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Wo die Liebe hinfällt. Asmik Grigorian als Maria.

© DAVIDS

Tschaikowsky: Extrem laut und unglaublich nah

Die Komische Oper spielt Tschaikowskys Kriegsmelodram „Mazeppa“ – auf Russisch. Krieg und Zerstörung, Folter in Nahaufnahme: Ob die Handlung vor oder nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion spielen soll, ist da schon egal.

Jetzt haben sie es tatsächlich getan. Am Sonntag ging die Premiere von Pjotr Iljitsch Tschaikowskys „Mazeppa“ auf Russisch über die Bühne der Komischen Oper – damit hat das von Walter Felsenstein als deutschsprachiges Musiktheater gegründete Haus nach 65 Jahren sein Alleinstellungsmerkmal aufgegeben. Mit der „American Lulu“ war im Herbst ein erster Testballon gestartet – aber da handelte es sich um eine Bearbeitung von Alban Bergs Oper, von Olga Neuwirth aus dramaturgischen Gründen in die Vereinigten Staaten verlegt. Nun aber wird erstmals ein Werk in der Muttersprache des Komponisten gezeigt. Der neue Intendant Barrie Kosky hat diesen Paradigmenwechsel durchgesetzt, mit dem Argument, bestimmte Opern könne er einfach nicht in Übersetzungen ertragen. Das gilt bei ihm vor allem für tragische Stoffe. Heitere Stücke, bei denen es auf den Wortwitz ankommt, werden an der Behrenstraße auch weiterhin auf Deutsch gegeben, ebenso Mozarts nach italienischen Libretti verfasste Meisterwerke.

Die Frage drängt sich auf, ob es klug war, als Erstes eine Spielplanrarität auszusuchen, oder ob man nicht besser ein Stück gewählt hätte, das wirklich jeder in der Originalversion im Ohr hat, wie Puccinis „Tosca“ oder Janaceks „Jenufa“. Man kann den Abschied von der im heimischen Idiom dargebotenen Volksopern- Idee auch generell bedauern. Und dennoch war die Entscheidung letztlich alternativlos. Weil es von Jahr zu Jahr schwerer wird, gute Interpreten zu finden, die bereit sind, ein Stück, das sie überall auf der Welt im Original singen können, für eine einzige Produktion noch einmal auf Deutsch zu lernen. Und sei es für die legendäre Komische Oper.

Und so kommt der Untertitelanlage des Hauses seit Sonntag eine neue Funktion zu: Die dezenten kleinen Displays, die in den Rückenlehnen der Sessel eingebaut sind und auf denen taktgenau die Verse eingeblendet werden, helfen nun nicht mehr nur den Besuchern englischer, französischer oder türkischer Zunge, der Handlung folgen zu können, sondern eben auch den Deutschen. Druschba!

Ziemlich wüst ist die Handlung von Tschaikowskys 1884 in Moskau uraufgeführter „Mazeppa“-Oper, inspiriert von Puschkins Poem „Poltawa“: Der Titelheld, ein in Ehren ergrauter ukrainischer Feldherr, strebt nicht nur die Unabhängigkeit seines Volkes an, sondern auch die Ehe mit der blutjungen Tochter seines Freundes Kotschubej. Der will ihm seine Maria allerdings nicht geben. Doch das Mädchen, in unerklärlicher Liebe zu Mazeppa entbrannt, entscheidet, ihr Elternhaus zu verlassen. Kotschubej beschließt daraufhin, den Kindsräuber beim Zaren zu verleumden – doch dieser kommt ihm zuvor. Als sie von der Hinrichtung des Vaters erfährt, verfällt Maria dem Wahnsinn. Ihren Jugendfreund Andrej, der in der Schlacht bei Poltawa von Mazeppa schwer verwundet wird, singt sie mit einem Wiegenlied in den Tod, bevor der Vorhang fällt.

„Mazeppa“, entstanden zwischen „Eugen Onegin“ und „Pique Dame“, ist nicht Tschaikowskys gelungenste Oper. Die kriegerischen Massenszenen, die politischen Ränkespiele haben den sensiblen Komponisten nur mäßig inspiriert. Henrik Nánási, der neue Chefdirigent der Komischen Oper, aber wirbt am Sonntag mit Verve für diese Partitur, für die Inseln des zarten Lyrismus ebenso wie für die massiv orchestrierten und daher eher hohl wirkenden Passagen. Und das Orchester folgt ihm leidenschaftlich durch die drei Stunden. Nach dem ersten, vorsichtigen Abtasten in der „Zauberflöte“, Nánásis Antrittsproduktion, sind sich der Maestro und die Musiker bei den Tschaikowsky-Proben emotional offensichtlich näher gekommen.

Gleich ein gutes Stück übers Ziel hinausgeschossen ist Operndirektor Philip Bröking vor lauter Freude über die gewonnenen Freiheiten bei der Sängerbesetzung: Ob Robert Hayward in der Titelrolle, ob Asmik Grigorian als Maria, Ales Briscein als Andrej oder Alexey Antonov als Kotschubej – hier sind lauter prachtvolle Riesenstimmen versammelt, die mühelos bis in die hinterste Reihe der New Yorker Met oder des Moskauer Bolschoi durchdringen könnten. In den Raumdimensionen der Komischen Oper aber wirkt es, als wollten sie mit ihrer vokalen Wucht den Stuck von den Wänden sprengen. Leider lässt sich auch der Chor (Einstudierung: André Kellinghaus) zum Überlauten verleiten. Allein Agnes Zwierko findet als Marias Mutter Zwischentöne der Trauer und Verzweiflung – und berührt so unmittelbar.

Immer, wenn die Sänger schweigen, lässt Regisseur Ivo van Hove sofort Videos ablaufen, die aufs Schonungsloseste Krieg und Zerstörung zeigen, Folter in Nahaufnahme, Erschießungen, blutüberströmte Leichenberge. Nicht allein, dass diese Gewaltpornografie die Inszenierung für alle minderjährigen Besucher unzumutbar macht, sie ist auch in keiner Weise konzeptionell gedeckt. Was Ivo van Hove auf der Bühne zeigt, ist nämlich lediglich ein konventionelles szenisches Arrangement, bei dem die Chorsolisten als Menschenklumpen oder Formation auftreten und die Solisten stets auf der Suche nach der nächsten Sitzgelegenheit sind. Schnellfeuerwaffen werden wie Handtaschen herumgetragen, wer leidet, krümmt sich in der immergleichen Pose am Boden. Gemessen am hier sonst üblichen Niveau der differenzierten Personenführung lässt sich Ivo van Hoves Leistung nicht anders nennen als gedanklich ärmlich und handwerklich dürftig.

Eines jener Einheitsbühnenbilder, in dem nun wirklich jede zwanghaft aktualisierte Oper spielen könnte, hat Jan Verseweyveld dazu geschaffen. Trist ist diese Fabriketage mit ihren nackten Ziegelmauern und dem vergitterten Lastenaufzug, der allerdings keinerlei erkennbare Funktion hat und auch nicht bespielt wird. Verstreut stehen ein paar Stühle aus sozialistischen Zeiten herum, ohne dass man an ihnen (oder an den von Wojciech Dziedzic geschaffenen Kostümen) ablesen könnte, ob die Handlung nun vor oder nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion spielen soll. Ist ja auch egal.

Wieder am 2. und 3., am 17. und 30. März sowie am 5. April und 2. Juli.

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