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Kraftakt. Rachel Monosovs Performances sind als Filminstallation zu sehen. Die Arbeit bezieht sich auf die Erfahrung während der Coronazeit.

© Villa Massimo, Rachel Monosov

Über 30 Jahre, 450 Ausbildungen: Dieses Programm öffnet Newcomern die Tür in die Kunstwelt

Das Goldrausch-Programm bietet Professionalisierung für Künstlerinnen. Die Ausstellung „Mutual Matters“ zeigt neue Arbeiten. Sie beschäftigen sich u.a. mit Bitcoin.

Neuer Ort, neues Gefühl, neue Netzwerke. Vielleicht kann man den Status Quo beim Goldrausch-Projekt derzeit so beschreiben. Vor zwei Jahren zog das Weiterbildungsprogramm für bildende Künstlerinnen nach Lichtenberg in die Fahrbereitschaft, einem Fabrikhof, den der Kunstsammler Axel Haubrok zum interdisziplinären Kunst- und Gewerbestandort um- und ausgebaut hat. Zugegeben, man fährt ein Weilchen mit der Straßenbahn, bevor man dort angekommen ist. Aber die Vorteile der gemischten Mieterstruktur auf dem Gelände haben die Goldrausch-Künstlerinnen schnell kennen- und schätzen gelernt.

Das Highlight des Weiterbildungsjahres ist die gemeinsame Abschlussausstellung. Tolle Orte haben sich die Absolventinnen in den vergangenen Jahren dafür ausgesucht, sie waren im Flutgraben in Kreuzberg, in den Reinbeckhallen in Oberschöneweide, vergangenes Jahr im Kunstquartier Bethanien. Nun findet die Schau der 15 Absolventinnen zum ersten Mal in der Fahrbereitschaft statt. Die „Große Halle“, in der bisher meist Werke aus der Haubrokschen Sammlungen zu sehen waren, ist zwar nicht riesig, aber es reicht, um einen konzentrierten Parcours durch die unterschiedlichen Werke der Teilnehmerinnen zu kreieren.

[Herzbergstraße 40-43, bis 5. Dezember, Di-Do und Sa/So 14-19 Uhr, 14-20 Uhr.]

„Mutual Matters“ lautet der Titel der Schau. Das Eigene gemeinsam voranbringen ist die DNA des Goldrauschprogramms. Und „Matters“, das Materielle, ist immer noch das Herz der bildenden Kunst, auch wenn es in digitalen und pandemischen Zeiten schmerzlich zu kurz kommt. So erzählt es Hannah Kruse, die das Programm leitet und die die Ausstellung gemeinsam mit Alumna Surya Gied kuratiert hat.

Viele zeigen hier einen Ausschnitt aus ihrer Arbeit, die mit der Installation, dem Film, den Skulpturen, die präsentiert werden, weder abgeschlossen noch zu Ende recherchiert sind. So arbeitet auch die Südkoreanerin Heyon Han. Die 1985 geborene Künstlerin hat in Nürnberg studiert, lebt seit einigen Jahren in Berlin und beschäftigt sich in ihrem Projekt „Proof of Mother“ mit der Bitcoin-Industrie, dem Finanzsystem der Zukunft. Wie kann man einer Währung habhaft werden, die immateriell ist, die weder Banken noch physische Orte braucht und mit der dennoch ein echtes Leben bezahlt werden will? Eine Währung, deren Wert sich alle vier Jahre halbiert. Halving nennt man das Phänomen. Heyon Han versucht es mit einer Fiktion, kreist darin um die Figur der Mutter. Wer gewinnt das Spiel, der Algorithmus oder die bessere Mutter, wie im Kaukasischen Kreidekreis? Die Künstlerin überführt ihre Überlegungen in eine Installation, eine Anordnung, bestehend aus Dachlatten mit Alufolie ummantelt, mit goldgelben Strohballen, mit Zahlen und Buchstaben bestückt. So bringt sie Materialität und Körperlichkeit in die ungreifbare Welt zurück.

450 Künstlerinnen haben das Programm durchlaufen

Zu Heyon Hans Arbeit gehört, wie auch bei den anderen Teilnehmerinnen, eine Publikation. Das Publizieren als Instrument, um das eigene Werk in der Welt und auf dem Kunstmarkt sichtbar zu machen, ist nur eine der Fähigkeiten, die die Goldrausch-Künstlerinnen im dem Programm lernen. Dazu kommen Wissen über Steuer- und Urheberrecht, Marketing, Projektförderung, Kenntnisse, die die Frauen beim Einstieg in die künstlerische Selbstständigkeit brauchen.

Das Allerwichtigste aber, so erzählen es die Teilnehmerinnen, sind der kollegiale Austausch und der Aufbau verlässlicher Netzwerke. Weg vom Einzelkämpfertum im konkurrenzorientierten, immer noch männlich dominierten Kunstmarkt, in dem Frauen deutlich weniger verdienen und weniger ausgestellt werden als Männer. Goldrausch existiert seit 1989, mehr als 450 Künstlerinnen haben die Weiterbildung durchlaufen, ehemalige Absolventinnen sind Professorinnen oder haben sich anderweitig in der Kunstwelt etabliert. All das wird sich auf die Chancen der Nachkommenden auswirken. Es ist hoffentlich nur eine Frage der Zeit, bis sich die Strukturen zugunsten der Frauen ändern.

Auch die 1993 geborene, in Berlin lebende Künstlerin Nnenna Onuoha aus Ghana hat sich vor einem Jahr bei Goldrausch beworben, um sich in der Kunstwelt ein Standbein zu erarbeiten. Sie ist Filmemacherin, Anthropologin und Doktorandin an der Harvard University und beschäftigt sich mit den Folgen des Kolonialismus in Westafrika, Europa und den USA. Ihre Filminstallation „The A-Team“ besteht aus länglichen, vertikal aufgehängten Screens, die mit eingeblendetem Text und viel Schwarz arbeiten. Onuoha behandelt eine Reise, die sie gemeinsam mit ihrer damaligen Schulklasse in die USA gemacht hat. Dem Gefühl, auf diesem Südstaatentrip als Afrikanerin vorgeführt worden zu sein, spürt sie nach, indem sie die früheren Klassenkameraden anruft und zu deren Erinnerungen befragt, die höchst unterschiedlich sind. Die Bildschirme zeigen den Text der Konversation sowie verfremdete Bilder des Trips. Es wird deutlich: Geschichte ist wandelbar, uneindeutig und immer Teil der Gegenwart.

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