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Das Bonner Regierungsviertel ist Schauplatz von "Das Treibhaus".

© picture alliance / Oliver Berg/dpa

Über den Roman "Das Treibhaus": Die Einsamkeit des Abgeordneten

Geschichte der BRD: Der Historiker Benedikt Wintgens erläutert den Kontext von Wolfgang Koeppens Bonn-Roman „Das Treibhaus“ .

Der Weg der Deutschen in den Zweiten Weltkrieg ist gut dokumentiert. Weniger bekannt ist ihr Weg aus dem Krieg heraus. Das Wissen darüber beschränkt sich oftmals auf Stichworte à la Wirtschaftswachstum, Wohlstandsjahre und Westbindung. Dabei kam den 1950er Jahren, wie der Bonner Historiker Benedikt Wintgens betont, eine wichtige Scharnierfunktion für die deutsche und europäische Geschichte zu. Denn auch wenn es die viel zitierte „Stunde Null“ nicht wirklich gegeben hat, war die parlamentarische Demokratie der Bundesrepublik, systemisch betrachtet, doch ein Neustart.

Mit „Treibhaus Bonn“ liefert Wintgens eine politik- und kulturgeschichtliche Tiefenbohrung in diese Zeit. Das macht das Buch zu einer anregenden Lektüre. Mehr Vehikel als Gegenstand der Untersuchung ist dabei der Roman „Das Treibhaus“ von Wolfgang Koeppen. Das Buch ist 1953 erschienen und war umgehend Gegenstand kontroverser politischer und gesellschaftlicher Diskussionen, die sich, wie Wintgens minutiös darlegt, in 80 Rezensionen sowie zahllosen Kommentierungen niederschlugen. Im Zentrum stand der politische Charakter des Romans, der sich aus seinem unmittelbaren Gegenwartsbezug herleitete und die dahinterstehenden realen Politiker lediglich nominell kaschierte.

Koeppen erzählte die Geschichte des Abgeordneten Keetenheuve, der, aus dem Exil zurückgekehrt, in den Bundestag einzog, um am Wiederaufbau der deutschen Demokratie mitzuwirken. Doch ließen ihn der autoritäre Regierungsstil des „Kanzlers“ (Adenauer) und die Ohnmacht der Opposition schnell resignieren. Sein Kampf gegen die Wiederbewaffnung der Bundesrepublik scheiterte; auch privat brach sein Leben auseinander – sodass am Ende als radikaler Schritt der Freitod stand. Flankiert wird die Romanhandlung von politischen Intrigen, Korruption und einem von Nazis durchsetzten Geheimdienst, welche die aufrichtigen demokratischen Bestrebungen Einzelner zur Makulatur machten. Kurz gesagt: Koeppens Buch war ein Roman des Scheiterns, individuell, vor allem aber mit Blick auf die junge deutsche Demokratie.

"Bonn ist nicht Weimar"

Bereits am Erscheinungstag verkündete der „Spiegel“ apodiktisch, Koeppens Darstellung stehe „symptomatisch für die bundesrepublikanische Aufbau- und Aufstiegsgesellschaft“. Sowie für die restaurativen Tendenzen eines Politikbetriebs, in dem (sozialistische) Alternativen zum im Entstehen begriffenen Nachkriegssystem nicht einmal erwogen werden dürften. Das Resultat sei eine neuerliche Diktatur, wenngleich diesmal unter dem Deckmantel der Mehrheitslegitimation, auf die man nur mehr mit Verzweiflung reagieren könne – versinnbildlicht im Selbstmord des Abgeordneten Keetenheuve.

Allerdings stieß diese Lesart auf massiven Widerspruch. Am klarsten gegen die von Koeppen vertretene und vom „Spiegel“ gepflegte Restaurationsthese positionierte sich der Schweizer Publizist Fritz René Allemann, der seine Kritik in der ebenso griffigen wie wirkmächtigen Formulierung „Bonn ist nicht Weimar“ zusammenfasste.

Sein Hauptvorwurf: Koeppen verkenne die historische Entwicklung. Stattdessen bediene er ein Zerrbild, das im Kern das Potenzial zu einer gesellschaftlichen Polarisierung wie zu Weimarer Zeiten trage. Sein Buch transportiere exakt das Gegenteil dessen, wofür Bonn heute stehe: eine demokratische Ordnung, wirtschaftlichen Liberalismus und eine kluge Außenpolitik gegenüber den USA und den westeuropäischen Partnern.

Beeindruckende Detailtiefe

Dieser Lesart schloss sich Walther Karsch im Tagesspiegel an. Auch er warf Koeppen vor, „das kleine Pflänzchen eben wiedergewonnener Demokratie“ mit seinem „politischen Klatsch“ mit Füßen zu treten. Obendrein hänge Koeppen einem „rosa Pazifismus der Zwanzigerjahre“ nach, der sich historisch überlebt habe. Karschs Urteil wog auch deshalb schwer, weil er selbst in den 1920ern zum Kreis der „Weltbühne“ um Carl von Ossietzky gezählt hatte, auf deren Pazifismus sich Koeppen mit seiner Kritik an der deutschen Wiederbewaffnung berief.

[Benedikt Wintgens: Treibhaus Bonn. Die politische Kulturgeschichte eines Romans. Droste Verlag, Düsseldorf 2019. 618 S., 68 €.]

Die gesamte Debatte lässt sich bei Wintgens in beeindruckender Detailtiefe nachverfolgen. Doch schon die genannten Beispiele zeigen: In den Diskussionen ging es längst nicht mehr „nur“ um einen Roman. Stattdessen wurden hier erstmalig in der Geschichte der BRD die ideellen und systemischen Grundfeste des neuen Staates erörtert; und damit letztlich der Zustand der westdeutschen Demokratie und Gesellschaft insgesamt.

Rückblickend wissen wir, dass das Jahr 1953 mit der Ratifizierung der Westverträge und der zweiten Bundestagswahl ein Meilenstein auf dem Weg der Stabilisierung der Demokratie war. Darüber hinaus, so Wintgens’ plausibles Fazit, habe sich die „Treibhaus“-Debatte in zweifacher Hinsicht als wichtige Wegmarke erwiesen: als Katalysator bei der Etablierung einer kritischen und pluralistischen Öffentlichkeit. Sowie als Zeichen dafür, dass es in der jungen BRD zahlreiche kraftvolle Stimmen gab, die willens waren, lautstark für den neuen Staat einzutreten.

Florian Keisinger

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