufmerksamkeit für Dichtung war zuletzt bei Grass und Israel, Böhmermann und Erdogan; beides im Übrigen schlechte Gedichte. Mein Fazit: Der Witz geht flöten. Leichtes und Lockeres wird mit Bedeutung aufgepumpt, ob pro Gomringer oder contra. Das Gute daran: Die Stadt hat unendlich viele Wände und Flächen. Wo seid ihr, Dichterinnen und Dichter? Zeigt euch! Rüdiger Schaper

Ein verhaltener Protest

Die Akademie der Künste will Transparenz, und sie hat dieses Ziel mit dem Neubau am Pariser Platz – nein, natürlich nicht in Beton gegossen, sondern in Glas gekleidet. Nun ist die Vorstellung, gläserne Fassaden bewirkten einen gläsernen Betrieb, so naiv wie nur irgend etwas. Auch hinter Glas lässt sich heimlich tun, wie sich umgekehrt, umschlossen von festen Mauern, Offenheit demonstrieren lässt.

Glücklich ist die Akademie mit dem Glashaus an nobler Adresse nicht geworden, nie gewesen, es entsprang ja auch eher einem Augenblicks-Trotz gegen das vom damaligen Senatsbaudirektor verhängte Diktat des „steinernen Berlin“. Längst heißt es, pragmatisch mit den beiden Heimstätten der Akademie umzugehen, der neuen am alten Standort und der nicht ganz so neuen, aber inzwischen moderner oder besser: zeitloser denn je wirkenden am Standort Tiergartenrand.

Für die breite Öffentlichkeit sichtbarer ist freilich der Pariser Platz, und wenn die Akademie dort ein Gedicht von Eugen Gomringer auf die Glasscheiben ihrer Fassadenhaut malen lässt, so trübt es einerseits die behauptete Transparenz, wie es andererseits Unmittelbarkeit herstellt: Liebes Publikum, die Akademie kehrt ihr Innerstes nach außen, stülpt die im Inneren stattgehabte Diskussion über Gedicht und Dichter sofort und sichtbar nach außen. Freilich, gegenüber einer weißen Mauer mit schwarzer Schrift wirkt der zarte Akademie-Protest verhalten, und Weiß auf Glas war noch nie die Lösung, Losungen zu vermitteln. Früher malten fleißige Hände von Kaufmannsläden ihr Angebot mit Kreide auf die Schaufensterscheibe.

Die Wirkung, die sich im Auge durch die unterschiedliche Fokussierung mal auf die Schrift, mal auf die dahinter gestapelten Waren ergab, vermag die Akademie-Schrift nicht zu erzielen. Jetzt ist die Transparenz hinderlich, das Weiß der Buchstaben verschwimmt vor diffusem Hintergrund. Der Rest ist: Schweigen. Wie auf der Akademie-Fassade zu lesen ist. Oder sollte man der Akademie ein si tacuisses zurufen? Bernhard Schulz

Ein feineres Florett, bitte!

Da hängt es nun, das große Schweigen, Eugen Gomringers berühmtes Gedicht, das er vor bald sechzig Jahren schrieb. Die Akademie der Künste hat es an ihrer gläsernen Fassade am Pariser Platz angebracht: in drei Spalten zu je fünf Zeilen. Genau in der Mitte klafft ein Loch, das Nichts, dem Schweigen gleich. Darin besteht ja gerade die konkrete Poesie, deren Mitbegründer Gomringer ist, dass sie wörtlich nimmt und bildlich zeigt, wovon sie spricht.

Die Akademie der Künste ergreift damit demonstrativ Partei im Streit um das Gedicht auf der Fassade der Alice Salomon Hochschule – ebenfalls äußerlich sichtbar, ebenfalls mitten im Stadtbild. Gomringer ist seit 1971 Akademie-Mitglied. Jeanine Meerapfel, der Präsidentin, geht es um die Freiheit der Kunst, wie sie schreibt. Und: Die Anbringung des Gedichts soll den Dichter ehren.

Nur hätte das nicht mit anderen Mitteln geschehen können, als ausgerechnet die eigene Fassade mit einem Gedicht zu versehen? Die Akademie der Künste versucht offensichtlich ein Gleichgewicht in der konkreten Wahrnehmung Gomringers in Berlin wieder herzustellen. Gewiss, es ist ein Clou, dass darin vom Schweigen die Rede ist, soll der Dichter doch durch die Entfernung seiner Zeilen an der Hochschule zum Schweigen gebracht werden. Es wird jetzt pathetisch. Die Aufhängung eines Gedichts, plakative Poesie, zeugt nur von Trotz.

Schweigen? Reden wäre angebracht! Man hätte sich Loudspeaker vorstellen können, die auf dem Pariser Platz herumspazieren und Gedichte von Gomringer intonieren wie in den Performances von Tino Sehgal. Sie würden ins Gespräch kommen mit Passanten und diskutieren, zum Beispiel darüber, was Dichtkunst heute noch kann und darf. Das wäre ein feineres Florett, der Akademie der Künste angemessen. Nicola Kuhn

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