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Ist die spitz. In der Dokufiktion „Arteholic“ betrachtet der Kunstmaniac Udo Kier auch Giacomettis Skulptur „Die Nase“ im Kölner Museum Ludwig.

© dpa/Camino-Filmverleih

Udo Kier feiert seinen 70. - mit dem Film "Arteholic": Kölsch in Hollywood

Er kann Trash, er kann Kunst, er ist Kult: Der Schauspieler Udo Kier feiert seinen 70 Geburtstag. Mit einem neuen Film namens "Arteholic"

Hallo, Hotel Sacher, Portier? Ein Satz aus dem inneren Fernsehmuseum stiehlt sich ins Sprachzentrum, kaum, dass man mal in der legendären Herberge anruft. Der Herr Kier drehe in Wien, hatte es vorab geheißen. Ob man nicht anderntags um zehn zum Gespräch im Sacher erscheinen möge, lässt er eines Nachmittags überraschend bestellen. Eigentlich ein Traum. Die berühmtesten blaugrünen Augen des deutschen Films. Die nicht minder berühmte Torte. Nur leider etwas kurzfristig. Bleibt nur das schnöde Telefon.

„Wen darf ich Herrn Kier melden?“, fragt die Telefonistin. Hach ja. Was muss die Welt in Österreich noch heil sein, dass das Fernsehen seine Serienhelden so standesgemäß unterbringt. Nicht mehr als angemessen für einen Hollywood- Star, der in der bissigen Groteske „Altes Geld“ den verstorbenen Burg-Schauspieler Gert Voss ersetzt und einen fiesen Patriarchen spielt. Auch wenn es mehr ein Kult- als ein Glamourstar ist. Kier gähnt. Er spricht gemütlich, kehlig, kölsch. Tags zuvor hat er einen Spielfilm in New York abgedreht. „Die Chefin vom Sacher hat mich in diese Suite gesteckt. Das ist ja die Frau vom Helmut Lohner. Wunderbarer Blick auf die Oper, direkt vom Bett aus.“

Oho, Udo Kier, einst als schicker Kulturjetsetter gut bekannt mit Herren wie Arndt von Bohlen und Halbach, Jean Marais, Luchino Visconti, Alain Delon oder Helmut Berger, und als Charakterschauspieler wie Trash-Gott seit knapp 50 Jahren gefragt bei Regisseuren wie Rainer Werner Fassbinder, Gus van Sant, Christoph Schlingensief oder Lars von Trier, liegt noch im Bett. Dass er sich dort, nur mit einem Handtuch bekleidet, trotz seiner mittlerweile 70 Lebensjahre durchaus noch sehen lassen kann, ist jetzt auch in Hermann Vaskes Dokufiktion „Arteholic“ im Kino zu sehen.

Udo Kier hat in 200 Filmen mitgespielt

Sie kommt quasi als Geburtstagsgeschenk für Udo Kier heraus, der am 14. Oktober 1944 in Köln-Mülheim geboren wurde und seit den Tagen als Kriegskind aus ärmlichen Verhältnissen bis zu seinem aus 200 Filmrollen gespeisten Kultstatus im europäischen- wie im Hollywoodkino eine erstaunliche Karriere hingelegt hat. Der mit Kier-typischen schrägen Einfällen gespickte Film folgt dem Kunst- und Künstlerfreund, der zu Hause in Palm Springs von ihm gewidmeten Warhols, Liechtensteins, Hockneys oder Polkes umgeben ist, in die Kunstmuseen von Köln bis Kopenhagen. Dort plaudert der „Arteholic“ mit Freunden wie Rosemarie Trockel oder Jonathan Meese, Direktoren wie Max Hollein oder Nationalgalerie-Chef Udo Kittelmann, erzählt Künstleranekdoten, zeigt experimentelle Künstlerfilme, rezitiert Schiller, liest Zeitung mit Lars von Trier, treibt ironischen Schabernack.

