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Nostalgisches Happening. Das Ensemble Mosaik spielt Enno Poppes „Rundfunk“ für neun Synthesizer in der Volksbühne.

© Deutschlandfunk/Simon Detel

„Ultraschall“ feiert 20 Jahre: Die verlorene Unschuld der Harfen

Lauschen zurück nach vorne: Das „Ultraschall“ feiert 20. Geburtstag. Höreindrücke vom Berliner Festival für Neue Musik – und vom großen Finale.

Ach, schön ist’s gewesen. So voller nostalgischer Rückblicke und Ach-Momente. Ach, der Xenakis – so komponiert heute keiner mehr. Ach, die Synthiesounds des letzten Jahrhunderts – Generationen dahinschmelzender Herzen im Publikum. Man hätte angesichts der Ankündigungen meinen können, das „Ultraschall“-Festival würde sich dieses Jahr selbst ein narzisstisches Denkmal setzen und sich mit einem Rückblick auf sich selbst zum Zwanzigsten beschenken. Wer tut das nicht an runden Geburtstagen? Zum Glück aber ist „Ultraschall“ seiner Idee verhaftet geblieben und hat mit vierzehneinhalb Ur- und Erstaufführungen, doch einiges an Gegenwartsbezug aufbieten können.

Und zum Glück hat es zugleich auch den Rückblick ausgiebig zelebriert. Denn gerade vor dem historischen Hintergrund konnte sich das Neue als Kontrapunkt entfalten. Und zwar auf mehreren Ebenen. Zum Beispiel auf der kompositorischen: Im Vorfeld des Festivals hatte Leiter Pöllmann bemerkt, dass es eine Tendenz seitens junger Komponisten gebe, den Interpreten mehr Freiheiten einzuräumen und die Komposition als soziale und politische Praxis zu verstehen, zugleich dem exakt auskomponierten Ausdruck abzuschwören. Beispiel Laure Leander: Das Zafraan Ensemble hat keine fertige Partitur der Komponistin vorgesetzt bekommen, sondern bloß einen Entwurf, an dessen Weiterentwicklung es maßgeblich beteiligt war. Zudem sind in die Partitur zahlreiche Wahlmöglichkeiten eingebaut, über die die Musiker während der Aufführung entscheiden.

Die Instrumente werden spektral zerlegt

Richtig interessant wird dies, wenn man etwa Enno Poppe im Nachgespräch zu seinem Stück „Rundfunk“ zuhört, der behauptet, dass die exakte Partitur den Musiker eigentlich befreie, indem sie ihm die Last von Entscheidungen abnimmt. Aber wie macht sich das soziale Spiel klanglich bemerkbar? Schwer zu sagen, die Klänge der Instrumente werden bei Leander mit Mikrofonen abgenommen und dermaßen stark verfremdet, dass sie nicht nur klanglich schwer zu identifizieren sind. Sie werden spektral zerlegt, zerhackt, verzögert und in brachial mechanistischen Schleifen wiederholt – was das Auge sieht, entspricht nicht mehr dem, was das Ohr hört. Ach, früher einmal klangen Harfen so unschuldig.

Man kann es so denken: Auf ihrem klassischen Instrumentarium vollziehen die Musiker jahrhundertealte Gesten, teils ganz leise, als würden sie nachts spielen, intim und privat. Allerdings tun sie das in einer Welt, in der diese Privatheit von Technologien durchdrungen ist, die sie verstärken, vergrößern, verzerren und öffentlich machen. Aus einer mit Holz gestrichenen Bratsche wird so eine raumfüllend dröhnende, stechend hohe Frequenzen hämmernde Baustelle. Wie ein Medienhype, ein naiv getippter Tweet, der plötzlich um die Welt geht und dem sich bald niemand mehr entziehen kann. Welchen Anteil an diesem Eindruck der kooperative Kompositionsprozess hat, ist nicht zu erkennen. Muss es auch nicht.

