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Kultur: Über dem Pflaster liegt der Strand

Urbane Insel: Wie der Installationskünstler Christian Hasucha die Stadt in Stücke schneidet

Er schaut auf die Stadt, die Stadt schaut zurück. Christian Hasucha, Künstler in Neukölln, steht auf einer von ihm selbst gebauten Plattform, lehnt sich über das Geländer und wirkt im anbrandenden Großstadtgetöse ein wenig wie ein Seemann im Krähennest: Vollbart, Blick in die Ferne, unerschütterliche Gelassenheit. Die runde, drei Meter hohe Ebene, gehalten von einem Baugerüst, schwankt sogar leicht. Unten, auf der Kreuzung Erk-/ Donaustraße, hängt sich ein Goldketten-Typ aus dem Fenster eines schwarzen Benz und ruft: „Was wird das, worauf Sie da stehen?“

„Eine Insel.“

Der Typ nickt. „Ach so.“ Es sieht ratlos aus. „Alles klar.“ Dann fährt er weiter.

Es funktioniert.

Intervention Nr. 48 wird wieder ein Erfolg. Warum? Nach dem Autofahrer werden in den nächsten Minuten verschiedene Kinder fragen, Jugendliche lästern, und Mütterchen mit Kopftuch heben den Blick.

Seit einem Vierteljahrhundert greift der 50-jährige Christian Hasucha dezent in den Stadtraum ein, um Reaktionen bei Passanten, Behörden und Medien zu provozieren. Welcher Art die Reaktionen sind, ist ihm eigentlich egal. Hasucha will lediglich den Anstoß geben, einen Gesprächsbeitrag abliefern. Der soll ein bisschen ärgern, ein wenig erheitern. „Öffentliche Interventionen“ nennt Hasucha dieses Vorgehen. In Kaffs und Metropolen, auf Parkplätzen und Marktflächen, auf Feldern und in Wäldern – solange Passanten des Weges kommen, lohnt es sich, künstlerische Fragezeichen in den Raum zu stellen.

In Galerien hingegen hat man schon lange nichts mehr gesehen von dem ehemaligen Maler, der in London Kunst studiert hat. Solche „Interventionen in Privaträumen, die nur Kenner besuchen“, wie er die Galerien-Szene nennt, hat er Anfang der achtziger Jahre hinter sich gelassen. Damals ist er nach Budapest eingeladen worden, wo er Raketenflügel an Masten, Pfeiler und Pfähle lehnte, so dass diese sich in Flugkörper verwandelten. Er liebte schon als Maler den Widerstand des Materials, aber die Erfahrung mit dieser Intervention Nr. 1 ging weiter, war radikaler: Die Stadt ist unberechenbarer als Leinwand oder Öl und überrascht auch den Künstler. Hasucha beschloss, fortan im öffentlichen Raum auszustellen und statt mit Galeristen mit Kuratoren und Kulturämtern zusammenzuarbeiten. Und seine Kunst sollte temporär sein, weil ein Gesprächsangebot nicht von Dauer sein kann, sondern stets erneuert werden muss.

Seither reist er umher, „interveniert“ in der ostdeutschen Provinz genauso wie in der westdeutschen, in Polen und in Estland wie in Italien und Spanien. Er baut mit viel handwerklichem Geschick Podeste, Brücken und wundersame Geräte gegen die Eintönigkeit einer verwalteten Welt aus Fußgängerzonen, Malls und Werbeflächen.

Oder er reißt diese Welt kurzerhand auf. So wie vor einigen Jahren bei der Intervention Nr. 34, der Pulheimer Rochade, bei der Hasucha in der nordrhein-westfälischen Stadt 25 Quadratmeter Parkplatz des einen Stadtteils gegen einen gleich großen Flecken Parkplatz eines anderen Viertels tauschte. Er ließ die Flächen verklammern, ausschneiden und umsetzen – samt Poller, Fahrradständer, Abfallkorb und Jägerzaun.

In Münster drehte er 100 Quadratmeter Platz um 180 Grad. Nun stand eine Bank, die vorher am Rand des Platzes zum Verweilen einlud, in dessen Mitte. Und das ausgefeilte Mäandermuster mäanderte leicht durcheinander.

Die Zerlegung der Welt in Raster hat Christian Hasucha sich von kommunalen Behörden, Unternehmen und Immobilienhändlern abgeschaut, die größtmögliche Berechenbarkeit öffentlicher Areale anstreben. Ausschneiden und einfügen, cut and paste, wie es Computerprogramme ermöglichen, sind die Arbeitsprinzipien von Marketingstrategen, Städteplanern und -verwaltern. Hasucha hat sich deren Methode zu Eigen gemacht. Intervention Nr. 8: Ein Mensch, Herr Individual, läuft auf einem Podest mit Laufband. Ein Passant über Passanten in 2,40 Metern Höhe. Ausgeschnitten und in den Luftraum eingefügt. Wenn der Künstler Dinge und Menschen in neue Zusammenhänge stellt, gewinnt die Umwelt eine neue Bedeutung, erscheint plötzlich als gestaltet und nicht als gottgegebenes Verhängnis. „Es wird erkennbar, dass Programme hinter den Erscheinungen ablaufen“, sagt der Neuköllner. Und in diese Programme kann man eingreifen.

Hasucha, der neben seiner freien Künstlertätigkeit durch Lehraufträge und Buchillustrationen Geld verdient, lässt sich auf die Sprache der Bezirksverordnetenversammlungen, der Stadtplanungs-, Bau- und Ordnungsämter ein. So kommt er den Strukturen auf die Spur. Er unterwandert Baurechtsvorschriften, indem er sie parodiert und pervertiert. Der in Berlin aufgewachsene Künstler findet dafür das Bild eines Dampfers, der erst einmal auf dem Strom schwimmt und sich dann plötzlich querdreht. Hasucha entwarf offiziell aussehende Briefköpfe und kommunizierte unter dem Aktenzeichen WSDQ, ein Kürzel für „Was soll der Quatsch?“. Mit dem Stolz eines Eulenspiegels präsentiert er auch seine Zeichenmaschine. Damit kann er hochseriöse Baupläne zeichnen – zumindest sehen sie korrekt aus. Sind diese Anstrengungen, den Vorschriften zu genügen, schon ein Teil der Kunst? „Na klar“, freut sich Hasucha mit schelmischem Grinsen.

Nicht umsonst steht sein neues Projekt „Die Insel“ neben dem Rathaus Neukölln. Diesen grasbewachsenen Hügel baut Christian Hasucha im Rahmen der Künstlerprojektreihe Okkupation, die Stadtraum theoretisch beschreibt und situationistisch zurückerobert. Hier will der Künstler, der in der Nachbarschaft sein Atelier hat, frühstücken, herunterblicken und Besuch empfangen.

Über dem Pflaster – die Wiese. Ausgeschnitten, eingefügt. Von hier oben wird die Umgebung zur Bühne, werden normale Straßenszenen zur Inszenierung, und das eigentliche fremdartige Gestell ist schnell vergessen. Bald schon wird es wieder abgebaut. Die einzigen Interventionen dann: entweder amtlich abgesegnet oder Vandalismus.

„Die Insel“, bis 31. Juli, Ecke Donau- und Erkstraße. Anmeldung zum Besuch der Insel nimmt der Künstler unter 682 12 18 oder unter mail@hasucha.de entgegen.

Okkupation läuft noch bis zum 31. August. Weitere Informationen unter www.okkupation.com.

Daniel Völzke

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