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Jeremy Irons hat sich für seine Ansichten über die sexuelle Belästigung von Frauen später entschuldigt.

© John MacDougall/AFP

Umstrittener Jury-Präsident der Berlinale: Jeremy Irons schadet der Glaubwürdigkeit

Der britische Schauspieler hat fragwürdige Meinungen zu sexueller Belästigung und Homo-Ehe. Es gibt idealere Kandidaten für den Jury-Vorsitz. Ein Kommentar

Ein Kommentar von Andreas Busche

Der Neuanfang gestaltet sich weiter schwierig. Nachdem die finanziellen und logistischen Engpässe im ersten Jahr der Berlinale-Doppelspitze mit Carlo Chatrian und Mariette Rissenbeek vorerst umschifft sind, hat das Festival mit den jüngsten Ausgrabungen der „taz“ von wenig progressiven Aussagen des Jury-Präsidenten Jeremy Irons zu Homo-Ehe, Gleichstellung und sexueller Belästigung ausgerechnet zum 70. Jubiläum ein kleines Image-Problem.

Zwar hat sich Irons lange vor den Weinstein-Enthüllungen etwa für seine Bemerkung in der „Radio Times“ von 2011, dass eine selbstbewusste Frau es aushalten könne, wenn ihr ein Mann an den Hintern fasst, entschuldigt. (An anderer Stelle nennt er Abtreibungen „Sünde“) Die Frage aber, ob es einem Festival, das sich explizit Toleranz und Gleichberechtigung verschreibt, gut zu Gesicht steht, einen verdienten Schauspieler mit sexistischen und homofeindlichen Ansichten zum Jury-Präsidenten zu ernennen, wirft einen Schatten auf den Neubeginn.

Die Internet-Suchmaschine hätte Auskunft gegeben

Zum Vergleich: In Cannes wird in diesem Jahr Spike Lee als erster schwarzer Regisseur der Jury vorsitzen. Präsident Thierry Frémaux hat ebenfalls nicht den Ruf, ein Verfechter von Gleichstellung zu sein. Und auch Lee ist immer wieder für antisemitische Stereotypen in seinen Filmen, wie auch für seine problematischen Frauenfiguren, kritisiert worden. Vor zwei Jahren hat er aus seinem Debütfilm „She’s Gotta Have It“ über eine junge, sexuell freizügige Afroamerikanerin aber eine Netflix-Serie gemacht, die sein Frauenbild von vor 30 Jahren hinterfragt.

Von der Berlinale indes ist in der Causa Jeremy Irons nur ein dünnes Statement gekommen. Hätte man vorher einfach mal die Worte „Jeremy Irons“ und „MeToo“ in die Internet-Suchmaske eingegeben, wäre die Leitung innerhalb einer halben Sekunde auf eine Reihe von Artikeln über dessen Aussagen aus der jüngeren Vergangenheit gestoßen. Diese Art des vetting gehört heute eigentlich zu den Standardverfahren bei jeder Job-Ausschreibung.

Ein radikaler Neuanfang sieht anders aus

Ob der Quatsch, den Irons so in der Presse herumerzählt, ausreicht, um seine Berufung als Jury-Präsident zu kritisieren, ist dabei gar nicht mal der Punkt. Problematisch ist vielmehr, dass sich die neue Berlinale-Leitung diese Frage scheinbar nicht mal gestellt hat.

Somit werden die Bären in diesem Jahr von einer Jury unter einem – man muss es wohl so plakativ sagen – alten, weißen Mann mit reaktionären Ansichten vergeben. Ein radikaler Neuanfang sieht anders aus. Um zu diesem Urteil zu kommen, muss man sich nicht einmal das bisher veröffentlichte Programm ansehen. Das alles klingt jedenfalls nicht nach der inhaltlichen Ausrichtung, die man von Carlo Chatrian aus seiner glänzenden Locarno-Ära gewohnt ist. Am 29. Januar werden das Programm sowie die restlichen Jury-Mitglieder bekannt gegeben. Man muss hoffen, dass sich die Berlinale das Beste bis zum Schluss aufgehoben hat.

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