Was die Sexpuppe soll, die im Film neben Kier auf dem Sofa sitzt, als er den Reißverschluss seiner Hose schließt? Nichts, antwortet er. „Die haben wir nur drin, damit Sie danach fragen!“ Bingo, Herr Kier. Einer, der Ende der Sechziger mit Filmen wie „Schamlos“ (mit Rolf Eden) und „Hexen bis aufs Blut gequält“ bekannt wurde, weiß halt, wie man Neugier erregt.

Wie steht es mit dem Wahrheitsgehalt seines Filmsatzes „Mit Kunst zu leben ist eine Sucht, die ist teurer als Kokain – nur bleibe ich gesund dabei“? Der stimme, sagt Kier und amüsiert sich darüber, dass ihm kürzlich in einer New Yorker Galerie ein Picasso-Blatt für 120 000 Dollar angeboten wurde. „Wo ich doch früher in Paris Man Ray oder Magritte für 100 Mark pro Bild gekauft habe.“ Nur, weil sie ihm gefielen übrigens. Kier befasst sich weder theoretisch, noch kunsthistorisch, noch als ökonomisch interessierter Sammler mit Gemälden oder Fotografien. „Die Sachen, die ich an den Wänden habe, sind alle mit Geschichten verbunden.“ Im Klartext: mit seiner Geschichte, seinem Leben in den Künstlerszenen von Köln, Rom, London, Paris, New York. Obwohl Udo Kier so gar nichts Rückwärtsgewandtes hat, vermisst er diese Zeit, als Kunst gelebtes Ereignis war: „Wenn Beuys eine Ausstellung in Paris hatte oder Rauschenberg eine in Florenz, dann sind wir da alle hingefahren. Um ihn zu bestärken – und um zu feiern!“

Auf Reisen telefoniert er gern mit seinen Hunden daheim

Apropos feiern. Udo Kier geht an seinem Geburtstag einfach nur Essen. „Mit einigen, wenigen Freunden.“ Und dann will er den Rest des Jahres nichts mehr von Dreharbeiten sehen, sondern im Garten seiner in der kalifornischen Wüste gelegenen Ranch arbeiten. „Kleinen Eidechsen dabei zu sehen, wie sie einen Tropfen Wasser zu sich nehmen.“ Oder den Roadrunner, der dort herumrennt, mit rohem Fleisch füttern. „Dieser Vogel, der im Comic immer Meep Meep macht, keine Ahnung, wie der auf Deutsch heißt.“ Ja, der im Film oft als Bösewicht besetzte Udo Kier ist Tierfreund. So zu sehen in „Arteholic“, wo er erzählt, dass er auf Reisen gern mit seinen daheim gebliebenen Hunden telefoniert.

In den Staaten lebt Udo Kier seit 25 Jahren. Gus van Sants „My Private Idaho“ hat ihm dort 1991 den Durchbruch beschert. Zu der Rolle ist er so wie zu jeder anderen gekommen – per Zufall. Van Sant hat ihn vorher auf der Berlinale angesprochen. Er plane da einen Film mit River Phoenix und Keanu Reeves und habe eine Rolle für ihn. An Christoph Schlingensief und Tilda Swinton ist er ebenfalls auf der Berlinale geraten. Bei einem feuchtfröhlichen Abend im Restaurant Florian, wo sie zufällig zusammen saßen. Und Fassbinder hat er schon mit 16 in Köln in einer Kneipe kennengelernt.

Namen, Geschichten, Filme, Bilder – Udo Kier erzählt sein wildes Leben wie einen ruhigen rheinländischen Fluss. Ein Dankbarkeit über seinen Lebensweg verströmender Grandseigneur, der über Kollegen nur lobend spricht. Auch die Tatsache, mehr Neben- als Hauptrollen gespielt haben, erbittert ihn nicht. „Immerhin hat mich der britische ,Guardian‘ nur für eine Handbewegung in Lars von Triers ,Melancholia‘ für den Oscar vorgeschlagen.“ Der Zimmerservice klopft, Kier vertröstet ihn auf später. Er ist Profi, er hat Zeit. Und ein kölscher Jung wie er lässt sich schon gar nicht hetzen.

„Arteholic“ läuft ab Donnerstag im Kino.

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