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Der Maler Emil Nolde trat 1934 in die NSDAP ein. Um seine Bilder gab es in letzter Zeit häufig Diskussionen.

© Nolde Stiftung Seebüll

Umgang mit Kritik: Wie frei sind die Museen?

Kunst und Protest: Stiftungspräsident Hermann Parzinger diskutierte im Rahmen der Art Week mit Expertinnen und Experten in der Berliner Urania.

Das Bild vom Museum als großer, alter Baum besticht. Früher setzte man sich darunter, so beschreibt ihn Moderator Thomas E. Schmidt („Die Zeit“) in der Urania, wurde erquickt, wenn es auch ein bisschen langweilig war.

Heute hockt auf jedem Ast ein anderer Kritiker und macht ihm das Leben schwer: pocht auf Mitspracherecht, stellt gleich ganz seine Existenzberechtigung infrage. So wurde von den Grünen im Frankfurter Stadtparlament gefordert, dass die „Muslim Fashion“-Ausstellung im Museum für Angewandte Kunst geschlossen werden sollte, sahen sich die Kuratoren der Berliner Nolde-Ausstellung, die den Künstler als nationalsozialistischen Opportunisten entlarvten, aggressiver Kritik von rechts ausgesetzt. Das Museum von heute hat keinen leichten Stand; das beweisen bereits die sich häufenden Kolloquien.

Keine Angst vor Veränderung

Es ist die hohe Zeit der Selbstbefragung. „Proteste, Angriffe, Vorwürfe: Wie frei sind unsere Museen?“ lautet das Thema für das Podium, zu dem Hermann Parzinger, Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, eingeladen hatte. Mit Ina Hartwig, Stadträtin für Kultur und Wissenschaft in Frankfurt, Ulrike Lorenz, Präsidentin der Klassik Stiftung in Weimar, und Thomas Müller-Bahlke, Direktor der Franckeschen Stiftungen in Halle, ist es exzellent besetzt.

Alle drei Museumsleute zeichnet aus, dass sie ihre Häuser einem veränderten Publikum öffnen wollen. Am unerschrockensten Ulrike Lorenz, die 2019 nach Weimar ging und dort die Stiftung einer Transformation unterziehen will wie zuvor die Mannheimer Kunsthalle. Man glaubt es ihr sofort.

Keine Angst vor Veränderung also. „Dass sich historische Museen wandeln, ist nichts Besonderes“, sagt Lorenz vehement, „das tun wir alle.“ Nach den letzten großen Umwälzungen in den Museen kurz nach dem Ersten Weltkrieg und 1968 sieht sie im 50-Jahres-Schritt nun die nächste Revolution für die Institution gekommen.

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Die Gesellschaft erobere sich das Museum als sein  Instrument wieder zurück. Lorenz begeistert sich dafür: „Es ist ein großes Glück, dass wir darauf reagieren können. Da muss man sich nicht aufregen.“ Dass die vier Heroen von Weimarer – Wieland, Goethe, Herder, Schiller – männlich, bürgerlich, weiß sind, schreckt sie nicht. „Wir können unsere Vergangenheit nicht ändern“, gibt sie sich kämpferisch. Es komme darauf an, was man mit den Beständen anfange. Thomas Müller-Bahlke pflichtet ihr bei: „Geschichte ist keine Wundertüte, die irgendwann leer ist; sie bleibt immer voll.“ Um zeitgemäß zu bleiben, müssten nur die Fragen anders gestellt werden.

Die Debatte um koloniale Objekte wäre ohnehin gekommen

Auch Parzinger nimmt Anwürfe von außen gelassener hin, seit auf den Ansturm gegen Chipperfields Sanierungspläne für das Neue Museum die große Liebe des Publikums folgte. Das Gleiche erhofft er sich nun für das Humboldt-Forum. Der öffentliche Druck erzeuge positive Energie in den Häusern, berichtet er. Die Debatte um koloniale Objekte wäre ohnehin gekommen. „Man kann den Themen nicht entgehen“, lautet sein Mantra – „selbst wenn es anstrengend ist“.

Einen möglichen Bremser haben allerdings sowohl Lorenz als auch Parzinger ausgemacht: den wissenschaftshörigen Kurator, der im Museumspädagogen seinen Gegenspieler sieht. Eigentlich hätte man gedacht, dass es dieses Exemplar nicht mehr gibt, im Biotop Museum existiert es weiter.

Ihm ist das Einholen der Gegenwart, die assoziative Erstbegegnung mit einem Artefakt auf Grundlage von Gefühlen ein Graus. Das Bode-Museum macht allerdings gute Erfahrungen damit. Die sperrige Skulpturensammlung habe seit speziellen Workshops, so Parzinger, neue Freunde in Moabit und der türkischen Community gewonnen.

Keine Fragestellungen aus den USA aufzwingen lassen

Alles also nur eine Frage der Perspektive? Lässt sich der gesellschaftliche Rahmen für die Museen beliebig erweitern? Ina Hartwig warnt davor. Sie spricht sich zwar vehement für niedrigschwellige Angebote aus – „die Häuser gehören allen!“ –, doch sollten sich die Museen vor Moralisieren und Opferdiskursen in Acht nehmen. „Und wir müssen höllisch aufpassen, dass wir uns nicht den Boden unter den Füßen wegziehen lassen“, lautet ihr Plädoyer.

„Wir sollten uns nicht Fragestellungen aus den Vereinigten Staaten aufpfropfen lassen, die zu simplifizierenden Ergebnissen führen.“ Auch hier hatte Thomas E. Schmidt ein schönes Bild parat: eine Wikinger-Ausstellung in Kopenhagen, bei der nur Wikingerinnen als Figuren zu sehen waren. Die erstaunte Frage einer 17-jährigen Besucherin lautete: Waren nicht auch Männer an den Untaten der Wikinger beteiligt?

Politisch korrekt oder nicht – da nimmt die Debatte Fahrt auf. Den Staatlichen Museen werde nach dem Giftattentat auf den Kremlkritiker Nawalny gerade nahegelegt, ihre nächste Ausstellung in Moskau abzusagen, berichtet Parzinger. Den Dialog der Zivilgesellschaften aufzukündigen, aber sei der größte Fehler, warnt er. Auch darin kann das Museum überleben: als Diplomatin.

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