Alte Synths neu interpretiert

Stattdessen rückt etwas anderes in den Vordergrund – das Instrumentarium, beziehungsweise: die Technik. Hört man bei Leander alte Instrumente mit neuer Technik inszeniert, finden sich beim Trio Berweck/ Lange/ Lorenz relativ neue Instrumente unter dem Banner der historischen Aufführungspraxis – eine ganz andere Note des, ach, Nostalgischen. Für moderne Synthesizer geschriebene Musik wird nämlich ebenso schnell historisch, wie die Instrumente – kommt eines aus der Mode, verschwinden auch die Stücke. So auch „Stries“ von Bernard Parmegiani. Es beginnt mit einer langen Tonbandzuspielung, bei der die Musiker mit verschränkten Armen dasitzen. Beim zweiten Teil kommt Bewegung auf die Bühne, das Licht ändert sich, Musiker bauen Blickkontakt auf. Bald nimmt das Stück Fahrt auf, wird richtig laut und betont rhythmisch, aber nicht im Sinne eines einfachen Taktes. Nach der Steigerung wieder Ruhe, vermutlich der dritte Teil – das Stück ist ein Triptychon. Filter fahren jetzt durch Rauschflächen, dazwischen perkussive Klänge, metallisches Rasseln aber keine Frequenzmodulationen – alles einfache Klänge, bei denen man meint, zu verstehen, wie sie gemacht werden, wenn man ein wenig über Synthesizer weiß. Zumindest, bis man sich selbst an so eine Rekonstruktion macht.

Wieder ein anderer Ansatz dann bei Enno Poppes Stück „Rundfunk“. Der Komponist sitzt als Interpret neben seinen Mitspielern vom Ensemble Mosaik an einem von neun Keyboards, denen Laptops als Klangerzeuger dienen. Die reproduzieren nun originalgetreu Klänge alter Synthesizer wie Minimoog oder auch der Hammond-Orgel – verwenden sie aber in Weisen, die mit den Originalinstrumenten gar nicht möglich wären. Erinnert es anfangs entfernt an naive, frühe Synthesizermusik, vielleicht mit der „Harmlosigkeit“ (Zitat Poppe) mancher Motive von Kraftwerk, entwickelt es bald eine Dynamik, die weit über das hinausgeht, was früher mit diesen Instrumenten möglich gewesen wäre und eine Struktur, die mit den Klängen weiter geht, als es zu Zeiten von Tangerine Dream und Co. der Fall war. Unmöglich, dies zu improvisieren, meint Poppe. Ein einziges Mal, mit etwas Fantasie, berührt das Stück den Vierviertelsektor mit treibendem Beat, ein andermal, als plötzlich ein lang gehaltener Ton im Bass das über ihm sich abspielende Chaos erdet, könnte man sich an John Carpenter erinnert fühlen. Anspielungen in einer insgesamt aber ganz anderen Klangwelt – mit exakter Partitur übrigens und alt-modernen Klängen, aber keineswegs alt klingend. Der Applaus ist entsprechend ordentlich und absolut gerechtfertigt.

Klang der Freiheit

Das Abschlusskonzert von „Ultraschall“ weist über das Festival hinaus – als Fortsetzung der legendären Konzertreihe „Musik der Gegenwart“, in der einst Ligeti-Uraufführungen zu hören waren, und als Rückkehr an einen Geburtsort der Moderne, den Großen Sendesaal im Haus des Rundfunks. Der Abend, bei dem eine beherzt zupackende Simone Young das Deutsche Symphonie-Orchester dirigiert, führt aber auch das Dilemma aktuellen Komponierens vor: Uraufführungen wollen viele Festivals, danach erlischt die Aufmerksamkeit schlagartig, als ob die Rezeption eines Werkes keinen mehr interessiert. Die meisten Auftragsarbeiten könnte man nach einmaliger Aufführung auch effektvoll verbrennen, weil sie ohnehin niemand mehr anrührt.„Ultraschall“ versucht, mit seinen bescheidenen Mitteln gegenzusteuern.

Neben einer posthumen Uraufführung von Michael Hirsch erklingt die zweite Aufführung der „Rituale“ von Samir Odeh-Tamini seit 2008 und die dritte für Chaya Czernowins „Guardian“ seit 2017. Die israelische Komponistin zeigt sich bewegt von der Nachfrage nach ihrem Cellokonzert, das die Widmungsträgerin Séverine Ballon spielt. Elektrische Verstärkung sorgt dafür, dass auch das feinste Wispern ihres Instruments inmitten des Orchesters zu hören ist, dessen Klangwucht erst in Bewegung setzt. Die sägende Zuspitzung schwört dem singenden Cellocharme ab. Odeh-Taminis Werk, erfüllt von den Echos jugendlicher Sufi-Erfahrungen, ist eine elliptische Drehbewegung unter Perkussionsdonner und sirrenden Streichern. Keine Meditation, eher ein auf der Stelle tretender Kraftausbruch, ein Frühlingsopfer ohne Frühling. Hirschs „…irgendwie eine Art Erzählung…“ lauscht den Klangraum tiefer aus und bettet akustische Trouvaillen spielerisch in eine schwingende Großstruktur ein. Schönheit und Eigensinn können sich sicher davor fühlen, ideologisch auf Spur gebracht zu werden. Freiheit, die man hören kann.

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